Die Ungleichbehandlung aller Datenpäckchen

Peter Welchering im Gespräch mit Ulrike Timm · 02.05.2013
Die Pläne der Deutschen Telekom, die Übertragungsgeschwindigkeiten im Netz für ihre Kunden zu drosseln, verletzt nach Ansicht vieler User die Netzneutralität. Denn dann gäbe es privilegierte Datenpäckchen, doch werde bei der Kontrolle das Recht auf Privatheit verletzt, erklärt Internetexperte Peter Welchering.
Ulrike Timm: Die deutsche Drosselkom – nein, das ist wirklich kein Spitzname, den sich die Telekom erträumt, sie hat ihn aber jetzt schon weg. Ein Proteststurm – oder besser ein Shitstorm – wurde losgetreten. Grund: Der Film, den man sich übers Internet anschaut, der könnte langsam ruckeln, der Krimi sich Bild für Bild aufbauen, Mord und Aufklärung in Zeitlupe erfolgen, weil die Datenübertragung verlangsamt wird. Wer sein Konto bei der schnellen Datenübertragung ausgereizt hat, muss nachzahlen oder wird nur noch im Schneckentempo beliefert. Das ist der Hintergrund des Ärgers, den sich die Telekom mit dem Plan eingehandelt hat, Internetübertragungen zu verteuern beziehungsweise für Vielnutzer dann zu verlangsamen. Nun gibt es große Proteste, und es geht auch eigentlich um mehr als die Preise, dahinter stecken nämlich Begriffe wie Netzneutralität oder die spannende Frage: Wem gehört eigentlich das Internet?

Und wir wollen da ein wenig Licht reinbringen, gemeinsam mit dem Internetexperten Peter Welchering. Schönen guten Tag!

Peter Welchering: Ja, schönen guten Tag nach Berlin!

Timm: Da sind ja markige Worte im Umlauf: Crescendo-Katastrophe, die Drosselung erdrosselt das Netz - zu Recht?

Welchering: Ja, sicherlich zu Recht, denn wenn auf 384 Kilobit pro Sekunde runtergedrosselt wird, dann kann man sich nicht mehr vernünftig bei den heutigen multimedialen Angeboten im Netz orientieren, dann kann man allenfalls noch E-Mail abschicken.

Timm: Das ist dann eine Lieferung nach dem Motto, Sie kriegen zwar Strom, aber ätsch, die Waschmaschine geht doch nicht. Kastrierte Lösung?

Welchering: Ja, oder die Waschmaschine geht eben nur, wenn Sie noch ein bisschen draufzahlen. Und dieses bisschen Draufzahlen, damit wollen dann eben die Internetserviceprovider Geld verdienen, und ob das allein bei der Telekom bleibt, und die anderen, die im Augenblick dann so hoch und heilig versprechen, nein, so was würden wir nie machen, also ich denke, da werden alle Internetserviceprovider auf Dauer auch nachziehen.

Timm: Aber wer bessere Qualität will, muss mehr zahlen – so weit, so normal, oder?

Welchering: Wer bessere Qualität will, muss mehr zahlen, wer bessere Qualität will, nimmt sich ja auch einen breitbandigeren Anschluss – also das sind dann die Leitungen, die die Telekom dahin legt –, nur wir haben heute schon die Definition, dass also wirklich unter mindestens einem Megabit pro Sekunde überhaupt nicht mehr von einem wirklichen Internetanschluss gesprochen werden kann, und da will die Telekom dahinter zurückfallen.

Timm: Es geht aber, so sagen die Viel-User, die die Telekom derzeit attackieren, gar nicht einfach um die Entscheidung, wann man nachzahlen muss, oder wie komfortabel man irgendwann seine Filme runterladen kann oder nicht, es geht auch um Politik, es geht um einen Begriff, der heißt Netzneutralität, ist ziemlich sperrig. Ja, inwiefern kann denn eine Datenautobahn neutral oder parteiisch sein?

Welchering: Neutral ist die Datenautobahn dann, wenn alle Datenpäckchen, egal, was sie transportieren, egal ob Mail oder Video, egal, ob sie von Ihnen oder von mir sind oder von einem großen Konzern, völlig gleichberechtigt sind. Das hat allerdings auch zur Folge: Wenn es irgendwo einen Stau gibt auf dieser Datenautobahn, dann werden diejenigen, die am längsten gewartet haben, als erste wieder, nachdem der Stau aufgelöst ist, weitertransportiert. Also Netzneutralität: alle Datenpäckchen gleich, alle werden völlig unabhängig vom Ansehen der Person, des Absenders, des Empfängers oder des Inhalts gleich transportiert.

Timm: Das heißt, wenn es nicht ohne Ansehen der Person geschieht, guckt jemand rein?

Welchering: Dann guckt jemand rein, und zwar guckt der in den sogenannten Kopf des Datenpäckchens, in diesem Kopf ist dann beispielsweise verzeichnet die Internetprotokolladresse des Empfängers oder des Absenders, und wenn da beispielsweise eine Internetprotokolladresse steht von einem, sagen wir einmal, bevorzugten Partner eines Serviceproviders, etwa der Telekom, dann wird das bevorzugt durchgeleitet, und wenn da ein anderer steht, der hängt dann im Stau und bleibt fest.

Timm: Und das heißt, der Lieferer entscheidet, was durchkommt oder nicht, ich vergleiche das mal mit der guten alten Briefpost, das hieße ja, man guckt in einen zugeklebten Umschlag und sagt dann: Ja, dich werfe ich ein, und dich nicht.

Welchering: Ja, um das Bild noch so ein bisschen zu vervollständigen, der Briefumschlag ist nicht ganz zugeklebt, sondern der ist in einer Art Klarsichthülle oder Klarsichtumschlag. Und der Postbote guckt dann auf den Umschlag und entscheidet dann entweder nach Absender oder Empfänger oder nach Inhalt: Werfe ich dich jetzt ein oder behalte ich dich erst noch mal eine Zeit lang.

Und genau das ist das Problem, denn mit einem Verstoß gegen Netzneutralität ist doch immer verbunden die Überprüfung von Datenpäckchen, die sogenannte Deep Packet Inspection, also eine tiefe Inspektion, und diese Überprüfung von Datenpäckchen, da kann man rein technisch nicht so richtig sagen: Wo hört sie auf und wo beginnt sie? Denn wenn ich einmal ein Datenpäckchen automatisch überprüfe, dann ist natürlich auch die Überprüfung von Inhalten nicht mehr ausgeschlossen.

Timm: Das heißt natürlich dann, die Netzneutralität ist letztlich dann eine politische Größe, dann geht es sehr schnell auch um Datenschutz.

Welchering: Die Netzneutralität ist in Richtung Freiheit des Netzes eine politische Größe, und sie ist vor allen Dingen in Richtung auf Privatheit, die es nur sehr bedingt im Netz gibt, und auf Datenschutz eben auch eine politische Größe, und darüber wird im Augenblick deshalb ja auch so emotional diskutiert.

Timm: Es wird emotional diskutiert, aber eben mit so einem – Entschuldigung – Plastikwort wie Netzneutralität, worunter sich keiner erst mal was vorstellen kann, geschweige denn das Richtige. Verbauen sich nicht die Protestler via Sprache auch die eigenen Argumente? Denn im Grunde geht es ja darum, nicht, wer ein bisschen mehr zahlt, sondern darum, was man bekommen kann und was man nicht bekommen kann, und wer einen dabei womöglich kontrolliert.

Welchering: Ja, die Menschen, die das diskutieren, kommen eben zum großen Teil aus der Technik und sind eben auch mit solchen technischen Begriffen groß geworden und nutzen sie wie selbstverständlich, und da muss man einfach manchmal übersetzen.

Die politische Diskussion würde sicherlich leichter geführt werden und würde für viele Internetnutzer vor allen Dingen sehr viel verständlicher werden, wenn man das einfach so ein bisschen runterholt und sagt, worum es geht, nämlich um tatsächlich Gleichbehandlung aller Datenpäckchen.

Timm: Dann sind Sie jetzt unser Dolmetscher hier im "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit dem Wissenschaftsjournalisten und Internetexperten Peter Welchering über die Grundversorgung im Netz. Herr Welchering, wem gehört eigentlich das Internet, durch das wir alle sausen, mit Breitband oder ohne?

Welchering: Also es gibt inzwischen viele Teilhaber, denn das Internet ist ja eine ganz, ganz alte Angelegenheit. 1969 ist es tatsächlich in Betrieb genommen worden, also schon etwas her, damals von der Forschungsorganisation des amerikanischen Verteidigungsministeriums, und deshalb hat auch immer noch das amerikanische Handelsministerium die Hoheit über die Internetverwaltung. So gesehen könnte man sagen, letztlich gehört es der amerikanischen Regierung.

Aber das stimmt eben nur bedingt, weil inzwischen in allen Ländern sehr viele Genossenschaften, die etwa Internetknotenrechner betreiben, oder beispielsweise auch Universitäten oder Forschungseinrichtungen tatsächlich dafür gesorgt haben, dass all diese Internetknotenrechner, diese ganzen technischen Einrichtungen, gemeinsam betrieben werden, kooperativ, sodass dass Internet deshalb überhaupt nur funktioniert.

Timm: Steckt da eigentlich auch global gesehen Steuergeld drin, sind Teile des Netzes öffentlich finanziert?

Welchering: Da steckt auch Steuergeld drin, sehr viel sogar, denn sehr viele Forschungsorganisationen geben sehr viel für den täglichen Betrieb des Internet. Also wenn man beispielsweise an das Kernforschungszentrum Cern in Genf denkt, ohne die wäre das heutige Internet gar nicht vorstellbar und könnte auch gar nicht mehr betrieben werden. Und da gibt es eben sehr viele Universitäten, die auch noch sehr viele Internetknotenrechner betreiben, wo diese ganzen Datenpäckchen immer zwischengelagert werden, weiterversandt werden, und da stecken natürlich auch so gesehen Steuergelder da drin, denn diese Forschungseinrichtungen sind ja von der öffentlichen Hand finanziert, und das weltweit, in Asien wie in Europa wie in Amerika.

Timm: Aber jenseits des Streites um die Telekom – das Netz ist ja nicht unbegrenzt, es wird immer mehr reingestellt. Ist es da nicht auch fair, zu sagen, wer viel nutzt, der zahlt eben mehr, und darüber, dass man das neutral, wie Sie sagen, macht, muss man dann eben anders streiten, aber wer mehr nutzt, zahlt mehr? Das erscheint mir eigentlich ziemlich logisch.

Welchering: Ja, da muss man aber dann genau hinsehen, wofür zahle ich mehr. Wenn ich für reines Datenvolumen mehr zahle, dann geht es ja im Wesentlichen darum, dass die Internetknotenrechner, die gesamte Infrastruktur, bei der die Datenpäckchen behandelt werden, zwischengespeichert werden, weitergeleitet werden, davon betroffen ist. Und insofern ist ja ein stetiger Ausbau, auch der Internetknotenrechner, dieser Struktur da, man kann davon sprechen, so gesehen ist das Netz tatsächlich grenzenlos.

Aber was die Leitungskapazitäten angeht, da gibt es Beschränkungen, da gibt es natürlich auch private Investitionen wie der Telekom oder anderer Telefongesellschaften, anderer Kabelgesellschaften, und da muss man dann einfach unterscheiden zwischen einem breitbandigen Anschluss und dem, was ich damit dann wirklich letztlich an Datenvolumen mache. Aber diese Unterscheidung, die kommt in der gegenwärtigen Diskussion leider ein wenig zu kurz.

Timm: Wie steht es eigentlich um einen Global Player wie Google, der das Netz so unermesslich nutzt, wie wir uns das alle gar nicht vorstellen können, zahlen die eigentlich, und zahlen die angemessen?

Welchering: Die zahlen ein wenig, aber die zahlen natürlich im Hinblick auf ihre Werbeeinnahmen, die sie mit den vielen Suchanfragen auf die Profildaten, die ja wirklich bares Geld sind, und die sie von ihren Nutzern bekommen, viel zu wenig. Und da gab es in der Vergangenheit des Öfteren Versuche, eben so etwas international zu regeln, ein Versuch, aus allen Kontinenten sogenannte Abgeordnete für das Internet, für die Internetverwaltung zu entsenden, der ist gescheitert.

Ein zweiter Versuch, das war im vergangenen Dezember, dass die Internationale Fernmeldeunion das als UNO-Einrichtung, als Einrichtung der Vereinten Nationen, übernimmt, der ist auch gescheitert. Und deshalb haben wir jetzt die Situation, das Netz bleibt nach wie vor ungeregelt, und dann kommen eben sehr große Mitspieler, sehr große Anbieter, und bestimmen eben wie in Deutschland einfach die Diskussion über Netzneutralität oder machen da ihre eigenen Tarifangebote.

Timm: Und der politische Kern ist eben die Netzneutralität, also die Verpackung und das Rankommen an die Daten, und gar nicht so sehr die Tatsache, ob man das alles ein bisschen langsamer oder schneller kriegt, sondern mehr, darum geht es, was man kriegt. Nun gibt es in den Niederlanden richtig schon ein Gesetz, das zur Netzneutralität verpflichtet. Ist das eine Lösung und wäre das eine Lösung für Deutschland?

Welchering: Das ist eine Lösung für Deutschland, das ist auch in der Internet-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages sehr intensiv diskutiert worden. Im Augenblick gibt es aber im Deutschen Bundestag eigentlich keine Mehrheit dafür. Zwar sagen alle Fraktionen im Deutschen Bundestag, im Prinzip sind wir für Netzneutralität und Gleichbehandlung, aber dann sagt eben auch die Mehrheit wiederum, das aber gesetzlich zu regeln, da sehen wir im Augenblick nicht so den Bedarf, und im Prinzip klappt es doch, also lasst es uns doch bei diesem Status Quo, der so ein bisschen ungeregelt ist, einfach belassen.

Timm: Also ist der kleine Nachbar Niederlande da weiter als wir.

Welchering: Der kleine Nachbar Niederlande ist da auf jeden Fall weiter als wir, aber die Niederlande sind da international gesehen auch sehr, sehr weit vorn. Denn auch in den USA ist die Diskussion um die Netzneutralität seit zwei Jahren sehr intensiv geführt worden, und auch da ist immer noch keine Lösung in Sicht, dass sie wirklich garantiert wird. Der zweite Staat, der hier sehr weit vorne ist, das ist die Schweiz. In der Schweiz wird heftig über Netzneutralität diskutiert, und nach dem, was im Augenblick im Bundesrat in Bern an Vorlagen vorliegt, kann man damit rechnen, dass da auch noch in diesem Jahr Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben werden wird.

Timm: Der Wissenschaftsjournalist und Internetexperte Peter Welchering über Gratismentalität und Grundversorgung im Netz. Herzlichen Dank fürs Gespräch!

Welchering: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

"Links zum Thema bei dradio.de:"

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