"Die Totenruhe ist heilig"

Von Manuel Waltz · 28.01.2011
Darf man die Totenruhe der 30 Juden, die auf dem verwahrlosten Häftlingsfriedhof des ehemaligen KZ-Außenlagers Flößberg begraben wurden, stören und sie in guter Absicht umbetten? Um diese Frage entwickelte sich eine Auseinandersetzung, mit der die Initiatoren der Umbettung nicht gerechnet hätten.
"Das Barackenlager war hier auf diesem Feld, unmittelbar hier an dieser Straße. Dieses Gesträuch dort in der Mitte und dort rechts, das sind Fundamentreste von den Baracken, die hier auf diesem Feld gestanden haben. Insgesamt waren hier 1900 Häftlinge jüdischen Glaubens."

Stefan Walter steht am Rande des Örtchens Flößberg, 30 Kilometer südlich von Leipzig. Er blickt auf ein kleines Feld und deutet auf zwei mit Sträuchern bewachsene Hügel. Dahinter beginnt der Wald. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Hugo Schneider AG hier noch ein Außenlager des KZs Buchenwald errichtet. Die knapp 2000 Gefangenen mussten in der dazu gehörigen Fabrik Panzerfäuste für die letzten Monate des Krieges herstellen. Stefan Walter ist Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Flößberg, die die Erinnerung an das Lager aufrecht erhalten will. Auf seinem Weg durch den Wald bleibt er plötzlich stehen und deutet durch den Regen auf eine etwa drei Meter breite Schneise.
"Hier wächst ja auch wieder kein Baum, wo keine Bäume sind, war meistens was. Das ist auch eine Feldbahntraße, die hier entlang geführt hat. Die ... wenn Sie jetzt hier genau durchgehen, kommen Se zu den Befüllungsorten, wo diese Panzerfäuste befüllt worden sind."

Wer die Spuren des KZs hier im Wald nicht kennt, sieht sie auch nicht. Lediglich ein kleiner verwahrloster Häftlingsfriedhof, auf dem eine Gedenkstätte eingerichtet ist, erinnert heute noch daran. Genau um diesen Friedhof wurde in den vergangenen Monaten heftig gerungen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand dabei plötzlich der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Sachsen. Das jedoch ohne eigenes Zutun. Doch der Reihe nach: Wolfgang Hiensch ist Bürgermeister der Stadt Frohburg, zu der Flößberg und damit auch der Friedhof seit Anfang 2009 gehören. Er erinnert sich.

"Und dann wurden wir im März oder April 2009 mit einem Schreiben von Herrn Leroff vollkommen überrascht, der festgestellt hat, wie das da draußen aussieht, wie unwürdig das ist und er bittet dringend um einen Gesprächstermin mit mir."

Klaus Leroff ist Geschäftsführer des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Sachsen und zuständig für alle Kriegsgräber im Freistaat. In Borna, zehn Kilometer westlich von Flößberg, gibt es einen weiteren Friedhof, auf dem Opfer des Lagers begraben sind. Auch dieser muss dringend saniert und umgestaltet werden. Da das Budget für Kriegsgräber knapp ist, kam Klaus Leroff eine Idee, die er selbst so beschreibt.

"Da Borna sehr in der Nähe liegt macht es Sinn, da diese Toten aus dem selben Konzentrationslager kamen, dieselbe Lebensgeschichte hatten, sie eben beizubetten, weil der Bornaer Friedhof hergerichtet werden muss, weil er zu DDR-Zeiten umgestaltet worden ist, will ich es mal nennen, in einer Art und Weise, die dem nicht Rechnung trägt."

Dieser Vorschlag leuchtete zunächst allen ein. Allen außer den Vertretern der Geschichtswerkstatt, die den Friedhof erhalten und sogar um einen Erlebnispfad zu den Spuren des Lagers erweitern wollten. Doch ein anderes Problem trat zunächst in den Vordergrund: Bei den cirka 30 Toten, die auf dem Friedhof begraben liegen, handelt es sich um Juden, hauptsächlich aus Polen und Ungarn. Das Judentum aber erlaubt die Umbettung von Toten nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Dr. Almekias Siegl, der Landesrabbiner von Sachsen erklärt:

"Die Umbettung macht man nur, wenn von hier das Grab oder die Knochen oder die Leiche nach Israel geliefert sollte. Zum Zweiten, wenn er in einer anderen Stadt seine Angehörigen haben, die den das Grab pflegen wollen. Sonst ein Grab ist heilig."

Klaus Leroff war dieser Umstand bewusst. Deshalb hat er bei den Jüdischen Gemeinden in Sachsen angefragt, ob es denn nicht eine Möglichkeit gäbe, die Toten dennoch umzubetten. Heinz Joachim Aris ist deren Vorsitzender. Er erinnert sich:

"Da wir vom Prinzip her eigentlich allen Dingen immer aufgeschlossen gegenüber stehen, haben wir gesagt, vielleicht ist so was möglich. Wobei von vorn herein die religionsgesetzlichen Hinderungsgründe klar waren."

Die Jüdischen Gemeinden nahmen sich Bedenkzeit, um eine Entscheidung zu treffen. Diese Bedenkzeit aber versuchten vor allem die Gegner der Umbettung für sich zu nutzen. Klaus Leroff beschreibt es so:

"Und dann setzte etwas ein, was ich bis heute nicht verstanden habe. Kirchenvertreter, Politiker aus Bundestag, Europaparlament und was weiß ich ... liefen also dann hier bei Herrn Aris auf und haben im Prinzip ein politisches Klima erzeugt."

Auch Heinz Joachim Aris wunderte sich darüber, welche Tragweite die Entscheidung der Jüdischen Gemeinden plötzlich hatte.

"Wir haben uns unter Druck gesetzt gefühlt, dass wir so in den Mittelpunkt des ganzen Problems gerückt worden sind. Wobei das ja ursprünglich mal durchaus nicht unser Problem primär war."

Plötzlich herrschte ein Klima des Misstrauens. Keiner wollte mehr mit der Presse reden, die Beteiligten hatten Angst, etwas Falsches zu sagen. Und alle warteten auf das Votum der Jüdischen Gemeinden. Das fiel dann eindeutig aus.

Heinz Joachim Aris: "Und im Resultat der Konsultationen mit einer ganzer Reihe Anderer, sowohl mit der allgemeinen Rabbinerkonferenz, mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und unsere eigene Meinung sind wir zu Auffassung gekommen, dass eine Umbettung nicht angebracht wäre."

Das Votum gegen eine Umbettung wurde von den übrigen Beteiligten akzeptiert. Die Jüdischen Gemeinden sind froh, dass sie damit ihren Beitrag in der Angelegenheit geleistet haben und sich wieder auf Anderes konzentrieren können. Heinz Joachim Aris noch einmal.

"Wir hoffen es zieht jetzt Ruhe ein, wir hoffen sehr, dass es eine würdige Gestaltung erfährt, die Stelle. Das ist nun jetzt den vor Ort Agierenden überlassen."

Diese haben als ersten Schritt beschlossen, einen Zaun um den Friedhof zu bauen, damit Wildschweine nicht mehr den Boden zerwühlen. Alles Weitere wird in den kommenden Monaten entschieden und wird, nachdem die religiösen Fragen geklärt sind, nicht zuletzt vom Geld abhängen.