Die Treuhandgeschichte und ihre Wahrnehmung

Von Stephan Hilsberg · 13.05.2012
Dirk Laabs hat den Anspruch, wirklich die ganze Wahrheit über die Treuhand zu erzählen. Präzise schildert er kleine und große Korruptionsfälle. Allerdings bleibt er in diffusen Schuldzuweisungen stecken, ein wirtschaftswissenschaftlicher Diskurs fehlt.
Größer kann der Anspruch eines Autors gar nicht sein. Dirk Laabs, ein investigativer Journalist verspricht uns in seinem neuen Werk die "wahre Geschichte der Treuhand". Das war jene Institution, die an ihrem selbstgestellten Anspruch, die ehemalige Volkswirtschaft der DDR aus ihrem Bankrott herauszuführen und auf eine marktwirtschaftliche Grundlage zu stellen, grandios gescheitert ist. So nimmt man als Leser dieses flüssig geschriebene Buch neugierig in die Hand, auf Aufklärung und neue Erkenntnisse hoffend – und bekommt Stimmungen und Meinungen geliefert.

Sein Buch, aufgebaut wie ein Roman, entwickelt mehrere Erzählstränge. Dabei schafft es Laabs, einem die unterschiedlichsten Akteure, darunter Treuhandmanager angefangen bei Rohwedder bis hin zu einzelnen Außenstellenleitern in den ehemaligen Bezirken der DDR, sowie Unternehmer, Gewerkschafter und oppositioneller DDR-Wissenschaftler nahezubringen. Er macht alte Hoffnungen und Skandale, die sich um die Treuhand ranken, wieder anschaulich. Und er schildert präzise eine Reihe von kleinen und großen Korruptionsfällen, so beispielsweise die Geschichte der Leuna-Privatisierung, die bundesdeutsche Gerichte bis in die heutigen Tage hinein beschäftigen.

Hier hat Laabs seine große Stärken. Aber Laabs will eben mehr. So präsentiert er die Intention einer kleinen Gruppe von DDR-Wissenschaftlern und Oppositionellen, die sich selber als "Forschungsgruppe" versteht und leider erst angesichts der beginnenden Revolution 1989 begonnen hat, sich konzeptionell mit der Überleitung der DDR-Staatswirtschaft in eine Marktwirtschaft zu beschäftigen, ihrer Idee einer Treuhand für die staatlichen Betriebe in der DDR:

"Vorschlag der umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft (Holding) zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am ‚Volkseigentum‘ der DDR"

Ja so war das 1990. Diese Wissenschaftler wollten endlich den ideologischen Anspruch der SED, dass das Volk im Besitz seiner Wirtschaft zu sein hätte in ein konkretes Besitzverhältnis überführen. Das konnte nicht gelingen, stieß aber damals in Ostdeutschland auf Zustimmung. Modrow, der letzte Regierungschef der SED gründete dann die Treuhand für die Volkswirtschaft der DDR, wobei er faktisch den Leitungsgremien der Staatlichen Betriebe ein neues Etikett verpasste.


In einem hatte die Forschungsgruppe Recht: Angesichts der geöffneten Mauer und der damals bevorstehenden Deutschen Einheit, angesichts des Bankrotts der DDR-Volkswirtschaft und ihres verrotteten Kapitalstocks sowie der Ohnmacht und Westorientierung ihrer Betriebsleiter würde es extrem schwer werden, die DDR-Wirtschaft geordnet in die Marktwirtschaft zu führen. Stattdessen drohte ein in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmaliger Beutezug der kapitalkräftigen westdeutschen Konzerne und Unternehmen durch Ostdeutschland. Diese Gefahr sah auch Detlef Carsten Rohwedder, Chef der Treuhand seit dem 1. Juli 1990, dem Tag der Einführung der D-Mark. Sie hat faktisch über Nacht die Wettbewerbsunfähigkeit der ostdeutschen Betrieb (VEB) offenkundig und damit zahlungsunfähig gemacht und darüber hinaus von ihren Exportmärkten abgeschnitten. Schlimmer konnte es nicht kommen.

Doch Rohwedders Konzept, die beste Sanierung der ostdeutschen Betriebe sei ihre Privatisierung, war leider kurzschlüssig. Denn es bedeutete, dass die Sanierung erst mit der Privatisierung beginnen durfte. Und das vergrößerte den enormen Handlungsdruck, unter dem die Treuhand ohnehin stand, die überdies, wie Laabs eindrucksvoll belegt, personell und materiell völlig unvorbereitet an diese Riesenaufgabe gegangen war. Fatal, dass sich die Bundesregierung, die doch im eigentlichen Sinne die wirtschaftspolitische Verantwortung trug, vornehm zurückhielt, was selbst Rohwedder kurz vor seiner Ermordung Ostern '91 übel aufstieß:

"Ich kriege von Herrn Waigel keine richtige Unterstützung. Ich muss hier die Drecksarbeit machen, und Bonn hält sich völlig raus. Wir sind hier die Leute, die quasi das Vehikel sind, um aufzuräumen."

Für die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl war die Treuhand offenbar nichts anderes als ein Konkursverwalter, mit dessen schmutziger Arbeit sie sich nicht beflecken wollte. Der ohnehin geringe Verkehrswert der ostdeutschen Betriebe, denen, solange nicht privatisiert ein faktisches Modernisierungsverbot auferlegt war, verfiel sichtbar. Und nun kam auch noch Korruption hinzu:

"‘In der Treuhand bekommt man nichts, wenn man vergisst zu schmieren‘ behauptet die ‚Neue Zeit’"

schreibt Laabs, und beschreibt eindrucksvoll einige Beispiele von großer und kleiner Korruption. Beeindruckend auch die Schilderung der Erpressbarkeit der Treuhand, die einen Strategiewechsel hin zu einer Sanierung vor Privatisierung zwingend geboten hätte. Doch der kam zu spät. Die Umstrukturierung der ostdeutschen Industrie war ohne großen Arbeitsplatzverlust nicht zu leisten. Bei fast allen gelungenen Privatisierungen sank die Mitarbeiterzahl zwischenzeitlich auf 10 %. Die Vernichtung ganzer Wirtschaftsstrukturen, dass Ausradieren wirtschaftlicher Traditionen und Entwerten von Qualifikationen hingegen wäre zu verhindern gewesen. Teuer war es sowieso. Doch die Abermilliarden, die über die Treuhand in den Wiederaufbau der ostdeutschen Industrie geflossen sind, hätten rechtzeitig eingesetzt, eine bessere Wirkung erzielen können.

Die Ostdeutschen fühlten sich nicht nur im Stich gelassen, sondern unter Duldung ihrer eigenen Regierung ausgeraubt. Laabs zitiert hier einen ostdeutschen Ingenieur, der Opfer eines krassen Falles von Korruption wurde:

"Ich meine, die ganze Wirtschaft der DDR ist ja irgendwie weggenommen worden. Det war Volkseigentum, und da ich mich als Volk fühle, bin ick natürlich sauer. …. Det war so gewollt. Das System wurde gewollt. Da haben sie in Leipzig und in Dresden alle ‚Helmut!’ geschrien, und dann haben sie Helmut gekriegt. Das ist natürlich nicht gemeint worden, dass viele arbeitslos werden und auf der Strecke bleiben, aber det war det System. Insofern bestand die Möglichkeit, det eben auch so auszuschlachten."

So war die Stimmung in den 90-er Jahren. Sicher schwingen da in der Resignation auch Reste kommunistischer Ideologie mit. Und hier zeigt sich auch die Schwäche des Laabschen Buches. Durch das Fehlen jeglicher Form eines wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses über die Grenzen und Möglichkeiten der Restrukturierung der ostdeutschen Industrie bleibt der Autor in den Verletzungen und diffusen Schuldzuweisungen von damals stecken. Und das ist 22 Jahre nach der Währungsunion schlicht zu wenig.

Dirk Laabs: "Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand"
Pantheon Verlag, München 2012
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Cover: Der deutsche Goldrausch© Pantheon Verlag
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