Die stachelige Renée

23.06.2008
Im Mittelpunkt des vergnüglichen Romans der französischen Schriftstellerin Muriel Barbery steht Hausmeisterin Renée. Im Kosmos der reichen Pariser verkörpert die Concierge sämtliche Klischees: Sie ist hässlich, einsilbig - halt ein Stacheltier. Die zwölfjährige Paloma durchschaut die wahre Renée und entlarvt ihre heuchlerische Umgebung.
Seit 30 Jahren versieht sie ihren Dienst als Concierge in einem Pariser Luxuspalais. Die Appartements sind hier im 7. Arrondissement 400 Quadratmeter groß, ihre Bewohner - Minister, Journalisten und Industrielle – zählen zur städtischen Elite. Man wählt sozialistisch, hält Hauskatzen als "bewegliche Dekorationsgegenstände" und entlohnt Putzfrauen mit acht Euro die Stunde.

In diesem Kosmos der Reichen tarnt sich die Hausmeisterin Renée ganz so, wie man es von einer Vertreterin ihres Standes erwartet: sie ist einsilbig, schlecht gelaunt, hässlich und geistig eher minder bemittelt. Alles andere als eine Heldin, wirkt sie zunächst noch nicht einmal besonders sympathisch. Sie ist eine Art Stacheltier, das "entschieden ungesellig und scheinbar träge" dahinlebt.

Dabei führt sie hinter der Maskerade unerkannt eine ganz eigene Existenz. Sie liest Kant, Husserl und Tolstoi, hört Mozart, liebt japanische Filme und betreibt aus sicherem Abstand das Studium ihrer Zeitgenossen.

Nur die zwölfjährige Paloma, ein hochbegabtes Kind aus dem vierten Stock, ahnt, was sich hinter der Fassade der scheinbar einfältigen Angestellten verbirgt. Während sie dabei als verbindendes Moment die gleiche Einsamkeit erkennt, macht sie sich tiefgründige Gedanken - "die Leute meinen, sie verfolgen die Sterne und dann enden sie wie der Goldfisch im Glas".

Mit der Einfühlungsgabe eines klugen Kindes stellt sie die Hausbewohner bloß, deren Eitelkeit und oberflächlichen Snobismus, deren Hang zu Arroganz und Heuchelei. Weil ihr das verlogene Leben ihrer Familie zuwider ist, hat sie beschlossen, an ihrem 13. Geburtstag Selbstmord zu begehen. Bevor es so weit kommt, zieht ein rätselhafter Japaner in das Haus, und die Handlung, die ohne spektakuläre Höhepunkte auskommt, steuert auf ein unerwartetes Ende zu.
Man spürt förmlich das Vergnügen, das Muriel Barbery beim Erfinden ihrer drei Hauptfiguren gehabt haben muss, starke Charaktere, psychologisch genau gearbeitet und oft für eine Überraschung gut. Ihre distanzierten Beobachtungen sozialer Unterschiede durchmischt sie immer wieder mit höchst komischen Situationen, wenn sie die Damen der Gesellschaft beim Schlussverkauf in ein Dessous-Geschäft begleitet oder wenn eine Sitzung beim Therapeuten zum kabarettreifen Sketch über die Pschoanalyse wird.

Daneben streut Barbery eine Fülle von Anspielungen auf Tolstois "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden" in ihren Roman ein, auf die zeitgenössische Kunsttheorie sowie auf japanische Mangas und Haikus. Federleicht kommen ihre philosophischen Verweise daher, wenn sie unter der Hand erklärt, warum die Kunst das einzige Refugium ist, in dem die materielle Besitzgier durch das Erlebnis von Schönheit und Vollkommenheit auszuhebeln ist.

"Die Eleganz des Igels" ist der zweite Roman der 39-jährigen Autorin, die als Lehrerin in der französischen Provinz lebte und seit kurzem in Kyoto wohnt. Das Buch wurde 2007 mit über 400 000 verkauften Exemplaren zu einem Bestseller in Frankreich, in 31 Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen ausgezeichnet.

Muriel Barberys Parabel, wie der langsame Igel, stets nach kreativen Lösungen suchend, auf jeden Fall vor dem schnellen Hasen ans Ziel kommt, ist ein höchst vergnüglich zu lesendes, ausgesprochen gescheites Buch.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Muriel Barbery, Die Eleganz des Igels
Aus dem Französischen übersetzt von Gabriela Zehnder
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2008
380 Seiten, 14,90 Euro