Die Traumata der "Widerstandskinder"

16.01.2008
Was es hieß, in einer Familie von NS-Widerstandskämpfern aufgewachsen zu sein, war bisher wenig bekannt. Nach der Perspektive der Kinder hat nun die Familientherapeutin Eva Madelung in zahlreichen Interviews gefragt. Die einen empfanden das Bewusstsein, etwas Besonderes zu verkörpern, andere übernahmen die Verfolgungsängste ihrer Eltern.
Die Ehrung des Widerstands im Dritten Reich ist heute einer der Grundpfeiler des politischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik. Alljährlich wird der Opfer des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 feierlich gedacht. Überlebende Widerstandskämpfer sind gefragte Zeitzeugen. Was es jedoch hieß, in einer Familie von NS-Widerstandskämpfern aufgewachsen zu sein: das war bisher wenig bekannt. Nach der Perspektive der Kinder hat nun Eva Madelung, selbst Tochter des NS-Gegners Robert Bosch, in einer wissenschaftlichen Untersuchung gefragt: Wie werden NS-Oppositionelle aus der Sicht ihrer Kinder dargestellt – und welchen Einfluss hatte der Widerstand der "Heldenväter" und "Heldenmütter" auf das Leben der Kinder?

Die Autorin hat für das Buch gemeinsam mit zwei Kolleginnen mehr als ein Dutzend Interviews geführt: 15 Söhne und Töchter erzählen über ihre Beziehung zu den herausragenden Eltern, über das eigene Erleben von deren Widerständigkeit und ihr Zurechtkommen mit der Situation nach dem Krieg. Der NS-Widerstand stand damals noch im Ruch des Vaterlandsverrats. Erst nach Jahrzehnten rangen sich Gesellschaft und Politik der Bundesrepublik dazu durch, die Widerstandskämpfer zu ehren.

Für die meisten der Interviewten war die besondere Situation, dass ein Elternteil Widerstandskämpfer war, prägend für das weitere Leben. Viele von ihnen wuchsen als Halbwaisen auf, weil jener Elternteil noch in den letzten Kriegsjahren hingerichtet wurde. Einige benötigten therapeutische Hilfe, einige kamen erst Jahrzehnte später auf den Gedanken, dass die Schwierigkeiten, die sie mit ihrem eigenen Leben hatten, mit dem Schicksal des Vaters oder der Mutter zu tun haben könnte.

Mitunter übernahmen die Kinder sogar die Verfolgungsängste ihrer Eltern. Zumeist aber blieben sie geprägt von deren Bedeutung: Innerhalb der Familie kam es zu Ikonisierungen des ermordeten Vaters, meist durch die verwitwete Mutter. Eines der Kinder wurde dann gleichsam zum Partnerersatz und hatte in der Familie den Platz des Vaters einzunehmen.

Außerhalb der Familie erfuhren sie fast durchgehend Distanz: Auch viele Jahre nach Kriegsende waren sie als noch "Verräterkinder" gebrandmarkt und hatten in der Schule eine Sonderstellung – übrigens gleichermaßen in der BRD wie in der DDR. Diese Stigmatisierung hatte ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder von Widerstandskämpfern: Fast alle erzählen, dass sie dadurch stärker geworden seien, zwar kein Elitebewusstsein, aber doch das Selbstbewusstsein entwickelt hätten, als Angehörige dieser Familie etwas Besonderes zu verkörpern. Und die Befragten geben ähnliche Charaktereigenschaften über sich an, die sie gleichsam als Vermächtnis des Elternteils im Widerstand ihr Leben lang gepflegt hätten: Geradlinigkeit, Sinn für Gerechtigkeit, bei manchem Aufmüpfigkeit schon seit der Schulzeit. Es scheint, als wären alle zu starken Persönlichkeiten gereift.

Positiv wirkt sich auf die Interviewführung aus, dass Eva Madelung Familientherapeutin ist: So kann sie die Traumata herausarbeiten, unter denen manche "Widerstandskinder" bis ins hohe Alter noch leiden. Durch stets ähnlich gestellte Fragen werden die Ähnlichkeiten der Empfindungen deutlich, aber auch signifikante Unterschiede, etwa wenn es um die Beurteilung des Vaters oder der Mutter als "Täter" oder "Opfer" geht. In jedem Fall war aber deren Lebensweg prägend für den ihrer Kinder.

Rezenseniert von Stefan May

Eva Madelung/Joachim Scholtyseck:
"Heldenkinder – Verräterkinder. Wenn die Eltern im Widerstand waren",

Verlag C.H.Beck, München, 2007, 308 Seiten, 24,90 €