Die Teenager-Perspektive

Von Dirk Schneider · 18.11.2008
Für eine junge Schriftstellerin ist es eine Geschichte fast wie aus einem Bilderbuch: Die 28-jährige Veronika Rotfuß veröffentlichte ihre Kurzgeschichte in einer Obdachlosenzeitung, ein Verleger wurde aufmerksam, und aus der Kurzgeschichte wurde ein Roman. In "Mücke im März" lässt die Autorin scheinbar leicht und mühelos die seelischen Abgründe ihrer 15-jährigen Hauptfigur aufblitzen.
"Ich hab angefangen mit dem Buch, als ich in einem Callcenter abends gejobbt habe. Also, ich war auf der Schauspielschule, dann bin ich jobben gegangen und bin um zehn heimgekommen und war so fertig, dass ich mir ein bisschen gewünscht hab, ich könnte jünger sein und zu Hause wohnen und alles wäre gut. Und da, glaube ich, ist das so unbewusst einfach herausgepurzelt, dass ich dachte, ich schreibe aus der Sicht einer 15-jährigen."

Veronika Rotfuß sitzt an einem großen Konferenztisch im Hamburger Carlsen Verlag und fläzt sich dabei selber wie ein Teenager in ihren Stuhl. Sie trägt einen flaschengrünen Wollpulli und Jeans, ihre dunkelblonden, schulterlangen Haare zum Seitenscheitel. Die Flucht aus einem schwierigen Alltag ist der 28-jährigen mit ihrem Buch dann doch nicht gelungen.

Für die 15-jährige Mücke, die Hauptfigur in Rotfuß’ Romandebüt, ist nämlich gar nicht alles gut. Zwar ist sie frisch verliebt, in ihren Klassenkameraden Yurik. Aber zu Hause liegt ihre früh an Demenz erkrankte Mutter als Pflegefall im Bett. Ihr Vater ist geschäftlich regelmäßig in Japan, und ihr kleiner Bruder Jan ist völlig verstört. Er klammert sich mal an Frau Kowalski, die Haushälterin, mal an Mücke. Die versucht, mit all dem alleine zurecht zu kommen:

"Sie könnte sagen, dass ihre Mutter krank ist, sie könnte sagen, dass sie verliebt ist und es schwierig ist. Sie könnte sagen, dass sie ihren Vater vermisst, oder was auch immer. Und da glaube ich kämpft Mücke darum, zuzulassen, für sich selber und vor anderen, vor ihrem Freundeskreis, zu sagen, dass es gerade eine schwierige Situation ist, dass sie selber überfordert ist."

Mit ihrem zierlichen Körper und dem schmalen Gesicht könnte Veronika Rotfuß auch als 18-jährige durchgehen. Zumindest auf den ersten Blick. Wenn sie dann nach einem Satz nachdenklich, fast düster ins Unbestimmte schaut, wirkt sie dagegen sehr erwachsen. Sie hat einiges gemeinsam mit ihrer Romanfigur. Wie Mücke führt auch sie immer wieder einen Kampf darum, sich gegenüber ihrer Umwelt nicht zu verstellen:

"Ich glaube, dass ich mir auch auf jeden Fall immer sagen muss: Nein, ich versuche nicht, jemand anders zu sein. Ich konzentriere mich jetzt und bin einfach nur da und zeige das, was ich bin und habe, und zu sagen habe - und nicht mehr und nicht weniger."

Geboren und aufgewachsen ist Veronika Rotfuß in Pforzheim. Ihr Vater arbeitet bei einem Autokonzern, wo er lange Zeit auch am Fließband stand, ihre Mutter ist Erzieherin. Die Eltern sind in Estland beziehungsweise Usbekistan geboren. Mit Anfang 20 kamen sie nach Deutschland.

Darum interessiere sie sich für Menschen, die in irgendeiner Weise fremd sind, sagt Veronika Rotfuß. Das müssen keine Migranten sein. Besonders von Jugendlichen ist sie fasziniert, denn sie fühlen sich meist nicht nur fremd in dieser Gesellschaft, sondern auch fremd im eigenen Körper. Ihr Verhalten studiert Rotfuß gerne in öffentlichen Verkehrsmitteln:

"Ich finde die einfach so krass. Das ist so witzig die anzuschauen, und wie sie denken und wie sie sich äußern in der Gruppe. Und da gucke ich mir Leute an, zum Beispiel, um sie im Buch zu verwerten."

"'Was war gestern mit dir und Yurik?' will Nora plötzlich wissen. 'Was?' frage ich saudumm zurück und überlege kurz, ob ich ihr von dem Kuss erzählen möchte. Nora kann manchmal schrecklich hysterisch sein und kreischt, wenn sie etwas Neues erfährt, und irgendwie kann ich das gerade nicht brauchen.

'Was!' äfft sie mich nach und mustert mich mit ihrem blöden Kennerblick. 'Willst du deine beste Freundin hinters Licht führen? Sag, oder du erfährst nie wieder etwas von mir!', befiehlt sie. 'Halt dein blödes Maul!', belle ich sie an und vergrabe mich tiefer in die Plüschkissen auf dem Bett."


Von ihren Eltern fühlte sich Veronika Rotfuß sehr geliebt. Für die Interessen ihrer Kinder - Rotfuß’ großer Bruder ist Musiker und DJ - hatten sie allerdings nur bedingt Verständnis. Deren Scheitern, das haben die Eltern schnell klar gemacht, würden sie nicht finanzieren. Ein warmes Mittagessen aber würde es immer geben. Eine so schwierige Jugend wie Mücke hatte Veronika Rotfuß auf keinen Fall. Aber sie erinnert sich an ihre Adoleszenz als anstrengende und verwirrende Zeit.

"Nicht dass meine Mutter jetzt krank war und alles schwierig, aber einfach von dem Gefühl: 'Boah, es ist einfach gerade viel zu tun, ich weiß nicht, ob ich das kann'."

Nach einer Ausbildung zur Goldschmiedin, ein typischer Beruf in der Schmuckstadt Pforzheim, ist Veronika Rotfuß nach München gezogen, um auf die Schauspielschule zu gehen. Die Schauspieltechniken haben ihr sehr dabei geholfen, beim Schreiben lebendige, glaubwürdige Figuren zu entwerfen.

"Also: Was lieben die Personen, was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie eine bestimmte Situation betrachten, oder wie ist das Volumen der Stimme der Person?"

Vor ein paar Monaten hat Veronika Rotfuß geheiratet, einen Informatiker. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich aber selbst, mit einer eher profanen Arbeit, die ihr aber Spaß macht:

"Jetzt momentan bin ich in einer Agentur tätig, bin einfach 'ne Tipse, mach' mit, was da so anfällt am Telefon oder am Computer. Da bin ich zwei, drei Tage in der Woche. Ansonsten bin ich zu Hause und schreibe oder lese."

Noch schreibt Veronika Rotfuß an keinem neuen Buch. Sie macht Schreibübungen, denn bevor sie ein weiteres Buch anfängt, möchte sie besser werden. Nötig hätte Veronika Rotfuß solche Bescheidenheit nicht: "Mücke im März" hatte nicht viel, aber sehr gute Presse. Und es ist kein Buch, das nur Jugendliche ansprechen dürfte. Mit ihrem Debüt hat Veronika Rotfuß längst das Ziel erreicht, das sie sich für ihr nächstes Buch gesetzt hat:

"Es soll einfach nur was Wertvolles sein, das bleibt - 'bleibt' ist vielleicht das falsche Wort - aber das etwas zu sagen hat und einige Leute da trifft, wo sie es brauchen. Wo sie getroffen werden wollen und wo sie sich unterhalten lassen wollen."

Veronika Rotfuß: Mücke im März
Carlsen Verlag 2008,
189 Seiten, 12 Euro