Die Währungsunion aufzugeben, wäre "töricht"

Marcus Pindur im Gespräch mit Michael Bolle · 07.09.2011
Michael Bolle hält es für unabdingbar, dass auch die Finanzpolitik stärker als bisher von den Eurostaaten gemeinsam gestaltet werde. Forderungen nach einem Ende der Währungsunion, wie sie die Euro-Kritiker um den Tübinger Ökonomen Starbatty erhoben hatten, widersprach der Wirtschaftswissenschaftler.
Marcus Pindur: Heute wird es sich zeigen, ob die Fünferbande Recht bekommt: Fünf deutsche Professoren und Wirtschaftsleute haben zum Sturm auf die Euro-Rettung geblasen und sind vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, unter ihnen der Tübinger Volkswirt Joachim Starbatty. Er meint, der Bundestag sei übergangen worden bei weitreichenden finanziellen Entscheidungen der Bundesregierung zur Euro-Rettung, aber er geht noch weiter: Griechenland und andere Schuldner müssten aus der Eurozone austreten, ihre Währung abwerten und so dann ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder erlangen. Wir sind jetzt verbunden mit dem Direktor des Jean-Monnet-Zentrums für Europäische Integration in der Freien Universität Berlin, mit Professor Michael Bolle. Guten Morgen, Herr Bolle!

Michael Bolle: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Das ist doch so ein evidenter wie simpler ökonomischer Mechanismus – also aus dem Euro austreten, die Währung, die Drachme dann in diesem Fall, abwerten und so auch wieder besser den Export ankurbeln können. Was spricht denn dagegen?

Bolle: Ach, na ja, evidente Mechanismen sind immer schön, und diese Fünferbande, wie Sie sie so liebenswürdig bezeichnet haben – ich kann ja nichts für meine Kollegen –, die sind ja nun seit Jahrzehnten bekannt dafür, dass sie immer wieder mal was unternehmen, damit Deutschland keine nationalen Souveränitäten im Bereich der Wirtschaftspolitik verliert, auch in Bezug auf die Währungspolitik, aber was dagegen spricht: Europa aufzugeben ist doch töricht, und das würde man doch damit tun. Man würde ein Signal geben an die Märkte: Wir wollen gar nicht Europa wirklich, wir wollen nur ein bisschen Europa. Aber dass der Gedanke von Europa, nämlich die friedliche Zusammenarbeit, der Gedanke, mit dem die Europäische Union groß geworden ist in den letzten 50 Jahren, und das waren die ... Die letzten 50 Jahre, die waren doch voller Frieden, einigermaßen jedenfalls in Mitteleuropa, die waren gekennzeichnet durch steigenden Wohlstand für die meisten Menschen in Europa, und jetzt gibt man das auf und fällt wieder zurück in das, was Europa 1000 Jahre lang erlebt hat – gegenwärtige Kriege, die kleinen Nationalstaaten fallen übereinander her. Na, wir wollen mal nicht gleich ein ganz schlimmes Szenario malen, wollen mal nur sagen: Der Mechanismus, so evident er ist, funktioniert nicht, und Europa sollte man nicht leichtfertig aufgeben, im Gegenteil.

Pindur: Ist das nicht aber auch ein bisschen ein Totschlagargument, dass man sofort mit dem Frieden in Europa argumentiert? Man muss ja vorher auch sagen: Wir sind auf dem Weg in die Transferunion, wir sind tatsächlich schon da, und die jüngste Entwicklung in Griechenland gibt ja den Klägern auch irgendwie recht. Die Inspektoren von Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank sind sozusagen aus Protest aus Athen abgereist, weil sie gesagt haben, die Hausaufgaben werden nicht gemacht dort.

Bolle: Na ja, das ist so ungefähr wie ein Kind, was am Fenster steht und sagt, ich springe jetzt aus dem Fenster, wenn ich meinen Spinat essen muss, nicht wahr. Nein, nein, das sind ja alles nur Verhandlungsszenarien, die jetzt diskutiert werden mit den vielen Krisen, die es so gibt. Die Verhandlungsszenarien deuten darauf hin: Griechenland und die anderen kleinen Schweinchen, wie man sie ja manchmal nennt im Fachjargon, die machen ihre Hausaufgaben. Und wenn Sie sich Griechenland angucken – das Volk und die Regierung, das ist bewundernswert –, was die Regierungen und Europa Griechenland mit Recht übrigens zumuten, aber mit welcher Bravour die Regierung Papandreou, mit welcher Bravour die Bevölkerung diese Zumutungen leistet. Ich meine, denken Sie mal daran, na, bitte keine schlimmen Szenarien, Herr Bolle, aber denken Sie doch mal an die Brüning'sche Gesetze in der Weimarer Republik: Das war was Ähnliches, nicht wahr, sparen, sparen, bis es knallt, und dann hinterher, was daraus geworden ist, das wissen wir. Nein, das gelingt heute nicht mehr, wir Europäer haben gelernt, dass alleine ist der Mächtigste nur allein, aber Europa ist nicht mehr so mächtig im Gefüge der Welt, und da ist es sehr gut, zusammenzustehen und miteinander zu kooperieren. Und das ist Europa: die friedliche Kooperation, die Suche nach Lösungen. Und Herr Pindur: Geld ist doch nun allemal billiger als irgendwas anderes.

Pindur: Aber wie könnte denn diese Lösung aussehen? Denn im Moment haben wir ja auch ein tatsächliches Demokratieproblem: Die Bürger des einen Landes, in diesem Fall Deutschland, müssen für die Verantwortungslosigkeit des anderen Landes zahlen, ohne selber mit ihrer demokratischen Wahlentscheidung dagegen etwas tun zu können.

Bolle: Ja, das ist nun wirklich ein Totschlagargument, entschuldigen Sie bitte, Herr Pindur, aber nein, was passiert, ist: Die Amerikaner mussten einen Bürgerkrieg erleben, bevor sie eine gemeinsame Währung hatten – Europa erlebt das nicht. Europa hat Krieg genug erlebt, und noch mal das Totschlagargument: Europa hat beigetragen zum Wohlstand und zum Frieden, nicht nur in Zentraleuropa, sondern in der Welt. Und das hängt damit zusammen, dass die Länder gelernt haben, zu verhandeln. Nationale Souveränitätsrechte werden abgetreten zugunsten eines gemeinschaftlichen Integrationsweges, eines Kooperationsweges, bei dem man versucht, miteinander gemeinsam Lösungen zu finden – und alle strengen sich an, das ist ja das Bemerkenswerte. Deswegen finde ich ja diesen gegenwärtigen Erfahrungsweg Europa, nämlich, wie leben wir eigentlich zusammen, wie können wir zusammenleben, so bemerkenswert, und das ist großartig.

Pindur: Herr Bolle, ich möchte an dieser Stelle noch etwas konkreter werden dann, aber Sie sagen, das muss ein gemeinsamer Verhandlungsprozess sein. Welche Elemente können Sie sich denn dann am Ende vorstellen? Es müssen ja die Verträge geändert werden, was ist Ihrer Ansicht nach unabdingbar?

Bolle: Unabdingbar für die Vertragsänderung ist, dass auch die Finanzpolitik irgendwann mal stärker als bisher integriert wird. Es wird also bedeuten in der Tat, dass auch die nationalen Parlamente – wie Sie sagen, die Wähler, also die nationalen Wähler – zugunsten Europas etwas abgeben. Das haben sie bisher auch gemacht, wenn Sie sich angucken, wie viel nationale Souveränitätsrechte in den letzten Jahren seit Entstehen der Europäischen Union abgegeben wurden, wie manche Leute sagen, es müssten noch mehr werden. Und das ist das Tolle an Europa, dass es einen Weg beschreitet, der nicht zu schnell, nicht zu langsam ist, sondern der auf gegenseitiges Verständnis abzielt. Wir verstehen, dass die Griechen sich jetzt sehr anstrengen müssen, und ich hoffe sehr, dass die Griechen auch verstehen – ich war gerade da, die verstehen es –, wie Deutschland sich abmüht, zu helfen. Und Frau Merkel macht das großartig, wenn ich das sagen darf, aber auch jeder, der in Europa ... die politischen Entscheidungsträger, die hier an Europa mitarbeiten: Sie geben Europa Zeit zu lernen, und das war alles vorherzusehen. Also viele, viele Leute – nicht meine Fünferbande dort, die haben immer nur gesagt, nein, nein, nein, nein, bloß nicht, keine nationalen Souveränitätsrechte –, ... und ich kann das Parlament gut verstehen, wenn das Parlament jetzt sagt, aber nicht zu schnell mit uns. Also was muss geschehen? In der Tat: Es werden langsam immer weiter, langsam, langsam, langsam mehr Souveränitätsrechte sein, die abgetreten werden zugunsten eines gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses. Was am Ende steht – wer weiß das schon, die Welt ist voller Unsicherheiten: hoffentlich ein friedlicher Weg zusammen mit den Nachbarn in eine Zukunft, bei der es immer wieder Krisen geben wird, immer wieder, die Welt ist nicht im Paradies, aber wir werden sie bewältigen. Jetzt im Augenblick geht es ja nicht um Währung, es geht auch nicht richtig um Banken, es geht auch nicht um Verschuldung, sondern es geht um einen Prozess, zu lernen, dass die nationalen Regierungen – getrieben von dem, was die Wählern wollen, gebt uns mehr – den Wählern beibringen können: Nein, nein, das geht so nicht alles so schnell.

Pindur: Herr Bolle, vielen Dank für das Gespräch!

Bolle: Ich danke Ihnen, Herr Pindur!

Pindur: Professor Michael Bolle, Direktor des Jean-Monnet-Zentrums für Europäische Integration an der Freien Universität Berlin zur Euro-Rettung.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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