Die Vorgeschichte

Von Winfried Sträter · 14.11.2005
Vor 60 Jahren, am 20. November 1945, begann der erste, der Hauptkriegsverbrecherprozess - ein Meilenstein auf dem Weg zu einer internationalen Gerichtsbarkeit. Denn zum ersten Mal gelang es, die Verantwortlichen eines verbrecherischen Regimes vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft zu ziehen. Rechtsstaatlichkeit siegte über Rachegelüste.
Der Gedanke, verantwortliche Politiker und Militärs vor Gericht zu stellen, war 1945 nicht neu. Schon nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Alliierten an einen Prozess gegen den deutschen Kaiser sowie führende Politiker und Militärs des Deutschen Reiches gedacht. Deutschland und Holland, das dem ehemaligen deutschen Kaiser Exil gewährte, weigerten sich jedoch, die mutmaßlichen Angeklagten auszuliefern. Stattdessen gab die Regierung in Berlin ein – wie sich erweisen sollte – leeres Versprechen ab, Kriegsverbrecher vor deutschen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen. Die Völkerrechtler zogen schon in den 20er Jahren daraus den Schluss, nationale Gerichte seien ungeeignet, um Kriegsverbrecher zu verfolgen. Aber auch Gerichte der Sieger hielten sie für ein ungeeignetes Mittel. Am ehesten würden internationale Gerichte die Gewähr für rechtsstaatliche Verfahren bieten.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Lage ganz anders als 1918: mit der Besetzung Deutschlands konnten die Siegermächte die Verantwortlichen Hitler-Deutschlands in ihre Gewalt bringen. Der Weg nach Nürnberg war jedoch weit – die Durchführung eines Gerichtsverfahrens keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil. Auf der Konferenz in Teheran kam im November 1943 das Thema, wie man mit den deutschen Kriegsverbrechern umgehen solle, erstmals zur Sprache. Stalin nutzte einen Toast, um seine Vorstellungen kundzutun.

"Ich trinke auf die möglichst rasche Justiz für alle deutschen Kriegsverbrecher. Ich trinke auf die Justiz einer Erschießungsabteilung! Ich trinke auf unsere Entschlossenheit, sie sofort nach der Gefangennahme zu erledigen, und zwar alle, und es müssen ihrer mindestens 50.000 sein."

US-Präsident Roosevelt und Winston Churchill waren starr vor Schreck. Churchill erwiderte, ein solches Vorgehen stehe im schroffen Gegensatz zur britischen Rechtsauffassung. Im Frühjahr 1945 jedoch wurden auch die Briten schwankend. Angesichts der monströsen Verbrechen Nazideutschlands und der Unwägbarkeit eines Gerichtsverfahrens plädierten auch sie für standrechtliche Erschießungen.

Die USA hingegen setzten sich entschieden für ein ordentliches Gerichtsverfahren ein. Vor allem ein Mann: der ehemalige amerikanische Justizminister Robert Jackson. Er reiste im Frühjahr 1945 durch die europäischen Hauptstädte und warb für ein rechtsstaatliches Verfahren gegen die Hauptschuldigen Hitler-Deutschlands. Am 8. August, eine Woche nach dem Ende der Potsdamer Konferenz, hatte er sein Ziel erreicht. In London unterzeichneten Vertreter von 23 Staaten ein Abkommen, das die Einrichtung eines Internationalen Gerichtshofes vorsah.