Die schöne Hülle

Rezensiert von Kim Kindermann · 18.08.2005
Die Sehnsucht nach Schönheit ist uralt. Der aufwändig bebilderte Band "Schönheitschirurgie" schlägt einen Bogen von der Antike bis zur Gegenwart. Kulturhistoriker, Kunstkritiker und Chirurgen kommen zu Wort. Letztere behaupten, dass Schönheit immer erst von innen kommt.
Edel und mächtig kommt es daher, dieser reich bebilderte Prachtband mit seinen 440 Seiten und seinem Nettogewicht von 2,4 Kilogramm. Er strahlt und verführt mit zahlreichen wunderbaren Bildern und Fotos aus der Antike bis zur Gegenwart. Das Buch fasst sich wohlig an mit seinem glänzenden Tafteinband. Und in seinen silber-glänzenden Umschlagseiten spiegelt man sich wider. Was zeigt: Das von Angelika Taschen herausgegebene Buch mit dem schlichten wie allumfassenden Titel Schönheitschirurgie geht das Thema zunächst von seiner ästhetischen Seite an.

Verführt und berührt. Einerseits. Doch andererseits ist von Anfang an ein Bruch zu spüren: Ziert doch schon das Cover ein schwarzer Frauenkörper, dem mit groben Stichen ein weißer Frauenkopf angenäht wurde. Dieser schaurig-schöne Frankensteinverschnitt lässt ahnen, dass es in dem Buch um mehr geht als den schönen Schein. "Heute kann man einen Körper oder ein Gesicht durch Schönheitsoperationen manipulieren, aber wird ein Mensch wirklich dadurch schön?", fragt dann auch die Herausgeberin in ihrem Vorwort kritisch.

Beantworten muss das sicherlich jeder selbst, aber Angelika Taschen versucht – so scheint es zumindest anfangs - mit ihrer umfassenden, gut geschriebenen Werksammlung dem Leser bei der Suche nach der Antwort zu helfen. In zehn Abschnitten lässt sie Kulturhistoriker, Kunstkritiker und die Chirurgen selbst ausführlich zu Wort kommen. Letztere leider so ausführlich, dass es irgendwann sogar langweilt und eigentlich nur zeigt, dass die Herren - denn nur männliche Chirurgen sind interviewt worden - selbst ziemlich eitel und von dem eigenen Können mehr als überzeugt sind. Trotzdem lohnt sich diese ungewöhnliche Mischung aus Machern und Beurteilern.

Denn so erfährt der Leser nicht nur allerhand Wissenswertes über die geschichtlichen und kulturellen Ursprünge der Schönheitschirurgie, sondern man bekommt auch einen sehr persönlichen Zugang zum Thema. Zumal die interviewten Chirurgen - von denen die wenigsten übrigens selbst operiert sind - alle behaupten, dass Schönheit für sie immer erst von innen kommt und Ausstrahlung viel wichtiger ist als eine perfekte Hülle. Das überrascht. Sind doch gerade sie es, die mit immer ausgefeilteren Techniken, die allzu teuren Wünsche nach Veränderungen ermöglichen.

Nun ist die Sehnsucht nach Perfektion, nach Schönheit, uralt. Auch das wird belegt. Erste Zeugnisse über Nasenkorrekturen stammen aus dem alten Ägypten und zeigen, dass die ästhetische Chirurgie jahrzehntelang Männern vorbehalten war. Dabei standen anfangs medizinisch notwenige Wiederherstellungsoperationen im Mittelpunkt. So legten sich besonders viele Männer zu Zeiten der Syphilis unters Messer, da die Krankheit oft ihre Spuren auch im Gesicht hinterließ. Später waren es dann vor allem Kriegsverletzungen, die operiert wurden.

Erst als 1846 die Anästhesie und wenig später auch die Antisepsis entwickelt wurden, drängten mehr und mehr Frauen auf den Markt der Schönheit. Wobei Schönheit - auch das zeigt das Buch - ein stets wandelbarer Begriff war, der sich oft durch ethnische Zugehörigkeit voneinander unterschied. So galten in asiatischen und arabischen Ländern andere Schönheitsnormen als in europäischen oder amerikanischen.

So war in Brasilien jahrzehntelang der Po einer Frau viel wichtiger als ihr Busen. Erst in den letzten Jahren rückt auch der zunehmend ins Zentrum der Schönheitsoperationen in dem südamerikanischen Land. Die Globalisierung hat also längst den Schönheitswahn vieler Menschen erfasst und Gewinn bringend vereinheitlicht gegen jede Individualität und Besonderheit. So lassen sich heute junge Chinesinnen die Beine verlängern und Japanerinnen das Schlupflid entfernen, um europäischer auszusehen.

Europäerinnen wird das Fett abgesaugt und Amerikanerinnen lassen sich das Gesicht so lange liften, bis sie in ihrer Maske nicht mehr lachen können, aber 20 Jahre jünger aussehen. All das wird in "Schönheitschirurgie" eindrucksvoll belegt: In ausführlichen und zum Teil drastischen Fotodokumentationen werden erste Operationstechniken vorgeführt, es werden Vorher-nachher-Bilder gezeigt und auch die monströsen Auswirkungen dieses Medizinzweigs haben im Buch ihren Platz.

Wobei trotz allem immer auf Ästhetik in der Aufmachung geachtet wird, und das ist der Schwachpunkt dieser Edelausgabe: Zwar informiert das Buch umfassend über mögliche Methoden und Techniken der Schönheitschirurgie, es benennt Risiken und appelliert an das Vorhandensein eines guten Selbstbewusstseins, doch auf die unbestreitbar schönen - oft seitengroßen - Abbildungen von Fotomodellen, Pop- und Filmstars will auch Angelika Taschen nicht verzichten. Und das ist schade! Denn damit verlieren sich die kritischen und wissenschaftlich-fundierten Texte in einer glamourösen Scheinwelt, die letztlich doch nur suggeriert: Alles, was zählt, ist die schöne Hülle!

Schönheitschirurgie, Angelika Taschen (Hrsg.), Taschen Verlag, 2005, 440 Seiten, gebunden mit zahlreichen Fotographien und Bildern, 39.99 €