Die siegreichen Ahnen

Von Rolf Cantzen · 13.05.2009
Vor 2000 Jahren hat sie stattgefunden - die sogenannte Varusschlacht, aber wo genau, das kann heute niemand mit Gewissheit sagen. Bezüge zu ihr haben 500 Jahre die deutschen Geister bewegt und einen riesigen Berg von Geschichten und haarsträubenden Mythen entstehen lassen.
Germanendarsteller:
"Wollt ihr kämpfen?"
"Ja!"
"Wollt ihr siegen?"
"Ja!"
"Dann kämpft!"

Die Germanen greifen an.

2009: 2000 Jahre Varusschlacht! Der "Germane" Arminius - auch Hermann genannt - metzelte im Jahre 9 nach Christus mehr als 20.000 Römer unter ihrem Feldherrn Varus nieder.

2009 - ein Jahr der Feierlichkeiten in Kalkriese bei Osnabrück . Hier - da sind sich die Organisatoren der Feierlichkeiten und auch die beteiligten Archäologen und einige Historiker ganz sicher - hier sei der Ort, an dem die "Varusschlacht" stattgefunden habe.

Bis vor einigen Jahren nannte man die Varusschlacht noch "Schlacht am Teutoburger Wald" oder "Hermannsschlacht" und verortete sie meistens 70 Kilometer entfernt in die Nähe der Stadt Detmold. Hier befindet sich auch das martialische Hermannsdenkmal - ein bärtiger Germane mit Flügelhelm und emporgerecktem Schwert.

"Mein Spruch ist immer: Das Hermannsdenkmal ist im Grunde ein Zeichen des 19. Jahrhunderts, Kaiser Wilhelm, sozusagen ein nationales Denkmal und wir versuchen hier im Grunde, wie können wir heute mit dem Thema im 21. Jahrhundert umgehen. Und wenn Sie sich den Museumsbau ansehen aus Stahl, der überhaupt nicht tümelnd ist ..."

Herr Dr. Rottmann, der Geschäftsführer von "Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH - Museum und Park Kalkriese" managt das Produkt "Varusschlacht".

Rottmann: "Wir merken, dass das Thema im Grunde dazu beiträgt, dass wir imagemäßig gewonnen haben, dass auch für die Standortwerbung es eingesetzt wird ... Kalkriese als Standort der Varusschlacht, dass auch Touristen zu uns kommen."

Als Archäologen die Vermutung äußerten, sie hätten den Ort der Varusschlacht ausgegraben, wurde investiert - von Banken und Sparkassen, von Industrieunternehmen der Region, vom Land Niedersachsen, Stadt und Land Osnabrück, von der VW- und anderen Stiftungen.

Besucher nächtigen im neuen Varus-Hotel, Bäcker verkaufen das kräftige Hermannsbrot, in Restaurants gibt es die Varusplatte, beim Fleischer die Salami "harter Hermann".

Der Eindruck entsteht: Hier hat die Schlacht stattgefunden und nicht an den 700 anderen Orten, die im Laufe der Jahrhunderte als Orte der Schlacht im Gespräch waren.

"Wollt ihr siegen?"
"Ja!"

In Kalkriese, am vermuteten Originalschauplatz, und anderswo stellen sie die Schlacht nach. Einige Ausstellungen, viele Veranstaltungen und zahlreiche Publikationen feiern die Germanen, als "unsre" Ahnen, als Urdeutsche und die siegreiche Varusschlacht als die Geburt Deutschlands. Dieser Gründungs-und Ursprungsmythos passt ins Marketing-Konzept und wird im Museum-Kalkriese bedient - auch durch ein pathetisches Filmchen der Dauerausstellung.

Filmszene: "Durch Ausgrabungen gelangen wir aus dem Jetzt in ihre Zeit, auf ihre Spuren, Spuren unserer selbst."

Das sind Identitätskonstruktionen, die viele Historiker für äußerst problematisch halten.

Filmszene: "Was kann man hier finden? Scherben? Mythen? Identität?"

Dr. Josef Rottmann: "Die Suche auch nach der Kulturnation, nachdem die Sportnation ja sich schon ein Stück weit gefunden hat. Und das sind Themen, die wir ja auch zukünftig aufgreifen wollen. Die Frage nach den Helden einer Nation."

Die Frage nach Arminius alias Hermann.

"Wollt ihr siegen?"
"Ja!"

Im Jahre 9 siegten sie.
" ... der Wendepunkt der deutschen Geschichte ..."
"Der Tag, an dem Deutschland entstand..."
"... deutscher Urknall ..."
"Entstehung der deutschen Nation ..."
".. der deutschen Kultur ..."


Diese und andere Mythen geistern heute noch - oder wieder - durch die zahlreichen Bücher, Zeitungsberichte, Romane, Dokumentar- und Spielfilme. Programmatisch für viele der neuen Publikationen ist ein Vorsatz wie der von Peter Arens. Mit seinem im Eichborn Verlag erschienenen Buch "Kampf um Germanien" - der Buchdeckel im Holzdekor, suggeriert werden soll vermutlich deutsche Eiche - mit dem Buch will er klarmachen, dass eine politische und kulturelle Befangenheit dem Stoff gegenüber nicht mehr angebracht ist.

Ein "befangener" Blick zurück:

"Neunzehnhundert-Jahrfeier der Schlacht am Teutoburger Walde. Detmold, 15. bis 22. August 1909."

Das Festplakat zeigt einen Germanen mit Rauschebart und Flügelhelm, mit grimmigem Blick, das Schwert in der Hand.

Hunderte als Germanen kostümierte Männer mit 200 Pferden zogen durch die kleine Stadt Detmold, um den, so die Veranstalter, "Siegeszug der Deutschen" darzustellen.

"Festlich geschmückte Frauen bringen den Kriegern in irdenen Töpfen und Hörnern Met entgegen, einige tragen die Waffen der Verwundeten, andere haben den heimgekehrten Gatten neben sich, zu dem der Knabe an der Hand des Vaters stolz emporblickt."

Zur 1900-Jahr-Feier gab es noch keine Pizza und Cola wie in diesem Jahr, aber Stände mit Bier und Bratwürstchen, Kaffee und Kuchen, verkauft wurde vaterländische Literatur, Hermann-Figürchen und allerlei Germanen-Devotionalien - ein nationales Volksfest zum Jubiläum eines der, wie es hieß, ...

... größten Ereignisse unserer Geschichte, wenn nicht gar das größte schlechtweg."

Nationalistische Historiker behaupteten:

"Kein Zweifel: Indem Arminius das römische Heer vernichtete, hat er unsere Nationalität gerettet. Dass wir noch Deutsche sind, verdanken wir ihm."

Sonst wären wir "romanisiert" worden, hätten keine eigene Sprache, keine "wesensgemäße" Kultur, kein reines "germanisches" Blut, keine "deutschen" Tugenden - sonst gäbe es "uns" nicht, das "deutsche Volk" - dieser Mythos wurde 1909 in vielen Büchern, Zeitschriften und Zeitungen verbreitet.

Uwe Puschner: "Es ist einmal interessant, dass die 1900-Jahr-Feier der Varusschlacht im Wesentlichen ein publizistisches Ereignis war. Es gibt eine ganze Reihe von Monografien, die dazu erschienen sind, es gibt eine Menge von Zeitungsartikeln, von Zeitschriftenartikeln, ähnlich wie das seit letztem Jahr jetzt auch wieder im Gange ist, es gab aber nur eine Hauptfeier, und die fand in Detmold statt, also beim sogenannten Hermannsdenkmal und wurde von der Stadt Detmold beziehungsweise von einem Verein, der dazu ins Leben gerufen war, initiiert. Und das war ein großes Volksfest, das ging über eine Woche, es gab einen großen Festzug mit etwa 600 Teilnehmern, die als Germanen und Römer verkleidet waren und die germanisches Leben präsentierten."

Uwe Puschner ist Historiker an der FU-Berlin, Fachmann für völkisch-nationalistische Bewegungen.

Es war damals vor allem ein Medienereignis - und das ist es heute auch. Und damals kursierten Ursprungs- und Identitätsdiskurse, die es auch heute noch - oder wieder - gibt:

Uwe Puschner, FU-Berlin:
"Bei unseren Forschungen ist uns aufgefallen, dass wir, immer wenn wir in die Öffentlichkeit gehen, insbesondere in die breite Gesellschaft, dass dort Denkmuster auftauchen, wo wir überrascht sind, dass die heute noch aktuell sind, wo wir annahmen, dass die mit dem Nationalsozialismus spätestens untergegangen sind."

Und diese "Denkmuster" haben eine Geschichte, die in das 16. Jahrhundert zurückreichen. Die Initialzündung bildeten die Texte von Tacitus. Das einzig erhaltene Skript seiner "Annalen" stöberte Anfang des 16. Jahrhunderts ein sogenannter Handschriftenjäger in einer heruntergekommenen Klosterbibliothek an der Weser auf: Hier fanden sie eine Passage zur Schlacht zwischen den Römern unter Varus und einem germanischen Stamm, den Cheruskern, unter Arminius. Der Cherusker Arminius war ein römischer Offizier und Anführer einer Hilfstruppe, ein Verräter, der sich gegen seine früheren Mitkämpfer erhob. Tacitus schrieb über ihn etwa zu Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus:

"Unstreitig war er der Befreier Germaniens, der das römische Volk, das in höchster Blüte stehende Reich, herausgefordert hat, in den einzelnen Schlachten nicht immer erfolgreich, im Krieg unbesiegt."

Das ist der Stoff, aus dem sich Mythen basteln ließen: "Befreier Germaniens", "im Krieg unbesiegt". Anzumerken ist, dass es "die" Germanen als einheitliches Volk nicht gab. Es gab aber sehr wahrscheinlich - es gibt keine schriftlichen Quellen der Betroffenen - kein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Römer bezeichneten die sich oft untereinander bekämpfenden Völker zwischen Rhein und Oder pauschal als "Germanen". Es ist also ebenso eine Fremdbezeichnung wie "Germanien".

Die politisch selbstständigen einzelnen Volksstämme identifizierten sich nicht mit "Germanien". Das begann sich Ende des 15. Jahrhunderts zu ändern. Tacitus Annalen, die zusammen mit der schon länger bekannten Schrift "Germania" Anfang des 16. Jahrhunderts gedruckt wurden, lieferten so etwas wie eine ideologische Grundlage.

"Die Germanen sind eingeboren und gar nicht durch Einwanderung und Aufnahme anderer Stämme vermischt."

Das schrieb der Römer Tacitus in seiner "Germania".

"... wilde, blaue Augen, rötliches Haar, große tüchtige Leiber..."

Das lasen die nun deutschen Humanisten und Reformatoren.

"...ein eigentümliches, unvermischtes und nur sich selbst ähnliches Volk..."

Tacitus' "Germania" war eine Tendenzschrift, in der Tacitus die Germanen zu edlen Wilden stilisierte, um sie den "dekadenten" Römern als Spiegel vorzuhalten. Deutsche Nationalisten hatte dieses Motiv noch nie interessiert. Tacitus lieferte ihnen den Mythos, sie würden von den heldenhaften Siegern über Rom abstammen, hätten unvermischtes Blut, eine originäre Kultur und "arteigene" Tugenden.

"Das ist natürlich eine absolute Reaktion auf die wahnsinnige Arroganz der italienischen Humanisten, die sich natürlich immer als die Nachfahren der Römer verstanden haben und die Barbarenkarte immer zu den anderen herüber gespielt haben, das heißt in diesem Falle zu den Deutschen. Und als die nun plötzlich mit einer Schlacht daher kamen im Jahre 9 - und das muss man auch noch einmal sehen: Es ist ja die einzige wirkliche Rebellion unter römischen Vorzeichen, in denen die Aufständischen gesiegt haben. Das ist schon etwas ganz besonderes."

Das meint der Historiker Ralf-Peter Märtin. Er schrieb das beim Fischer Verlag erschienene Buch "Die Varusschlacht. Rom und die Germanen". Märtin analysiert hier auch kritisch die Instrumentalisierungen der Varusschlacht, wie auch Rainer Wiegels, der bis vor seiner Emeritierung die Ausgrabungen in Kalkriese wissenschaftlich begleitete.

"Eine Instrumentalisierung der Varusschlacht und der Rolle des Arminius zu frühnationalen Zwecken im späteren 15. und vor allem im 16. Jahrhundert. Dieses hängt mit der damaligen Situation in Deutschland und mit dem Verhältnis gegenüber Italien und Papsttum dann aber auch schon gegenüber Frankreich zusammen."

Die Rezeption der Varusschlacht im 16. Jahrhundert wirkte bis ins 20. Jahrhundert hinein. Der Humanist Ulrich von Hutten - er lebte von 1488 bis 1523 - war ein Gegner des Papsttums und plädierte für eine Unabhängigkeit dessen, was er "teutsche Nation" nannte. Tacitus Schilderung der Germanen und der Sieg von Arminius boten ihm Ansatzpunkte für so etwas wie eine frühe Germanenideologie und einen Heldenkult.

"Arminius soll als der Freieste, Unüberwindlichste und Deutscheste gefeiert werden".

Und Hutten konstruiert einen Zusammenhang zwischen Germanen und Deutschen, zwischen der römischen Herrschaft und der des Papstes und feiert Arminius als Nationalhelden und Gründungsvater einer "teutschen Nation". In einer Schrift, die Arminius zum größten aller Feldherren kürt, lässt er ihn sagen:

"Im Geist bin ich niemandem jemals Untertan gewesen. Ich war immer auf Freiheit bedacht, denn ich habe immer nur im Sinne gehabt, wie ich dem Vaterland bei sich bietender Gelegenheit helfen könnte."

Rainer Wiegels: "Dieses alles war aber nur möglich, weil im Zuge der von Humanisten betriebenen Suche nach antiken Texten die Schriften des Tacitus wiederentdeckt und durch Druck verbreitet wurden. Letztlich ist es also ein spezifisch, von der Neuzeit her interpretierter Tacitus, dem der Gründungsmythos verdankt wird, wo in dieser Sicht ein großes Schlachtgeschehen eben besonders geeignet schien, einen solchen Mythos zu begründen. Eine Schlacht sieht dann wie ein Urpunkt aus."

Ein "Urknall der deutschen Geschichte"- davon spricht eine Informationstafel im Historischen Museum in Berlin. Und da eine siegreiche deutsche Schlacht und ein deutscher Held einen deutschen Namen brauchen, gab es einen - sehr wahrscheinlich von Martin Luther. Er taufte Arminius in Hermann und versicherte:

"Wenn ich ein Poet wer, so wolt ich den celebrieren. Ich hab in von hertzen lib. Hat Herzog Herman geheißen."

Hermann - Mann des Heeres - dieser Name setzte sich jetzt durch und viele Humanisten und Reformatoren hatten ihn wie Luther "von hertzen lib" und machten ihn zum tugendhaften Kämpfer gegen Unzucht, Untreue, Ungehorsam und Hochmut.

Im 17. und 18. Jahrhundert ging es so weiter. Es entstanden Romane.

"Grosmüthiger Feldherr Arminius oder Hermann, Als tapfferer Beschirmer der deutschen Freyheit, Nebst seiner Durchlauchigten Thusznelda ..."

Der Titel eines mehr als 3000 Seiten langen Nationalepos von Lohenstein. Thusznelda war übrigens Hermanns blonde und von den Römern entführte Heldengattin. Es ging um Kampf, Liebe, Verrat und Tod. Hunderte von Opern und Dramen entstanden."

"Lieber sterben, als leben,
wenn's gilt für die Freiheit."


"Freiheit" bedeutete nicht individuelle Freiheit, sondern Freiheit von äußeren Feinden und Einflüssen.

"Hermanns Schlacht, Hermann und die Fürsten, Hermanns Tod".

Friedrich Gottlieb Klopstock schrieb Ende des 18. Jahrhunderts gleich drei vaterländische Dramen über den Nationalhelden Hermann. Die Zahl der Dramen, Opern und Trauerspiele werden auf etwa 300 geschätzt. Ernst Moritz Arndt appellierte:

"Teutsche, vergesst den Hermann nicht, fleht die Vorsehung an um einen solchen Mann und Befreier, weist eure Mitwelt und Nachwelt darauf hin; und er wird kommen, und ihr werdet ein Volk seyn und ein freies starkes Volk."

Ralf-Peter Märtin: "Im 19. Jahrhundert geht es natürlich darum, dass man sich Anfang des 19. Jahrhunderts erst einmal gegen die Franzosen definiert. Die Franzosen haben eine ähnliche Funktion wie die Römer."

Napoleons Truppen schlagen die österreichischen im Jahre 1805, die preußischen 1806. Der Hass auf die Franzosen überwältigt viele deutsche Dichter und Denker, hier Arndt:

"Ja, ich hasse, es ist meine Lust und mein Leben, dass ich noch hassen kann. Hass ist der einzige, gewaltige Retter und Helfer."

Und Heinrich von Kleist schreibt 1809 in seiner Ode "Germania an ihre Kinder" über den Umgang mit "dem"

"Alle Plätze, Trift' und Stätten färbt mit ihren Knochen weiß; welchen Rab' und Fuchs verschmähten, gebet ihm den Fischen preis; Dämmt den Rhein mit ihren Leichen."#

Und so weiter. Und dann:

"Schlagt ihn tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht."

Ralf-Peter Märtin: "Kleist sagt das ganz eindeutig: Wir sind die unterdrückten Völker der Römer und er meint damit die Franzosen und da hat natürlich die Schlacht und die Rolle, die Hermann spielt, eindeutig die Rolle des Befreiers. Das ist derjenige, der die Unterdrücker Deutschlands aus dem Lande jagt."

Der Rezeptionsgeschichte des Dramas geht Ralf-Peter Märtin auch in seinem Buch "Die Varusschlacht" nach.

Zu Lebzeiten Kleists wurde seine "Hermannschlacht" aus politischen Gründen nicht aufgeführt. Erst 1839, dann 1860 kam es zu wenig beachteten Aufführungen in zwei Provinzstädten. Das änderte sich nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Reichsgründung. Bei Kleist verbindet sich ein antifranzösischer Affekt mit einem deutsch-nationalen Ursprungsmythos, der jedoch erst Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wirksam wurde. Und noch ein anderes ideologisches Versatzstück gewinnt Anfang des 19. Jahrhunderts an Bedeutung:

"... deutsches Volk - Kern des Menschengeschlechts."

Schiller.

"... Urbild der Menschheit ..."

Kleist.

"... reine Innigkeit der germanischen Nation ..."

Hegel.

Hermann steht für all das. Und er fungiert bis heute - nicht nur in den "Heimseiten" der Rechtsradikalen - als Retter der Reinheit der deutschen Sprache.

Ralf-Peter Märtin: : "In dieser Reinheit kann sie erst zur Philosophiesprache werden, denn nur die deutsche Sprache als die einzige rein gebliebene Sprache ist überhaupt in der Lage, einen bestimmten Erkenntnisprozess zu befördern. Und das ist ja eine unglaubliche Aufwertung dieser Sprache und natürlich auch dieser Nation, die diese Sprache spricht."

Die deutschen Dichter und Denker pflegten Ursprungs-, Entstehungs- und Reinheitsideologien, die den späteren Überlegenheitsideologien die notwendige denker- und dichterische Weihe gaben. Und einige Romantiker konstruierten die deutsche Nation als ethnisch reine Volksgemeinschaft.

Nach dem Sieg über die Franzosen 1870/71 und der Reichsgründung errichtete man ein gewaltiges Denkmal in der Nähe Detmolds, dem vermeintlichen Ort der Hermannschlacht. 1875 wurde es eingeweiht, im Beisein des deutschen Kaisers. Die Firma Krupp sponserte das 60 Kilo schwere Schwert mit den Aufschriften:

"Deutsche Einheit meine Stärke - Meine Stärke Deutschlands Macht."

Kaiser Wilhelm wird als Nachfahre Hermanns stilisiert und die Deutschen als Nachfahren der Germanen. Und der Festredner betont, sie seien ...

"... nicht nur ein Volk der Dichter und Denker, sondern nun auch wehrbereit und waffengewaltig ..."

Dazu spielte die Musik Wagners.

Eine Satire auf die völkischen Inszenierungen von Wagner-Opern: Die "lustigen Nibelungen" von Oscar Strauss. Die Völkischen ärgerten sich gewaltig.

"...die Verhöhnung des herrlichsten Eigens, welches unser Volk besitzt, unsere Nibelungensage, des gewaltigsten Werkes der Weltliteratur überhaupt..."

Dem Nibelungenlied kam Anfang des 19. Jahrhunderts die Bedeutung als deutsches Nationalepos zu. Es wundert nicht, dass verschiedene Autoren es mit der Geschichte von Hermann und der Hermanschlacht in Verbindung brachten. So spekulierte Adolf Giesebrecht, hinter Hermann verberge sich Siegfried und der von ihm erlegte Lindwurm sei die symbolische Darstellung des römischen Heereszuges. Diese gewagte These gefiel deutsch-nationalen und später völkischen Kreisen sehr: Man hätte es so im Doppelpack: Einen deutschen Nationalhelden - Siegfried alias Hermann alias Arminius - gefeiert im deutschen Nationalepos. Noch heute sind Historiker wie Peter Arens in seinem Buch "Kampf um Germanien" von der Siegfried-gleich-Hermann-These schwer beeindruckt:

"Der Lindwurm der Sage könnte den römischen Heereszug symbolisieren, der mit dem blitzenden Metall der Waffen und Rüstungen durch den Teutoburger Wald schlängelte."

Arens ordnet noch weitere Motive des Nibelungenliedes Arminius und der Hermannschlacht zu und betont, dass sie

"... in ihrer Gesamtheit durchaus beeindrucken."

Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts steht die Hermannschlacht nicht nur für den Kampf gegen äußere Feinde, so der Historiker Uwe Puschner. Hervorgehoben wird

"... dass man sich an diesem Symbol Hermann bewusst machen soll, dass man sich vor Fremdeinflüssen immer schützen muss. Das betrifft dann insbesondere den Bereich der Kultur, Theater, Literatur, die Sprache auch, die Sprachreinigungsbewegung des späten 19. Jahrhunderts. Und - im Umkehrschluss - man soll sich rückerinnern an seine eigenen Normen, an seine eigene Vergangenheit, an seine eigene Kultur und sich nicht von fremder Kultur beeinflussen lassen. Das geht dann hinein bis in die Religion: Dass gesagt wird, was war denn unsere eigene, unsere sogenannte eigene, unsere ursprüngliche Religion und das führt dann eben dazu, dass man dazu vermeintliche germanische Religion erneuern und als Religion der Deutschen implantieren will, was nicht gelingt."

Der Hermannmythos wird Teil einer Germanenideologie, die auf drei Säulen steht: Der germanischen und nordischen "Rasse", deren Überlegenheit über andere Völker und der unmittelbaren Blutsverwandtschaft von Germanen und Deutschen.

Uwe Puschner: "Die Germanenmythologie oder die Germanenideologie - das ist neben dem Rassismus, neben der Rassenideologie ein zentraler Pfeiler des völkischen Denkens überhaupt."

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten sich die rassistischen Ideologien und propagierten die "Ungleichheit der Rassen" und die Überlegenheit der "nordischen" und germanischen Rasse.

Uwe Puschner: "Bereits zu Beginn der antisemitischen Bewegungen in den späten 1870er-Jahren war dieser Arminiuskult, beziehungsweise war die Germanenideologie doch in hohem Maße antisemitisch aufgeladen. Es gibt etwa ein antisemitisches Pamphlet, was auf seinem Titelblatt eine jüdische Stereotypfigur zeigt, das auf dem Sockel des Hermanndenkmals steht und Hermann ist von diesem Denkmal gestürzt und liegt klagend unterhalb des Denkmals."

Der Reinheitskult - reine Sprache, reine Kultur, reine Rasse - wird - zunächst in der Theorie - exekutiert. Armin steht für die deutsche Reinheit und Einheit. Juden gehören nicht dazu.

"Zurück zu den heidnischen Germanen durch Reinigung des Volkskörpers von artfremden Menschen und eine Reinigung der Volksseele von artfremder Religion und Kultur."

So der völkische Denker Julius Langbehn, ein anderer, Artur Dinter:

"Die Rasse ist nebst meiner Religion das Höchste und Heiligste, was ich besitze. Ja, meine Religion besitze ich nur durch meine Rasse."

Uwe Puschner: "Man bleibt beim Christentum, ist aber gezwungen dann natürlich auf Grund der Rassen- und Germanenideologie das Christentum zu arisieren, zu germanisieren."

Jesus kreiert man neu als irgendwie "deutschen Mann" und Nichtjuden und die Menschheit, so eine bis heute in völkischen Kreisen populäre Theorie, stamme aus dem Norden und habe - rein und am höchsten stehend - der gesamten Menschheit die Kultur gebracht.

Uwe Puschner: "Eine neue Theorie, die ex-septentrione-lux-Theorie, das Licht kommt aus dem Norden."

Derart ideologisch aufgerüstet feierten die Völkischen "ihren" Hermann, feierten das 1900-Jahr-Jubiläum, zogen 1914 in den Krieg gegen den Erzfeind Frankreich. Heinrich von Kleists Hermannsschlacht wird in Berlin aufgeführt. Ein Schauspieler erinnert sich:

"Wie oft wurde damals nach der Vorstellung von der Bühne herab irgendein großer Waffengang verkündet."

Nach dem Krieg trafen sich völkisch-nationalistische Kreise gelegentlich am Hermannsdenkmal - unter ihnen auch Hitler. Ins Gästebuch des nahegelegenen Restaurants schrieb er:

"Keiner red' vom alten Recken der Vergangenheit, der nicht die Pflicht zu gleichem Wirken für die Zukunft in sich fühlt."

Ansonsten versuchte sich Hitler von völkischen Germanenkulten abzusetzen. 1934 behauptete er in einer Rede:

"... dass die Germanen schon tausend Jahre, bevor Rom gegründet wurde, einen kulturellen Höchststand erlebt haben."

Eine durch nichts zu belegende Aussage, die auch heute noch zu hören ist. Ansonsten überließ Hitler die Germanen der SS. Sein Chefideologe Rosenberg warnte jedoch vor einer Missachtung ...

: "... deutscher Vergangenheit und germanischer Kultur ... "

... und sah eine ...

"... neue Ahnenreihe entstehen, die von Armin dem Cherusker ... bis zu Adolf Hitler führt."

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde es still um Hermann. Als Archäologen dann in den 90er-Jahren in Kalkriese den Ort der Schlacht entdeckt zu haben meinten, entstand ein Museum - gesponsert nicht von Krupp, sondern von örtlichen Stahlunternehmen, Banken und öffentlichen Trägern. Der deutsche Hermann wurde weitgehend entsorgt und die Hermannsschlacht alias Schlacht am Teutoburger Wald mutierte zur Varusschlacht.

"Wollt ihr kämpfen? - Ja. - Wollt ihr siegen? - Ja. - Dann kämpft!"

" ... Hermann - ein deutscher Freiheitsheld ..."

"... Retter der deutschen Sprache ..."

"... des reinen deutschen Blutes ..."

"... unsre Ahnen, die Germanen ..."

Uwe Puschner: "Im öffentlichen Bewusstsein ist weiterhin es augenscheinlich so, dass man sich von dort eine Kontinuität bis in die Gegenwart der deutschen Geschichte sieht. Anders wäre es auch nicht zu erklären, dass in diesem Jahr so intensiv - und das ist im letzten Jahr schon losgegangen - sich mit der Varusschlacht auseinandergesetzt wird und immer wieder nach Arminius gefragt wird, es ist ein Potential in der Gesellschaft vorhanden, dass diese Kontinuitäten noch denkt. Und heute ist man dabei, das von wissenschaftlicher Seite das zu dekonstruieren, zu relativieren, aber diese Legenden und Mythen scheinen in der Gesellschaft nicht ausrottbar zu sein."