Die Schriftstellerin Deborah Levy

"Wir müssen uns überlegen, wie unser Leben bedeutsam werden kann"

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Die Schriftstellerin Deborah Levy, aufgenommen 2019 in Stockholm. Sie trägt ihr grau-meliertes Haar hochsteckt.
Im Gespräch erinnert sich Deborah Levy an die Zeit, als sie ihren Debütroman - "Damals auf einer Schreibmaschine" - schrieb. Über 30 Jahre später ist "Schöne Mutanten" jetzt auf Deutsch erschienen. © picture alliance/TT NEWS AGENCY/Naina Helén Jåma
Von Sonja Hartl · 19.07.2019
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Wie lässt sich als Frau, als Mutter ein Leben als Schriftstellerin führen? Wie behauptet frau ihren Raum zum Schreiben? Deborah Levy erzählt in "Was das Leben kostet" davon. In der Schriftstellerin Simone de Beauvoir fand sie ein starkes Vorbild.
Die Reid Hall in Paris Montparnasse. Hier ist Deborah Levy derzeit im Rahmen eines Fellowships. Von außen ein unscheinbares weißes Gebäude, erstreckt sich im Inneren ein ruhiger Hof, über den Deborah Levy mir entgegeneilt. Über den Hof gehen wir in ein Quergebäude, im ersten Stock am Ende des Flurs ist Deborah Levys Büro.
Ein schmales Zimmer, links ein Schreibtisch, daneben ein sehr tiefer Sessel. Deborah Levy packt zusammen, ihr neunmonatiges Fellowship endet in diesen Tagen. Geboren 1959 in Südafrika, lebt Deborah Levy in England, seit sie neun Jahre alt ist. Sie hat Kunst studiert, schreibt Theaterstücke, Kurzgeschichten und Romane, in denen sie mit Erzählperspektiven spielt, sich mit dem Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzt. Im Mittelpunkt stehen stets weibliche Figuren und ihr Erleben. Außerdem spielt die Literatur eine wichtige Rolle – in ihrem zweiten Memoir "Was das Leben kostet" vor allem Simone de Beauvoir.

Beauvoir ist für Levy noch immer subversiv

"Es ist seltsam, nicht wahr, dass ich Simone de Beauvoir zitiere? ‚Das andere Geschlecht‘ wurde irgendwann in den 50ern publiziert, nun ist es 2019. Aber ich denke, es ist das subversivste Buch. Es erzählt uns tatsächlich die Wahrheit", erklärt Levy ihre Verbindung zur französischen Feministin.
Deshalb ist Paris ein besonderer Ort für Levy. Hier hat de Beauvoir gelebt, in der Reid Hall hat auch sie gelehrt. "Hier in Paris ging ich zu dem Friedhof von Montparnasse, um das Grab von de Beauvoir zu sehen", erzählt Levy. "Es ist fünf Minuten von hier. Ich ging dorthin und fragte eine Friedhofswärterin, ob sie mir sagen könnte, wo ich das Grab von Simone de Beauvoir finden kann und sie wusste nicht, wen ich meine. Dann fiel mir ein, dass de Beauvoir und Sartre zusammen begraben wurden. Also sagte ich: 'Sartre'. Und sie sagte: 'Oh ja, Abteilung eins'. So fand ich das Grab."
Das ist eine typische Geschichte für Deborah Levy, in ihrem zweiten Memoir gibt es immer wieder solche realistischen Episoden, in denen sich wunderbar zeigt, wie die Welt für Frauen ist, für die immer nur eine Nebenrolle vorgesehen ist. Deborah Levy aber lässt sich in keine Rolle mehr drängen, sie hat es satt, dass es stets Männer sind, die von der Welt erzählen. Denn daran hat sich seit Simone de Beauvoirs Lebzeiten nicht viel geändert.
"Beauvoirs Frage ist: Warum müssen wir dieses Zeug weiterhin schreiben? Nun, weil wir in einem Patriarchat leben und die Welt nicht zum Vorteil von Frauen und Kindern gestaltet ist."

Vergangenheit und Gegenwart koexistieren

Deshalb erzählt nun Deborah Levy von dieser Welt – und wie das Leben für sie ist als eine Frau im 21. Jahrhundert: "Soweit ich weiß, sind die meisten Autobiographien am Ende eines Lebens geschrieben, wenn man sehr alt und weise sein soll. Ich schaue nicht zurück und sage kluge Dinge über die Vergangenheit. Nein: Ich wollte, dass die Vergangenheit und Gegenwart in dem Geschriebenen koexistieren. Das schien mir ziemlich subversiv zu sein. Man hätte diese Erzählerin in ihren 40ern, 50ern, 60ern als denkende Person in der Welt. In der Literatur fühlt eine Frau sonst Dinge, sie denkt nicht, ihr geschehen Dinge, aber sie geht nicht los und tut etwas.
Doch das hat für Frauen immer noch einen Preis, den bereits Simone de Beauvoir kannte – und auf den Deborah Levy hier mitten in Paris zurückkommt: "Simone de Beauvoir wusste, dass es eine Frau aus ihrer Generation mehr als den Mann kosten würde, wenn sie ihr Land verlässt, Nelson Algren heiratet, mit ihm Kinder hat und weiterhin schreiben will. Sie hat sich entschieden, das nicht zu tun. Wir alle müssen uns überlegen, wie unser Leben bedeutsam werden kann und wie wir mit dieser Bedeutung leben können."
Und was dieses Leben kosten wird. Doch eines ist für die 60-jährige Deborah Levy klar: Frauen sollen nicht die Geschichte akzeptieren, die die Gesellschaft für sie vorgesehen hat.

Deborah Levy: "Was das Leben kostet"
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Hoffmann und Campe, Hamburg 2019, 160 Seiten, 20 Euro

Mehr über Deborah Levys "living autobiography"-Projekt lesen Sie hier.
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