Die Seelenhelfer

Unterwegs mit dem Kriseninterventionsdienst

Krisenintervention
Mitarbeiter des Kriseninterventionsdienstes helfen nach Suiziden und Unfällen. Oder wie hier in Cloppenburg, wo 2011 eine Bombe entschärft wurde. © picture alliance / dpa / Foto: Friso Gentsch
Von Elise Landschek · 28.04.2015
Wenn ein Familienmitglied durch einen Unfall oder ein Verbrechen stirbt, dann überbringt die Polizei die Todesnachricht. Oft ist auch ein Team vom Kriseninterventionsdienst des Roten Kreuzes dabei. Die Helfer bekommen für ihre Arbeit kein Geld. Was treibt sie an?
Ein sonniger, warmer Frühlingsmorgen im Hamburger Stadtteil Stellingen. Doch für eine Bewohnerin der roten Klinkerbauten ist heute früh die Welt aus den Fugen geraten. Ihr Mann ist auf seiner Arbeitsstelle plötzlich tot zusammengebrochen. Sie selber ist schwer krank. Oliver Ahrens und Gesine Plagge vom Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes, kurz KIT, sind auf dem Weg zu ihr. Im Auto herrscht angespannte Stille.
"Man macht sich Gedanken, was man da wohl vorfinden wird, wie man weiterhelfen kann. Man stellt sich immer die Frage, gibt es Angehörige, das ist immer die beste Weiterversorgung, gibt es Kinder, die einspringen können, die ihrer Mutter zur Seite stehen können. Weil es nichts Schlimmeres gibt, als einen Menschen, der alleine dasteht, schwerst krank und der einzige Angehörige, der noch da sein könnte, ist selber verstorben."

Oliver Ahrens arbeitet seit sechs Jahren ehrenamtlich für das KIT, eigentlich ist er Angestellter in einer Apotheke. Wenn Ahrens beim KIT Bereitschaftsdienst hat, ist er 24 Stunden lang auf Abruf, jederzeit kann das Telefon klingeln. Seine Kollegin Gesine Plagge ist 28 und seit drei Jahren dabei. Das wichtigste bei ihrer Arbeit sei: Zuhören, Stützen, Trost spenden, erzählt Gesine Plagge. Aber ohne unnötige Floskeln wie: "Das Leben geht weiter".

Gesine Plagge: "Einfach auch Stille aushalten zu können. Das ist das schwierigste am Anfang. Aber am Ende ist es das Dasein und das war der größte Anspruch ans eigene Lernen."
"Nehmen wir deinen Rucksack? / Ja."
Erste-Hilfe-Medizin, wenn jemand zusammenbricht
Gesine Plagge und Oliver Ahrens tragen gelb-blaue Rotkreuz-Jacken, in ihrem Rucksack haben sie zahlreiche Broschüren mit Beratungsangeboten für Angehörige, Ratgeber für die Organisation von Bestattungen, Erste-Hilfe-Medizin für den Fall, wenn jemand zusammenbricht. Sie klingeln an einem der Sozialbauten, die Tür geht auf. Ich warte draußen auf die beiden.

Ein paar Wochen vor dem Einsatz fand beim Roten Kreuz in Hamburg eine interne Schulung für KIT-Mitglieder statt. Oliver Ahrens leitet ein Rollenspiel, das der echten Situation vor Ort sehr nahe kommen soll.

"Wir haben jetzt folgendes Setting: wir überbringen die Todesnachricht mit der Polizei... Der Ehemann ist heute Morgen beim Unfall ums Leben gekommen."

Training für den Ernstfall. Ein Teammitglied übernimmt den Part der Angehörigen, ein anderer übernimmt die Rolle des Helfers vom KIT.
"Das kann nicht wahr sein. / Setzen sie sich erstmal. / Ich will ihn sehen! / Das versuchen wir, ich helfe ihnen. Kann ich jemanden für sie anrufen?"
In der Auswertung hinterher besprechen sich die Teammitglieder, worauf sie achten müssen:
"Ich finde, ihr habt das sehr schön gemacht, Michael ist sehr empathisch auf Kathrin zugegangen..."

Zurück zum realen Einsatzort in Hamburg-Stellingen, zu der Frau, die am Morgen ihren Mann verloren hat. Schon nach einer Stunde kommen Oliver Ahrens und Gesine Plagge zurück zum Auto. Manche Einsätze dauern mehr als sechs Stunden, erzählt Ahrens.
"Die Situation vor Ort war ganz anders, als wir das eigentlich erwartet haben. Die Familie war schon vor Ort, es waren alle tieftraurig und haben viel geweint, aber es war gut. Wir haben dann angeboten, Informationen zu geben, wie kann sie die nächsten Tage gestalten, welche Belastungssituationen können noch auftreten, und haben uns dann noch mit den Angehörigen zusammen gesetzt und ein gutes Gespräch geführt."
Im Einsatz nach Suiziden und Gewaltverbrechen
Ahrens und Plagge arbeiten oft zusammen, sie haben schon die unterschiedlichsten Reaktionen von Angehörigen erlebt. Nach Suiziden, Gewaltverbrechen oder dem Unfalltod von Kindern.

Plagge: "Also ich merk das körperlich immer, wenn man in Einsätzen war. Wenn man jemanden die Hand hält oder in den Arm genommen hat, man nimmt einen Teil von dieser Traurigkeit mit, dann ist das so ein Kribbeln im ganzen Körper."
Ahrens: "Das ist eine Strategie: man muss mit dem Einsatz leben). Man fühlt dann vielleicht auch mit, ein paar Tage, aber dann schafft man das in eine Schublade zu legen, das wegzupacken."

Doch manchmal brauchen auch die Helfer Hilfe. Für sie bietet das Rote Kreuz Supervisionstermine an, dort können sie über das Erlebte sprechen und werden psychologisch betreut. Für Gesine Plagge und Oliver Ahrens ist ihr Ehrenamt trotz der Belastungen wichtiger Lebensinhalt. Weil es ein gutes Gefühl ist, gebraucht zu werden. Und weil es ihren Leben Sinn gibt und Tiefe, antworten beide.
Ahrens: "Die KIT-Einsätze erden einen so. Und das ist so ein Einsatz, der einen an das eigene Leben erinnert. Wenn man dann hört wie die Frau sagt, ich denk, er kommt im nächsten Moment zur Tür rein, das ist genau dieser Punkt. Dass man sich bewusst von den Angehörigen verabschiedet, bewusst aus der Haustür geht und sich immer darüber bewusst ist, dass man nicht wiederkommt. Das ist etwas, was man in dieser Situation tatsächlich denkt."
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