Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Die Schule von Trostenez Über Erinnern und Vergessen in Belarus Autorin: Olga Kapustina Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Birgit Morgenrath Produktion: DLF 2016 Erstsendung: Dienstag, 21.06.2016 , 19.15 Uhr Erzählerin: Claudia Mischke Sprecher: Haussprecher Richard Hucke Übersetzer 1: Nachrichten, Zitate, Kuznezow: Simon Roden Übersetzer 2: Lukaschenko, Wal. Schuldirektor: Jochen Kolenda Übersetzerin 1: Gontscharowa, Zitatorin: Susanne Flury Übersetzerin 2: Bogdanova, Nachr.: Camilla Renschke Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Atmo Eröffnung der Gedenkstätte und Musik Terem "Tatamka" Erzählerin Am Abend des 22. Juni 2015 dominiert ein Thema auf allen staatlichen Fernsehkanälen in Belarus. O-TON Sendung Panorama: Übersetzer Guten Abend! Die Gedenkstätte in Trostenez ist bereit für die Eröffnungszeremonie. Auf dieses Ereignis hat man in Belarus und im Ausland Jahrzehnte lang gewartet. O-TON Sendung GlavnyEfir: Übersetzerin Noch vor einem Jahr gab es auf der Straße Selizkogo in Minsk nur ein Feld und die Ruinen des ehemaligen Konzentrationslagers Trostenez. Die Errichtung der Gedenkstätte begann nach dem Besuch des Staatoberhauptes in Trostenez im Sommer letzten Jahres. In dieser Zeit wurde das Projekt vom Präsidenten persönlich kontrolliert. O-TON Nachrichten ONT: Übersetzer Vor einem Jahr legte Alexander Lukaschenko an diesem Ort den Grundstein. Nun hat er an der Kundgebung zur Eröffnung des ersten Teils der Gedenkstätte teilgenommen. Ansage Die Schule von Trostenez Über Erinnern und Vergessen in Belarus Ein Feature von Olga Kapustina Atmo Eröffnung der Gedenkstätte Erzählerin Alexander Lukaschenko - der seit 1994 das Land autoritär regiert - geht einen frisch gepflasterten Weg entlang. Ihm folgen junge Männer in grünen Uniformen und Schirmmützen sowie Frauen in weißen Blusen und schwarzen Röcken. Auf beiden Seiten des Weges stehen dutzende Bildschirme, auf denen Schwarz-Weiß-Fotos von Opfern des Nationalsozialismus zu sehen sind. Mehrere Kameras filmen das Geschehen und übertragen die Bilder live im Fernsehen. Atmo Eröffnung der Gedenkstätte Männliche Stimme sagt auf Russisch "PresidentRespubliki Belarus' Aleksandr Grigorjewitsch Lukaschenko" Erzählerin Alexander Lukaschenko stellt sich ans Rednerpult vor der neuen, zehn Meter hohen, rostbraunen Skulptur "Pforte der Erinnerung". Sie zeigt 27 leidende Lagerinsassen an einem Stacheldrahtzaun. O-TON Lukaschenko Übersetzer 2 Liebe Freunde, der 22. Juni 1941 ist ein tragisches Datum für unser Volk. Den Anfang des Großen Vaterländischen Krieges begehen wir als den Tag der Erinnerung und der Trauer für das ganze Volk. Erzählerin Die Kamera zeigt eine totale Einstellung vom Gelände, auf dem hunderte Zuschauer stehen. Danach zeigt sie Nahaufnahmen von Kriegsveteranen, an deren Sakkos Medaillen hängen. O-TON Lukaschenko Übersetzer Wir dürfen niemandem unseren großen Sieg abtreten. Denn er ist das Zeugnis der Größe des sowjetischen Volkes, dessen Nachfahren wir sind. Für den Sieg unserer Väter und Großväter sollen das aufgeklärte Europa und die ganze Welt ihnen und uns als deren Erben danken. Erzählerin In Belarus spricht man nicht vom Zweiten Weltkrieg, sondern wie in Russland und während der Zeit der Sowjetunion vom "Großen Vaterländischen Krieg". Man nennt ihn auch... Musik Ernst Busch "Der Heilige Krieg" Erzählerin ...heiliger Krieg" und "Volkskrieg". Musik Ernst Busch "Der Heilige Krieg" Erzählerin In der Schule lernen die Kinder, dass er mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann und mit der Kapitulation der Deutschen am 9. Mai 1945 endete. An allen Hochschulen des Landes wird seit 2004 die Vorlesungsreihe "Der Große Vaterländische Krieg des sowjetischen Volks im Kontext des Zweiten Weltkriegs" vorgetragen. Das Lager in Trostenez wurde im Geschichtsunterricht bis vor kurzem nur beiläufig erwähnt. Erst seit der Präsident die Gedenkstätte 2015 eröffnete ist Trostenez in aller Munde. In den staatlichen Medien wird es als das viertgrößte Konzentrationslager Europas nach Buchenwald, Auschwitz und Dachau dargestellt, in dem 206.500 Menschen umgebracht wurden. Diese Zahlen ermittelte die sowjetische Außerordentliche Kommission. Sprecher Aus dem Bericht der Außerordentlichen Staatlichen Kommission zur Untersuchung der Gräuel der deutsch-faschistischen Besatzer in Minsk, September 1944: Zitator "Zehn Kilometer von Minsk entfernt im Dorf Maly Trostenez errichteten die deutsch-faschistischen Besatzer ein Konzentrationslager der deutschen Geheimpolizei. Dort wurden friedliche Bürger inhaftiert, die dem Tode geweiht waren. Im Wald von Blagowschina, der 1,5 Kilometer vom Lager entfernt ist, wurden die Gefangenen erschossen. Die Leichen wurden in Gruben verscharrt." Erzählerin Im Wald von Blagowschina wurden nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 30.000 und 150.000 Menschen - vor allem einheimische und ausländische Juden - ermordet. Sprecher 1942 berichtete SS-Unterscharführer Gerhard Arlt dem vorgesetzten Zugführer: Zitator "Am 17.7. traf ein Transport mit Juden ein und wurde zum Gut gebracht. Am 21., 22. und 23.7. werden neue Gruben ausgehoben. Am 24.7. trifft bereits wieder ein Transport mit 1000 Juden aus dem Reich hier ein. Vom 25.7. bis 27.7. werden neue Gruben ausgehoben. Am 28.7. Großaktion im Minsker russischen Ghetto. 6000 Juden werden zur Grube gebracht. Am 29.7. 3000 deutsche Juden werden zur Grube gebracht. Die nächstfolgenden Tage waren mit Waffenreinigen und Instandsetzungen ausgefüllt." O-TON Alla Gontscharowa Übersetzerin Onkel Anton hat erzählt, dass er, wenn er auf dem Pferd aus dem Wald oder vom Feld zurückkam, sah, wie der Boden in Blagowschina sich bewegte. Die Deutschen haben die Juden dort lebendig begraben. Die Juden mussten die Gruben für sich selbst ausheben. Dann mussten sie sich an deren Rand stellen und wurden erschossen. Einige wurden getroffen. Die anderen fielen verwundet oder lebendig in die Grube. Onkel Anton hat das gesehen. Er hat uns das erzählt. Erzählerin Alla Gontscharowa ist 78 Jahre alt und lebt in Minsk. Sie wuchs inTrostenez auf. Atmo Führung in Maly Trostenez Erzählerin Der Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt Minsk AliaksandrDalhouski führt deutsche Historiker durch das Lager-Gelände in Maly Trostenez. Mitten auf der Wiese mit den frisch gepflasterten Fußwegen steht seit 2015 die Skulptur "Die Pforte der Erinnerung". 1942 hatte die SS auf dem Gebiet der Karl-Marx-Kolchose ein Gut zur Eigenbewirtschaftung eingerichtet. O-TON AliaksandrDalhouski Wir befinden uns immer noch auf dem Gelände; existierte seit Ende April 42 bis Ende Juni 44. Die ersten Insassen waren hier in Infrastruktur der ehemaligen Karl-Marx-Kolchose untergebracht. Lager entsteht 43. Ein Stück weiter, wo Bach oder Teich endet, da wurden zwei-drei Baracken gebaut. Sie wurden mit Stacheldraht umzäunt. In dem Fall kann man vom Lager sprechen. Wir befinden uns hier im Prinzip im Zentrum des Gutsgelände, hinten war das Haus des Kommandanten. Hier gab es Treibhäuser. Der Silo stand irgendwo hier, dort waren jüdische Ärzte untergebracht. Da am Ende des Teiches war eine Mühle. Hinter dieser Mühle war Schaschkowka, da wurden ab Oktober 43 vor allem belarussische Bevölkerung verbrannt. Musik Homless Waltz Erzählerin Insgesamt gab es 23 Transporte mit jeweils 1.000 Juden aus Wien, Berlin, Düsseldorf, Köln, Hamburg, Frankfurt-am-Main, Bremen, Theresienstadt und Königsberg. Die meisten wurden ermordet und in Massengräbern verscharrt. SS-Schergen selektierten aus jedem Transport bis zu 50 Fachkräfte, die Zwangsarbeit im Lager verrichten mussten: Ärzte, Schlosser, Viehzüchter, Tischler. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Manche Zeitzeugen erinnern sich, wie die Juden ins Dorf kamen. Sie tauschten ihre Kleidung gegen Lebensmittel. Sie liefen nicht weg. Wohin auch? Das waren die ersten Juden, die aus Westeuropa hierhin gebracht wurden. Erzählerin Anna Bogdanova ist 28 Jahre alt. Sie ist Historikerin. Das Haus ihrer Großeltern steht im Dorf BolschojTrostenez, zwei Kilometer von Maly Trostenz entfernt. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Von Kindheit an war dieses Haus für mich unsere Datscha, unser Sommerhaus. Bis ich mit 12 das Buch "Die Führung nach Trostenez" von Frau Wankewitsch gefunden habe. Ich habe es komplett durchgelesen. Ich habe geweint, geheult ohne Ende. Erzählerin Sie las: Zitator Als die Mitglieder der Außerordentlichen Kommission nach Trostenez kamen, brannte die Scheune auf dem Gut noch. Im Feuer fanden sie 127 verbrannte Leichen. Man konnte die Gesichter junger Männer und Frauen, alter Menschen und Kinder erkennen. Von einem Balken hing ein Kinderbein herunter. Eine Mutter lag neben ihrem Kind, sie versuchte es mit ihrem Körper zu bedecken. O-TON Anna Bogdanova: Übersetzerin Ich habe meinen Opa gefragt: Opa, stimmt es, dass hier so ein schrecklicher Ort war? Er sagte: Ja, tatsächlich gab es während der deutschen Besatzung im Dorf Maly Trostenez ein Arbeitslager und nicht weit von Trostenez wurden Menschen umgebracht. Erzählerin Die Schülerin Anna Bogdanava setzte sich das Ziel, die Geschichte von Trostenez zu erforschen. Zuerst hielt sie Referate in der Schule, später schrieb sie Hausarbeiten an der Uni. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Ich machte in den Jahren 2006 bis 2010 Interviews mit Zeitzeugen. Viele musste ich mehrmals besuchen. Zuerst lehnten sie ein Gespräch komplett ab oder sprachen nur mit Schablonen. Das heißt: Sie sagten nur das, was in unseren Lehrbüchern steht und der Staatsideologie entspricht. Erzählerin Aber die Dorfbewohner kannten Bogdanovas Großvater und vertrauten ihm. So öffneten sie sich allmählich und erzählten mehr. Zum Beispiel, dass sie selbst oder ihre Verwandten in der Landwirtschaft auf dem SS-Gut ausgeholfen haben. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Man nannte sie "freiwillige Mitarbeiter". Zeitzeugen haben erzählt, dass sie die Arbeit nicht wirklich freiwillig machten. Als die Deutschen Minsk besetzten und nach Trostenez kamen, haben sie eine so genannte Volkszählung durchgeführt. In den Familien mit mehr als zwei Kindern älter als 14 Jahre, wurden die Kinder zwangsweise zur Arbeit geschickt. Wie zum Beispiel die ältere Schwester meines Opas. Sie war Jahrgang 1924. Sie ging morgens zur Arbeit und kam abends zurück. Erzählerin In den Erzählungen der Dorfbewohner waren die Deutschen nicht immer die "faschistischen Henker", als die sie in den sowjetischen Kriegsfilmen und Büchern dargestellt wurden. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Sie behandelten die freiwilligen Mitarbeiter als Arbeitskräfte, nicht als Sklaven. Sie bekamen kein Geld, aber sie bekamen Kleidung von den Juden, die in Blagowschina ermordet worden waren, etwas Essen und Zeitzeugen erinnerten sich, dass man für zwei Eier oder einen halben Liter Milch einen Film in der Schule anschauen konnte. Erzählerin: Nach der Befreiung von Minsk am 3. Juli 1944 lebten die Bewohner in Angst und Not, von Hunger geplagt, erinnert sich Zeitzeugin Alla Gontscharowa. Nur wenige Tage vorher hatten die Nazis ihre Mutter in der Scheune in Maly Trostenez ermordet. Angeblich hatte sie Partisanen geholfen. Alla Gontscharowa war bei ihren Großeltern aufgewachsen. O-TON Alla Gontscharowa Übersetzerin Oma und Opa haben mir nicht erlaubt, auf der Straße zu spielen. Im Wald versteckten sich die ehemaligen Kollaborateure. Sie hatten Hunger. Sie kamen ins Dorf und brachen in die Häuser ein. Zu essen gab es nichts. Wir sammelten die frostgeschädigten Kartoffeln vom Vorjahr auf dem Kolchose-Feld. Oma machte daraus die so genannten "Schajmory". Die alten Kartoffeln waren schwarz. Oma weichte sie ein und legte sie auf einem weißen Lappen auf den Ofen. Wenn sie trocken waren, nahm sie die selbstgemachte Handmühle und machte Mehl. Aus diesem Mehl backte Oma uns eine Art Pfannkuchen. Es gab kein Brot. Es gab nichts. Sprecher Die Zeitung "Sowjetisches Weißrussland" am 19. Mai 1945: Zitator Heute ist das Leben in Maly Trostenez friedlich. Die Frühlingsfelder sind grün. Die lärmende Kinderschar geht in die Schule. Erzählerin Während des Kriegs waren deutsche Soldaten in der Schule von BolschojTrostenez untergebracht. Nach dem Krieg nahm die Schule ihre Arbeit wieder auf und auch Alla Gontscharowa wurde eingeschult. Statt Schulheften und Tinte gab es Wickelpapier und selbst gemachten Rote-Beete-Saft. Die Schule wurde zum geistigen Zentrum des Dorfes. Aber auch dort sprach man damals nicht über die Kriegsverbrechen, die in unmittelbarer Nähe begangen worden waren. O-TON Alla Gontscharowa Übersetzerin Die Menschen waren sehr verschlossen. Sie wussten, in welchen Familien Verräter waren. Unter sich, im Verwandtenkreis sprach man darüber. Aber draußen nicht. Nach dem Krieg lagen viele Waffen herum. Manche Menschen wurden aus Rache erschossen. Man hielt sich vor denen zurück, die als Polizisten für die Deutschen gearbeitet hatten. O-TON Aliaksandr Dalhouski Nach dem Krieg gab es hier so ein Verschweigen, dass das ein jüdisches Lager war. Weil Außerordentliche Kommission hat bestimmten Rahmenbedingungen für Interpretation gegeben: Zahlen, wer hier war, sowjetische Bürger und Punkt. Die Juden wurden ausgeschlossen aus dem Endbericht, das waren alles sowjetische Zivilbevölkerung. Erzählerin Dalhouski erzählt weiter, dass die sowjetische Regierung die wenigen deutschsprachigen Juden, die das Lager überlebten, in Arbeitslager nach Kasachstan schickte. Sie wurden als "Feinde des Volkes" abgestempelt. Die Bevölkerung in Trostenez schwieg, um selbst nicht der Kollaboration beschuldigt zu werden. Schließlich hatten viele auf dem SS-Gut gearbeitet. Zu Stalin-Zeiten konnte ein falsches Wort Grund genug für eine Deportation sein. Antisemitismus hatte in der Sowjetunion eine lange Tradition und auch nach dem Krieg kam es unter Stalin zu Judenverfolgungen. Einige der etwa 20 westeuropäischen Juden, die das Lager überlebt hatten, verschwanden nach der Befreiung von Minsk durch die Rote Armee wegen "Spionage" im Gulag. Ein paar hundert Meter von der Erschießungsstätte in Blagowschina entfernt legte die Stadt Minsk Mitte der 50er-Jahre die größte Mülldeponie der Stadt an. Dass Juden und Kriegsgefangene - die galten als Verräter - den größten Teil der Opfer in Belarus im Zweiten Weltkrieg ausmachten, wurde verschwiegen. Ihr Tod passte nicht zum herrschenden Sieger-Narrativ. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Nach dem Krieg galt die UdSSR als Siegerstaat. Man sprach von der Schlacht bei Stalingrad, von der Schlacht bei Kursk, von den Helden der Sowjetunion und - insbesondere hier in Belarus - von den Anführern der Untergrundbewegung, den Partisanen. Es war der Krieg der Sieger gewesen. Wir ehrten die Helden. Aber in Trostenez gab es keine Helden. Dort waren die Opfer. Atmo Denkmal in BolschojTrostenez Erzählerin Das erste Denkmal in Trostenez wurde im Jahr 1963- während der sogenannten Tauwetter-Periode - auf dem ehemaligen Fußballfeld in Bolschoj Trostenez errichtet. Ein grauer Obelisk ragt noch heute in den Himmel. Das ewige Feuer davor - eine Schale für eine Flamme - brennt nicht. Auf der Wiese nebenan hüten alte Frauen ihre Ziegen. Abends kommen Jugendliche in den Park, sie sitzen auf den Bänken und trinken Bier. Auf dem Schild am Obelisk steht geschrieben: Zitator: "Hier, in der Umgebung des Dorfes Trostenez, haben die deutsch-faschistischen Eroberer 201.500 friedliche Bürger, Partisanen, Gefangene der sowjetischen Armee erschossen, zu Tode gequält, verbrannt." Atmo Musikakzent Erzählerin Zwei weitere Gedenksteine wurden Mitte der 60er-Jahre an der Scheune des Arbeitslagers und an der ehemaligen Verbrennungsgrube im Wald Schaschkowka errichtet. Keines der drei Denkmäler erwähnt die jüdischen Opfer. O-TON Anna Bogdanova Übersetzerin Dass etwa 20 Jahre nach dem Krieg die ersten Denkmäler entstanden, war typisch für die Sowjetunion. Nicht nur in Trostenez, überall wurden pompöse oder weniger pompöse Denkmäler errichtet. Auf jeden Fall aus Beton oder Granit. Erzählerin Historiker Aliaksandr Dalhouski nennt einen weiteren möglichen Grund für die Errichtung der Denkmäler in Trostenez. O-TON AliaksandrDalhouski Es findet ein Heuser-Prozess statt. Ich hab versucht, das zu interpretieren, das ist die Reaktion auf Heuser-Prozess. Etwa wenn die Täter verurteilt werden und wir hier nichts haben, dann ist das peinlich. Sprecher 7. Juni 1963: Die Wochenzeitung "Die Zeit" titelt: "Die gehorsamen Mörder": Zitator: "In diesen Tagen wurde in Koblenz das Urteil in dem bisher größten Kriegsverbrecherprozess der Bundesrepublik gefällt, im Verfahren gegen den ehemaligen Chef des Landeskriminalamtes von Rheinland-Pfalz Georg Heuser, und zehn weitere Angeklagte des SD-Mordkommandos Weißrussland. Sie wurden schuldig gesprochen, an der planmäßigen Ermordung von über 31 000 Menschen beteiligt gewesen zu sein." Sprecher Die Sowjetische Zeitung "Für den technischen Fortschritt" titelt im gleichen Zeitraum: "Das kann man nicht verzeihen": Zitator: "Die Regierung der BRD hat keine sowjetischen Zeugen zum Prozess in Koblenz zugelassen. Stattdessen treten Zeugen auf, die auch auf die Anklagebank gehören. Sie verteidigen ihre Komplizen und machen alles, um ihre Unschuld zu beweisen." Erzählerin Laut Holocaust-Forscher Jürgen Matthäus stellte sich die Lage anders dar: Das Koblenzer Gericht hatte die sowjetischen Zeugen einbestellt, doch das Außenministerium der Sowjetunion hatte mitgeteilt, dass sie nicht erscheinen würden. Stattdessen übergab die Botschaft der UdSSR in Bonn den Richtern in Koblenz den sowjetischen Dokumentarfilm "Die Opfer klagen an". Auf den Schwarz-Weiß-Bildern sieht man Leichen, Asche, Knochen. O-TON Film "Die Opfer klagen an" Übersetzer Noch brannten die Leichen, noch stieg feuriger Qualm aus den menschlichen Körpern, als unsere Truppen Minsk befreiten. Die sowjetischen Menschen und die Staatliche Kommission sahen mit ihren eigenen Augen die Verbrechen der Faschisten. Erzählerin Als Zeuge tritt der belarussische Dorfbewohner Nikolaj Walachanowitsch im Film auf. Schwarz-weiß. Ein Mann in Hemd und Sakko. Eine Glasprothese ersetzt sein linkes Auge. Seine linke Hand liegt auf dem Tisch. Beim Sprechen bewegt er sich kaum. O-TON Walachanowitsch Übersetzer Mein Name ist Walachanowitsch Nikolaj Iwanowitsch. Am 20. Juni 1944 haben die deutschen Faschisten mich und meine Nachbarn verhaftet. Wir wurden in ein Gefängnis nach Minsk gebracht. Am 29. Juni wurden alle Gefangenen zur Erschießung ins Lager nach Trostenez gefahren. Erzählerin An diesem Tag ermordeten die Nazis 6.500 Belarussen in der Scheune auf dem ehemaligen Gut - auch die Mutter von Alla Gontscharowa. Nikolaj Walachanowitsch war einer von vier Gefangenen, die diese Exekution kurz vor der Befreiung von Minsk überlebt hatten. Während des Kriegs hatte er an einer Bahnstation gearbeitet und die Partisanen über die Bahn-Lieferungen der Deutschen informiert. Er wurde zum Kronzeugen für die NS-Verbrechen in Trostenez. Obwohl er weder das jüdische Lager noch die Massenvernichtungsorte in Blagowschina und Schaschkowka kannte. Aber die Scheune wurde zum Fokus der offiziellen Erinnerung an das Todeslager von Trostenez. Die Geschichte von den mutigen Partisanen und bösen "faschistischen Henkern" wurde an die sowjetische Ideologie angepasst. Ein Beispiel: Der Auftritt von Walachanowitsch in der Schule von BolschojTrostenez Mitte der 70er-Jahre. O-TON Lehrerin Übersetzerin Achtung! Es spricht der ehemalige Gefangene des Todeslagers in Trostenez, Walachanowitsch Nikolaj Iwanowitsch. O-TON Walachanowitsch Übersetzer Die Kugel kam hier rein und ging durch das Auge raus. Ich lag zwei Tage zwischen den Leichen. Dann kamen zwei Deutsche vorbei. Einer sagte: Die Leichen stinken schon. Es war sehr heiß. Der andere sagte: Wir machen noch zwei Stunden Erschießungen, dann zünden wir die Scheune mit den Leichen an. Ich habe beschlossen zu fliehen. Ich dachte: Entweder sie erschießen mich dabei oder ich werde es schaffen. O-TON Lehrerin Übersetzerin Das Wort hat der Schuldirektor Potschakowskij Anton Konstantinowitsch. O-TON Schuldirektor Übersetzer Liebe Kinder, wir sind heute sehr beeindruckt. Wir sind traurig und froh zugleich. Traurig, weil wir gehört haben, welche Gräuel die deutschen Faschisten unserem sowjetischen Volk angetan haben. Froh, weil wir vom Heldentum und der Liebe des sowjetischen Volkes zum Vaterland gehört haben. Sie haben heute echte sowjetische Patrioten gesehen und ihnen zugehört. Wir haben nur deswegen gesiegt, weil unsere geliebte kommunistische Partei von 1917 bis zum 22. Juni 1941 echte Patrioten erziehen konnte. (Beifall) Erzählerin Der Auftritt Walachnowitschs in der Schule fand mitten in "der Ära der Stagnation" unter Leonid Breschnew statt. 30 Jahre nach dem Kriegsende war eine Generation sowjetischer Bürger herangewachsen, die den Krieg nicht mehr erlebt hatte. Sie wollte ihn erforschen - allerdings weiter im Rahmen der Staatsideologie: 1975 wurde in der Schule von Bolschoj Trostenez "Das Museum des Todeslagers" eröffnet. Die Schüler sammelten dafür Dokumente und Zeitungsartikel über Trostenez, luden Zeitzeugen ein, schickten ihnen Postkarten zum Siegestag und pflegten das Territorium rund um das Denkmal. Der dafür zuständige Pioniertrupp erhielt den Namen eines ermordeten Arztes aus Minsk. Auch das Gespräch mit Walachanowitsch ist heute noch im Schularchiv aufbewahrt. Aliaksandr Dalhouski von der Geschichtswerkstatt Minsk hat die Magnetbänder digitalisiert. Als Historiker schätzt er die Arbeit der Schule, möchte sie aber nicht überbewerten. O-TON AliaksandrDalhouski Aber, das war alles im Rahmen dieser sowjetischen Narrative gemacht. Niemand ist vergessen, wir kennen unsere Helden, klar ... Die Juden waren nicht wirklich mit dabei. Eine enorme Rolle spielte die Einweihung des Denkmals in BolschojTrostenez. Da hat man mal gesehen die Möglichkeit, patriotische Ausbildung für Schüler zu machen. Atmo Schule draußen Erzählerin Die Mittelschule von BolschojTrostenez ist ein einstöckiges Holzhaus. Die Farbe auf den weißen Fensterrahmen und den türkisblauen Wänden ist an manchen Stellen abgeplatzt. Die Wellzementplatten auf dem Dach sind von der Zeit geschwärzt. Vor dem Eingang ein Blumenbeet. Atmo Tür Unterricht Erzählerin In einem Klassenraum sitzen vier Schülerinnen am Nachmittag auf einer langen Schulbank. Sie gehen in die siebte Klasse und sind 12 Jahre alt. Bei der AG "Führungen in Trostenez" machen sie freiwillig mit. Sie wurde auf Initiative der Geschichtslehrerin Ljubow Malasch gegründet. Das alte Schulmuseum von 1975 über das Todeslager wurde erst 2015 unter dem Namen "Die Wand der Erinnerung" wiedereröffnet. In der Umbruchzeit der Perestrojka stand Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg nicht mehr im Vordergrund. Heute steht an der Wand: "Niemand ist vergessen. Nichts ist vergessen." Daneben hängen Schwarz-Weiß-Fotos von Walachanowitsch und wenigen anderen Überlebenden. Ljubow Malasch legt eine Zeichnung auf die Schulbank. Darauf ist die Chaussee von Minsk in die östlich gelegene Großstadt Mogiljow eingezeichnet. Auf der rechten Seite befindet sich Maly Trostenez. Die Lehrerin zeigt mit dem Stift auf die gegenüber liegende Seite der Schnellstraße. O-TON Dialog Unterricht Malasch Übersetzerin Was glaubt ihr, was ist das? Lest mal. BolschojTrostenez. Seht ihr? Seht her, da sind die Straßen eingezeichnet. Das ist das Dorf, wo wir leben. Was glaubt ihr, was ist das? Schülerin Übersetzerin: Ein Denkmal. Malasch Übersetzerin: Genau, Nastjuscha. Was für eins? Das alte Denkmal in Bolschoj Trostenez. Ja? Ja, genau. Wir bewegen uns weiter auf der Autobahn Richtung Mogiljow. Denkt mal nach, was ist das für ein Objekt? Ja, ja, ja. Blagowschina. Vergesst das nicht. Diesen Ort finden viele nicht. Das liegt auf der gleichen Autobahn-Seite wie unser Dorf, neben der Ausfahrt links zur Müllhalde. Erzählerin Die Frage, wie neben dem Massenvernichtungsort eine Mülldeponie angelegt werden konnte, wird in Belarus öffentlich kaum diskutiert. Es findet sich nur ein Historiker in Minsk, der behauptet, eine Antwort auf diese Frage zu kennen: Igor Kuznezow, Dozent an der Belarussischen Staatlichen Universität und ein Kritiker des Präsidenten Lukaschenko. O-TON Kuznezow Übersetzer Warum entstand dort die Müllhalde? Weil an diesem Ort 1940 wahrscheinlich polnische Offiziere erschossen wurden. Das waren sowjetische Kriegsgefangene, ausländische Bürger. Dieses Verbrechen musste man so verstecken, dass man keine Spur davon hinterließ. Erzählerin Igor Kuznezow glaubt, dass ein ähnlicher stalinistischer Massenmord wie der an polnischen Offizieren 1940, bekannt als das Massaker von Katyn - auch in Blagowschina verübt wurde. Außerdem seien dort politische Gefangene aus Minsker Gefängnissen kurz vor dem Einmarsch der Deutschen im Juni 1941 erschossen worden. Andere Historiker zweifeln an seiner These, weil sie durch keine glaubwürdigen Unterlagen belegt sei. O-TON Kuznezow Übersetzer Es gibt keine Dokumente und es wird sie nicht mehr geben. Die Unterlagen in den KGB-Archiven wurden seitdem sechs Mal vernichtet. Erzählerin Die Mülldeponie war mehr als 50 Jahre in Betrieb. Die riesige Halde ist inzwischen mit Gras bewachsen. Davor liegen immer noch alte Möbel, kaputte Ziegelsteine, zerrissene Mülltüten. Atmo Schülerinnen in Blagowschina Erzählerin Am einem Oktober-Sonntag gehen die Geschichtslehrerin Ljubow Malasch und die drei Mädchen von der AG "Führungen in Trostenez" zum Massenvernichtungsort in den Wald von Blagowschina. Der Weg endet abrupt. Den Mädchen bietet sich ein unheimliches Bild: Hunderte gelber Zettel sind an den Kiefern festgenagelt. Darauf stehen die Namen der Juden aus Wien, die hier erschossen wurden. Verwandte haben sie angebracht. Und dann stoßen sie auf einen etwa einen Meter hohen Gedenkstein. O-TON Ljubow Malasch Übersetzerin Wer mag vorlesen, was auf dem Gedenkstein steht? O-TON Schülerin Übersetzerin An diesem Ort vernichteten die deutsch-faschistischen Besatzer von 1941 bis 1943 mehr als 150.000 sowjetische Kriegsgefangene, Minsker Untergrundkämpfer, Partisanen aus der ganzen Republik, Bürger aus verschiedenen Ecken der Republik, Juden aus dem Minsker Ghetto und vielen Ländern Europas. Atmo Aufräumen in Blagowschina Erzählerin Ljubow Malasch fordert die Mädchen auf, den Ort zu säubern. Sie ziehen die mitgebrachten Handschuhe an und reinigen den Stein und seinen Sockel von Kiefernnadeln und Kieselsteinen. Dieser vierte Gedenkstein stammt aus dem Jahr 2002. Er ist das erste Denkmal in Trostenez, auf dem das Wort "Jude" auftaucht. Musik "Doina" vom Album "Yikhes" (Lineage) - Early Klezmer Recordings 1907-1939 Sprecher Die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte begann in Belarus erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. In den 90-ern entstanden jüdische Vereine, die sich gegen das Verschweigen des Holocaust einsetzten. 2003 wurde die Geschichtswerkstatt Minsk, in der das jüdische Leben erforscht wird, mit deutscher Hilfe gegründet. Die kleine Sensation folgte 2008: Präsident Alexander Lukaschenko besuchte eines der jüdischen Denkmäler in Minsk. Damit war das Tabu der Judenvernichtung in Belarus gebrochen. In Blagowschina soll auf Initiative der Nichtregierungsorganisation "Internationales Bildungs- und Begegnungswerk" aus Dortmund ein großes Denkmal entstehen. Der belarussische Staat plante ursprünglich nur die Gedenkstätte im Dorf Maly Trostenez. Die Deutschen stellen für das Denkmal an der Erschießungsstätte in Blagowschina eine Million Euro bereit. Das Geld soll von Privatinitiativen, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und dem Auswärtigem Amt kommen. Die Abstimmungen mit den belarussischen Behörden ziehen sich in die Länge. Erzählerin Inzwischen haben die Schüler von Trostenez die Wiener Initiative aufgegriffen und einige weiße Zettel mit den Namen ermordeter Belarussen an die Bäume angebracht. Während die Mittelschule zu einer inoffiziellen Gedenkinitiative geworden ist, bleibt das Museum des Großen Vaterländischen Krieges das offizielle Symbol der modernen belarussischen Erinnerungspolitik. Im Jahr 2014 ist es in ein neues Gebäude im Zentrum von Minsk umgezogen. Auf seiner Kuppel weht die rote sowjetische Fahne. Atmo Erzählerin Historikerin Anna Bagdanava arbeitet inzwischen in der russisch-orthodoxen "Gedächtniskirche aller Heiligen" in Minsk. Zur Kirche gehört das Belarussische "Kulturzentrum für geistige Renaissance". Es soll die Schirmherrschaft über die Gedenkstätte Trostenez übernehmen. Bagdanava verarbeitet ein Konzept für Führungen dort. Atmo Kirche Tür Erzählerin Der metallische Türflügel wiegt eine halbe Tonne. Die Kirche ist mit moderner Treppenstufenbeleuchtung und Aufzügen ausgestattet. In der Krypta wurden Materialien aus der ganzen Welt verbaut - von Marmor bis zu Bronze. In der Mitte des Raums brennt ununterbrochen das Licht, das vom Christi-Grab aus Jerusalem hierhin gebracht wurde. Rechts und links in den Wandnischen stehen Gefäße mit Erde von den Orten, an denen Belorussen weltweit gestorben sind - auch aus Trostenez. In einem Nebenraum steht seit März 2016 der Glaskasten mit der Asche der Ermordeten aus der Scheune in Maly Trostenez. Vertreter des staatlichen Museums hatten es feierlich der Kirche übergeben. O-TON Anna Bogdanava Übersetzerin Hier im Gotteshaus haben ihre Seelen die Ruhe gefunden. Natürlich ist es nur ein Tropfen aus dem Meer von Opfern. Aber es ist ein Symbol, dass sie endlich Ruhe und Frieden haben. Erzählerin Historiker AliaksandrDalhouski schätzt die Rolle der Kirche kritisch ein. O-TON AliaksandrDalhouski Also, ich bin der Meinung, Geschichte und Kirche kann nicht so gut verbinden. Gut, wenn die Kirche als Patron da ist. Aber wenn sie versucht, da irgendwelche Inhalte zu bestimmen? Erzählerin Bogdanava sagt, sie könne unabhängig forschen. Sie promoviert inzwischen zum Thema Trostenez. Bogdanova gibt zu, dass die wissenschaftliche Arbeit durch die Ideologie erschwert ist. O-TON Anna Bogdanava Übersetzerin Zu sagen, dass Trostenez kein Todeslager, kein Konzentrationslager im eigentlichen Sinne war, ist immer noch schwierig. Es waren mehrere Vernichtungsorte - der Wald von Blagowschina, die Verbrennungsgrube in Schaschkowka, das SS-Versorgungslager, die Scheune. Das war aber kein Todeslager wie in Auschwitz, Majdanek oder Buchenwald. Unsere Ideologie verbietet uns, das zu sagen. Weil damit die Tragödie unseres Volkes kleingeredet würde. Der zweite Punkt sind die Opferzahlen. Die Außerordentliche Kommission nannte die Zahl von 206.500 Menschen. Die Wissenschaftler zweifeln daran. Aber die Ideologie hält an dieser Zahl fest und sie wird bleiben. Erzählerin Deutsche Wissenschaftler sprechen von insgesamt etwa 60.000 Opfern an allen Vernichtungsorten in Trostenez. O-TON AliaksandrDalhouski Für die Ideologie ist es wichtig, dass das sowjetische Konstrukt im Großen und Ganzen weiterbesteht. Ein bisschen anders. Änderungen kommen. Das ist klar, dass es Transporte aus Westeuropa gab. Die sind jetzt als Opferkategorie ganz unten. Das heißt Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer, Minsker oder belarussische Juden, dann Juden aus Westeuropa. Erzählerin Historiker AliaksandrDalhouski hofft auf einen Generationenwechsel in Belarus. O-TON AliaksandrDalhouski Die, die in der Sowjetunion sozialisiert wurden, das ist im bestimmten Sinne ein Verrat gegen damalige Zeit, als ich jung war und hab geglaubt: das ist die Wahrheit. Jetzt werden die Inhalte geändert, entsteht Eindruck, ich lebte in der Lüge. Das sind die Akteure, die jetzt viel in der Erinnerungspolitik hier bestimmen. Aber die jüngere Generation, die hat größeren Abstand und wurde unter anderen Bedingungen sozialisiert. Sie kann das anders darstellen. Erzählerin Dass Präsident Alexander Lukaschenko 2015 die Gedenkstätte in Maly Trostenez selbst feierlich eröffnete, war eine kleine Sensation. Eine große Sensation würde geschehen, wenn im Wald von Blagowschina, wo die Nazis Tausende Juden ermordeten, tatsächlich ein großes Denkmal entstehen würde. Manche Historiker in Belarus sprechen vom "Tauwetterchen" im Land. Mit Vorsicht. Atmo Kundgebung Schüler in BoschojTrostenez Erzählerin Kurz vor dem 9. Mai 2016, dem Jahrestag des Sieges über Nazideutschland, findet wie jedes Jahr eine Kundgebung der Schüler vorm alten Denkmal in BolschojTrostenez statt. Vor dem Obelisk brennt das Ewige Feuer, das sonst außer Betrieb ist. Zwei Mädchen mit Pioniertüchern sprechen von dem viertgrößten "Konzentrationslager" in Europa. Sie nennen die Zahlen der Außenordentlichen Kommission. Danach sagen sie, dass die meisten Lageropfer die jüdischen Häftlinge aus dem Minsker Ghetto und ausländische Juden waren. Aussagen, die in Sowjetzeiten unvorstellbar gewesen wären. Aber was danach folgt, entspricht nach wie vor dem Sowjet-Jargon. Atmo Pionierschwur Erzählerin Die Fünftklässler werden in die Pionierorganisation aufgenommen. Die älteren Pioniere binden ihnen die roten Tücher mit dem grünen Streifen um den Hals. Die zehnjährigen Jungen und Mädchen stehen auf dem Platz vor dem Denkmal in BolschojTrostenez und schwören, ihrer Heimat zu dienen. Atmo Pionierschwur Musik Terem "Tatamka" Absage Die Schule von Trostenez Über Erinnern und Vergessen in Belarus Ein Feature von Olga Kapustina Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2016. Es sprachen: Claudia Mischke, Simon Roden, Jochen Kolenda, Susanne Flury, Camilla Renschke und Richard Hucke Ton und Technik: Eva Pöpplein und Christoph Schumacher Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Birgit Morgenrath 1