Die "Vorderhofmoschee" und ihre Nachbarn

Von Ita Niehaus · 03.07.2010
Deutschlands größte Moschee steht in Duisburg - und niemand regt sich darüber auf. Muslime und Christen leben hier im guten Miteinander. "Ich lasse denen ihren Glauben und bleibe bei meinem", sagt eine Katholikin. Was hat dieses "Wunder von Marxloh" möglich gemacht?
Über 1000 Muslime haben sich versammelt, um am Freitagmittag gemeinsam zu beten unter dem riesigen Kuppeldach der Merkez Moschee in Duisburg-Marxloh.

Das Interesse an Deutschlands bislang größter Moschee ist groß. Mehrere hundert Besucher kommen täglich, rund 100.000 waren es allein im ersten Jahr. Die meisten von ihnen sind Nicht-Muslime.

Besucherin: "Weil ich mal eine Moschee von innen sehen möchte und – ja, vielleicht auch mal ins Gespräch kommen mit türkischen Mitbürgern. Was sonst eher nicht der Fall ist, wenn man sich so sieht unterwegs."

Zehra Yilmaz: "Die Menschen kommen hierhin, nicht nur weil es Deutschlands größte Moschee ist. Das Besondere ist, dass es unter den Kuppeln einer Moschee auch eine Bildungs- und Begegnungsstätte gibt, und die dieses Haus deshalb öffnet für alle Menschen. Und das ist das Wichtige: nicht die Schönheit, nicht die Größe, das Inhaltliche, was wir hier leisten."

Muhammed Al: "Diese Moschee hat dazu beigetragen, dass viele Vorurteile abgeschafft wurden, indem man sich noch näher gekommen ist. Das Vertrauen in die Gesellschaft kann gewährleistet werden, wenn wir weg von Hinterhofmoscheen kommen. Deshalb plädiere ich immer dafür, dass in Großstädten 'Vorderhofmoscheen', sage ich jetzt mal, gewährleistet sein sollen ohne Hindernisse."

Der interreligiöse Dialog hat in Marxloh eine lange Tradition. Der Vorstandsvorsitzende der Moschee, Muhammed Al, und die Bildungs- und Dialogbeauftragte Zehra Yilmaz engagieren sich seit vielen Jahren. Zehra Yilmaz studierte sogar Evangelische Theologie, weil sie mehr wissen wollte über den christlichen Glauben. Und das hilft der 46 Jahre alten Muslima sehr, wenn sie zum Beispiel Besucher durch die Moschee und die Begegnungsstätte führt.

Zehra Yilmaz: "Wenn ich sage, das erste Gebot, unser Glaubensbekenntnis, wenn Sie es übersetzen, ist es einfach das erste Gebot 'Du sollst keine Götter haben neben mir.' Und wenn man dann so Parallelen zeigen kann, dann verschwinden auch wieder die Ängste und die Menschen sehen, so fremd ist uns der Islam gar nicht. Und das kann ich dann eben nicht pauschal sagen, ich kann es belegen, so dass die Menschen es mir dann auch glauben." (Lachen)"

Die Begegnungsstätte steht allen offen. Es gibt interreligiöse Veranstaltungen zu christlichen und muslimischen Feiertagen, Lesungen, Kochkurse, Sprachkurse, eine Bibliothek und auch eine Caféteria, denn die Begegnungsstätte soll auch ein Treffpunkt für den Stadtteil sein.

Zehra Yilmaz: ""Wir versuchen hier vor Ort nicht Dialogarbeit auf intellektueller Ebene, sondern richtig Basisarbeit, weil wir sehen, die einfachen Menschen haben die Ängste. Und wenn die Frauen beim Frauenfrühstück sitzen und über ihre Probleme miteinander sprechen, dann ist es egal, ob sie deutsch oder türkisch sind. Also dieses Menschliche, das bringt die Personen einfach näher."

18.000 Menschen aus über 40 Ländern leben in Marxloh, die meisten von ihnen sind türkischstämmig. Das Kopftuch gehört zum Straßenbild, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Noch kämpft der Stadtteil mit seinem Image als Problemviertel, doch das ändert sich langsam. Die Grundstückspreise sind gestiegen, seitdem die Moschee zum Besuchermagnet wurde. Viele Marxloher machen sich stark für ihren Stadtteil.

Auch der Bau der Moschee war ein Gemeinschaftsprojekt. Ein Beirat wurde gegründet, in dem neben Vertretern der Ditib-Gemeinde auch Mitglieder der Kirchen, Parteien und Bürgervereine saßen. Offen wurde über alles gesprochen, so konnten große Konflikte erst gar nicht entstehen. Auf Empfehlung des Beirates etwa verzichtete die Ditib-Gemeinde von vornherein auf einen Muezzin-Ruf, um niemanden zu provozieren, und auch das Minarett ist nur halb so hoch wie der katholische Kirchturm. Der Beirat begleitet nach wie vor das Projekt.

Zehra Yilmaz: "Was ist entstanden? Wie habt ihr das gemacht? Und musste das so sein? Der Beirat ist nur eine empfehlende Instanz, aber es ist uns schon wichtig, dass der Beirat weiß, was hier vor Ort passiert und uns immer zur Seite steht."

Nur einen Steinwurf von der Moschee entfernt liegt die katholische St.-Peter-und-Paul-Gemeinde. Im Kindergarten spielen christliche und muslimische Kinder ganz selbstverständlich miteinander. Die gute Nachbarschaft zwischen Ditib-Moschee und den christlichen Gemeinden ist seit vielen Jahren gewachsen. Man lädt sich gegenseitig ein zu Festen, organisiert gemeinsame Veranstaltungen wie die Nacht der offenen Gotteshäuser. Pastor Michael Kemper beobachtet bei vielen Gemeindemitgliedern einen Lernprozeß – in kleinen Schritten.

Michael Kemper: "Wir leben hier zusammen, wir können das insgesamt akzeptieren, es ist für die große Moscheegemeinde völlig passend, ein großes würdiges Gotteshaus zu haben, da müssen wir uns nicht hinter verstecken. Das muss uns nicht klein machen, da können wir uns ganz gut und selbstbewusst behaupten. Wir haben weiter für uns als Christen, für das Leben hier im Stadtteil einen wichtigen Auftrag."

Kita-Mutter: "Es klappt einfach alles, wir sind doch alle gleiche Menschen, gibt keine Unterschiede für mich. Meine Vermieter sind türkisch, wir sind damit auch groß geworden als Kinder, wir haben türkische Freunde gehabt, auch meine Kinder haben türkische Freunde, und ich find’ das ganz normal."

Annemarie Maas: "Wenn ich jetzt in die Kirche gehe, in eine andere Kirche, so habe ich mir auch die Moschee angesehen. Man setzt sich mit den Kulturen auseinander, auch mit dem ganzen Islam, ich lasse denen ihren Glauben und ich bleibe bei meinem."

Die 76 Jahre alte Annemarie Maas ist Mitglied des Gemeinderates der St.-Peter-und-Paul-Gemeinde.

Annemarie Maas: "Es sind viele Ältere, die nicht damit einverstanden sind, aber die hat man ja überall, ne. Im Großen und Ganzen kann man sagen: ja, ist ’ne Bereicherung. Wir können es ja doch nicht aufhalten. Nur das Traurige ist, dass immer mehr Moscheen entstehen und die Kirchen weniger werden. Und das ist ein Problem."

Pastor Michael Kemper: "Wir hätten im Bistum Essen und im Duisburger Norden Kirchen aufgeben müssen - auch ganz unabhängig von dem Moscheebau. Aber dadurch, dass sie zeitgleich stattfinden, entsteht der Eindruck, die bauen Moscheen, wir müssen Kirchen schließen, die Angst im Ergebnis, wir werden überrollt."

Pastor Michael Kemper versucht, die Ängste abzubauen und Mut zu machen, offen aufeinander zuzugehen.

Michael Kemper: "Und da geht es darum, in der Gemeinde Angebote zu machen, Menschen sprachfähig zu machen über ihren Glauben, immer mit dem Grundsatz, ich muss niemanden bekehren, aber ich darf offen und frei über meinen Glauben erzählen."

Die Merkez Moschee in Marxloh ist ein Beispiel für einen gelungenen Dialog zwischen Christen und Muslimen. Aber es gibt auch Probleme. Finanzielle zum Beispiel. Darunter hat die Arbeit der Begegnungsstätte in den vergangenen Monaten gelitten. Und es gibt Kontroversen in der muslimischen Gemeinde darüber, wie die Begegnungsarbeit in Zukunft weitergeführt werden soll.

Muhammed Al: "Das ist ein Prozess, der auch etwas Zeit braucht, aber im Großen und Ganzen läuft das positive Klima hier weiterhin. Wir sind für Dialog, wir sind für Transparenz, diese Dialogoffenheit ist seit 20 Jahren in dieser Gemeinde ein Fortbestand. Mein Wunsch ist, dass in allen Großstädten solche Begegnungsstätten in Moscheen integriert sind."

Zehra Yilmaz: "Ich denke, die Offenheit und Transparenz werden nicht darunter leiden, das wird weiter gemacht, aber nicht in dem Maße. Die Menschen vor Ort, die Nachbarn hier haben es ja gemeinsam aufgebaut. Und wenn es hier nicht klappt, dann ist das nicht nur für den Stadtteil schlimm, sondern für die Integrationsarbeit bundesweit und das möchte keiner."

Pastor Michael Kemper: "Im Moment erlebe ich, wenn ich das so sagen darf, eine Lernbereitschaft von Seiten der Moscheegemeinde. Also dass man mitkriegt, worum geht es uns deutschen Beiratsmitgliedern, niemand will sich einmischen. Im Gegenteil, mir ist es ein großes Bedürfnis, immer wieder der Gemeinde Respekt zu zollen vor dem mutigen Schritt, auch eine Begegnungsstätte eingerichtet zu haben. Das ist mittlerweile ein Prozess, an dem wir miteinander gewirkt haben und Verantwortung haben."

Denn eine wichtige Erfahrung haben die Marxloher erst vor kurzem wieder gemacht. Wenn es hart auf hart kommt, rücken alle zusammen: "Nazis raus, Nazis raus!" Sprecher: "Vor der Moschee zeigen 4500 Bürger, was sie von NPD und Pro NRW halten ..."

… und zwar über Parteigrenzen hinweg, egal ob Moslem oder Christin. 4500 Bürger demonstrierten im März für Religionsfreiheit und gegen rechte Stimmungsmache.

Zehra Yilmaz: "Das war ’ne ganz tolle Geschichte, weil es uns gezeigt hat, dass die Menschen hinter uns stehen, auch wenn es immer Gegenstimmen gibt, aber die Mehrheit, das sind unsere Nachbarn, die zeigen, dass sie uns akzeptiert haben, die sagen, ihr gehört genauso zu Marxloh wie die katholische Kirche."
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