Die syrische Band Khebez Dawle - Teil 2/5

Lesbos: Ankunft am Touristenstrand

Flüchtlinge bei ihrer Ankunft an der Küste von Lesbos (5. Oktober 2015)
Die syrische Band Khebez Dawle landet - wie viele andere Flüchtlinge - an der Küste von Lesbos. © dpa / picture-alliance / Zoltan Balogh
Von Tabea Grzeszyk · 05.01.2016
Rund einen Monat waren die Musiker der syrischen Band Khebez Dawle unterwegs, um von Beirut nach Berlin zu kommen. Unterwegs haben die Syrer Konzerte gegeben. In den Medien werden sie als Band bekannt, die ihre Flucht nach Europa in eine Tournee verwandelt hat.
Folge 2: Lesbos. Ankunft am Touristenstrand.
Ich schaue noch immer fassungslos auf das Facebook-Foto. Sechzehn syrische Flüchtlinge posieren am Strand der griechischen Insel Lesbos. Unter ihnen: die Musiker der syrischen Band Khebez Dawle, die ich vor zwei Jahren bei einem Konzert in Beirut kennen gelernt habe. Anas, Hekmat, Bazz, plötzlich sind sie Flüchtlinge, die ihr Leben für eine Überfahrt mit dem Schlauchboot nach Europa riskieren. Bashar, der zweite Gitarrist, hängt noch immer in der Türkei fest. Ich erreiche meine griechische Freundin Elina Makri. Sie trifft die Jungs in Athen, besorgt ihnen ein Hostel. Und stellt ihnen Fragen. Elina nimmt das Interview auf und schickt es mir per Mail. Ich lausche der unglaublichsten Geschichte einer Ankunft, die ich je gehört habe.
Anas Maghrebi: "Wir sind an einem Hotelstrand gelandet, wir haben Leute gesehen und haben uns vorgestellt: 'Hallo, wir sind Musiker, wir kommen aus Syrien. Ich weiß, dass das kein normaler Weg ist, nach Griechenland einzureisen, es tut uns leid'. Als wir hallo sagten und uns als moderne Menschen vorstellten, obwohl die Einreise illegal ist, dachte ich, es wäre nett, ihnen eine CD zu geben. Sie waren überrascht: Ihr seid eine Band! Ihr habt eine CD und ihr kommt auf diesem Weg! Das ist surreal! Das passiert nicht zweimal im Jahr."
Mir fehlen die Worte. Die Jungs haben Humor: Erst riskieren sie ihr Leben bei der Fahrt im Schlauchboot über's Mittelmeer. Kaum gelandet, verteilen sie ihr erstes Studioalbum, das sie in Beirut aufgenommen haben, an Touristen am Strand des "Aphrodite"-Hotels. Die Welt der Badehosen und All-inclusive-Drinks trifft auf das Elend der globalen Migration. Was für eine PR-Aktion! Die Hotelbesitzerin schreibt auf Facebook:
Ich kann es nicht glauben...ein Boot mit jungen Männern kam gerade an. Sie haben mir gesagt, dass sie alle Musiker sind und dass es ein sehr besonderes Boot ist. Ich hatte keine Ahnung, wie Recht sie hatten! Sie haben mir als Geschenk ihre CD namens "Khebez Dawle" gegeben. Ich habe auf YouTube nachgeschaut, ob ich sie finden kann, und ich bin sprachlos. Sie sind unglaublich.
Ein Konzert der syrischen Band Khebez Dawle
Ein Konzert der syrischen Band Khebez Dawle© Tabea Grzeszyk
Ich glaube, diese Episode ist eine der Lieblingsgeschichten von Anas. Er hasst es, über Schwierigkeiten zu sprechen, über Probleme, Rückschläge, Erniedrigungen. Er möchte kein Flüchtling sein. Am liebsten würde er die Flucht als großes Abenteuer erzählen, als Geschichte einer Band, die auf Tournee ist statt auf der Flucht. Dass sie Musiker sind, die alle Grenzen Europas überwinden, um der Welt ihre Geschichte zu erzählen. Erst viel später beschreibt mir Anas, was sie bei der Überfahrt in der Nähe von Izmir, einem Badeort an der türkischen Mittelmeerküste, alles durchgemacht haben.
Anas spricht nicht gerne über Probleme
Anas Maghrebi: "Es gab Probleme und wir wurden auf den nächsten Tag verschoben. Wir mussten einen Tag im Wald verbringen. Aber wir waren nicht vorbereitet, wir hatten keine Schlafsäcke oder Zelte. Wir haben Panik bekommen angesichts der Tatsache, dass die Schlepper uns einfach dort lassen könnten ohne Verbindung zur Außenwelt. Am nächsten Tag kam ein Typ in den Wald und sagte uns, dass das Schlauboot fertig sei, wir müssten jetzt runterkommen. Als wir ankamen, konnten wir es erst nicht glauben, weil wir nur 16 Leute waren. Normalerweise wollen die Geld machen und nehmen viel mehr mit. Wir sind misstrauisch geworden, stimmt was nicht mit dem Boot, ist der Motor kaputt, was ist los? Sie sagten uns: wir schicken keinen Fahrer mit, ihr werdet das Boot selbst fahren."
Für diese Etappe haben die Musiker 1.200 Dollar pro Person an Schlepper aus der Türkei bezahlt. Eine Flucht nach Europa ist teuer und Griechenland erst der Anfang. Anas, Hekmat und Bazz haben alles aufgegeben, ihre Instrumente und ein kleines Heimstudio in Beirut verkauft. Was ihnen bleibt, ist die Band. Sie ist ihre Mission.
Anas Maghrebi: "Das war schon so, als wir Damaskus für Beirut verlassen haben: Wir versuchen, das Bild von Flüchtlingen in den Massenmedien zu verändern. Die Massenmedien versuchen immer, Flüchtlinge als arme Leute zu zeigen, die nur nach Essen und einem Dach über dem Kopf suchen. Gut, das stimmt für einige Menschen, aber was ist, wenn ich nach mehr suche?"
Die Jungs sind Mitte zwanzig, sie möchten mit ihrer Musik die Welt erobern! Während Anas, Hekmat, Bazz und fünf befreundete Musiker Athen verlassen, sorgt Angela Merkels Satz "Wir schaffen das!" für Furore und Deutschland erstrahlt als europäisches Vorzeigeland. Zeitgleich wird in Mazedonien der Notstand ausgerufen und in Ungarn der Stacheldraht ausgerollt. Als die syrischen Musiker an der ungarischen Grenze ankommen, ist der Zaun geschlossen. Und jetzt?

Hören Sie weitere Folgen der fünfteiligen Serie: Tagebuch einer Flucht mit der Band Khebez Dawle.
Bis zum 08. Januar in unserer Sendung Kompressor ab 14.07 Uhr:

Folge 1: Beirut. Keine neue Heimat.

Folge 3: Zagreb. Flucht als Musiktour

Folge 4: Wien. Pläne schmieden

Folge 5: Berlin. Wie schaffen wir das?