Die schicken Damen vom Kurfürstendamm

F. C. Gundlach im Gespräch mit Alexandra Mangel · 05.07.2011
Damals gab es noch keine Models, die man buchen konnte, sagt F. C. Gundlach, einer der ersten Modefotografen der Nachkriegszeit. In der Galerie Contemporary Fine Arts sind derzeit die Bilder zu sehen, die er in den 50er- und 60er-Jahren aufgenommen hat.
Die Ausstellung heißt "Berliner Durchreise", und der Titel bezieht sich auf eine alte Berliner Modeinstitution. Alexandra Mangel hat F. C. Gundlach deshalb gefragt, ob die Fashion Week so etwas ist wie die Nachfolgerin der "Berliner Durchreise".

F. C. Gundlach: Ja, ich würde sagen, die Fashion Week folgt der "Durchreise". Die "Durchreise" war ja eine Institution, die gewachsen ist, eigentlich schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Konfektionäre aus ganz Deutschland, die trafen sich zweimal im Jahr in Berlin, tauschten ihre Ideen aus, machten Geschäfte miteinander für die Sommerkollektion, nicht wahr. Das war natürlich im Winter, und für die Winterkollektion war es im Sommer.

Alexandra Mangel: Wenn wir mal bei der "Berliner Durchreise" bleiben, die Sie dann als Fotograf selbst nach dem Krieg als Erstes erlebt haben, wer reiste da an und durch Berlin, was herrschte da für eine Atmosphäre?

Gundlach: Na ja, es waren drei Wochen doch, die gezeigt wurden, und ich habe damals für die Zeitschrift "Film und Frau" – das war die erste Modezeitschrift nach dem Kriege, die also sich auch wieder im Sinne der Dame doch intensiv mit der jeweiligen neuen Mode beschäftigte – fotografiert. Und wir mieteten hier in Berlin ein Studio, die Redakteurinnen besuchten die Kollektionen, machten die Auswahl. Ich legte immer großen Wert darauf, dass ich also mindestens drei, vier Kollektionen auch selbst gesehen habe. Man kann nicht Mode fotografieren, … ohne die Substanz an einer neuen Linie oder einer neuen Mode begriffen zu haben, kann man sie nicht umsetzen, denn Modefotografie ist ja auch immer Interpretation.

Mangel: Fotografiert wurde dann auch direkt in den Ateliers der Modeschöpfer?

Gundlach: Ja, manchmal. Es gab eine sogenannte Kurfürstendamm-Fotografie, denn damals gab es ja noch keine Models, die man buchen konnte, sondern man musste die Hausmannequins verwenden sehr häufig, weil die Modelle, die man fotografierte, eben auf eine ganz bestimmte Person geschneidert waren und die sie nur tragen konnte. Und wenn sie sich an den New Look erinnern, der hatte ein Korsett, und das passte dann eben nur auf eine Person.

Das heißt, das Mannequin wurde im Salon angezogen, und wir gingen dann auf die Straße, wir gingen auf den Kurfürstendamm und haben dort fotografiert. Aber sehr viel später – nachts waren ja die Modelle frei, die wurden ja nicht gebraucht –, dann mieteten wir uns Studios und fotografierten dann in der Nacht sozusagen die Kollektion für dieses sechste Heft.

Mangel: Heute träumt die Stadt ja davon, an genau diese Zeiten anzuknüpfen. Wie konnte Berlin denn doch so relativ kurz nach dem Krieg zu einem so erfolgreichen Modestandort, zu einer solchen Modemetropole dann wieder werden?

Gundlach: Anknüpfend an die bestehenden Verbindungen … Das Schicksal der Berliner Konfektion ist ja doch ein sehr …, ist großen Höhen und Tiefen unterworfen, so kann man es ja wohl sagen. Denn um die Jahrhundertwende, in der Belle Epoque zum Beispiel, da war die Berliner Konfektion schon auf einem großen internationalen Niveau. Dann kam denn, 1933, die Arisierung, die Berliner Konfektion war weitgehend in jüdischen Händen. Das heißt, die Juden waren einmal in Preußen eingewandert und hatten hier zuerst auch Bürgerrecht bekommen, um sich niederzulassen. Und die haben eine Struktur begründet, die darin bestand, dass auf der einen Seite die Kreation war, also später die Modeschöpfer sozusagen, und auf der anderen Seite waren es Heimbetriebe. Es waren also Betriebe, die so 30, 40 Leute, Frauen, die zum Teil zu Hause arbeiteten. Und die hatten wirklich ein sehr hohes handwerkliches Niveau.

Mangel: Das war dann nach dem Krieg verschwunden.

Gundlach: Nein, das war schon noch da, aber es war weitgehend im Osten. Als Berlin geteilt wurde …, das Zentrum der Konfektion war der Hausvogteiplatz, da wurde präsentiert. Die Kreateure, die Modeschöpfer, die zogen an den Kurfürstendamm, während also im Osten gearbeitet wurde. Die Berliner Konfektion hat sich dann sehr schnell wieder erholt und auch wieder an internationale Kontakte anknüpfen können. Mit dem Bau der Mauer, das war eben der Schnitt. Mit dem Bau der Mauer riss eben dieser Kontakt ab, weil diese Handwerksbetriebe saßen zum großen Teil, nicht alle, aber zum großen Teil im Ostteil der Stadt.

Mangel: Das war dann erst mal das Ende der Modemetropole Berlin?

Gundlach: Ja, auf der einen Seite. Aber auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, Berlin war abgeschnitten. Die Kunden reisten nicht mehr gerne nach Berlin, es war immer schwierig. Und es war auch dann die Konkurrenz der anderen Städte. Düsseldorf machte die Igedo, das war die große Veranstaltung.

Mangel: Wenn man Ihre Fotos aus den 50ern betrachtet, dann sieht man Modelle mit Wespentaille in eleganten Kostümen und Roben, posierend vor den Wahrzeichen der Stadt, vor der Siegessäule oder vor dem Brandenburger Tor – nichts in diesen Bildern erinnert an den Krieg, an die Zerstörung der Stadt. Keine Trümmer, keine Ruinen. Erinnern Sie sich, ob Sie die Orte, an denen Sie fotografiert haben, damals gezielt auch so ausgesucht haben, dass das nicht zu sehen war?

Gundlach: Ja, ganz gewiss. Also diese Ausstellung, die ich jetzt zeige, sind ja nur Bilder aus den 50er- und 60er-Jahren. Wenn ich mich richtig erinnere, das erste Bild, was ich zeige, ist 1953 aufgenommen im ehemaligen Tiergarten. Ich sage ehemalig deshalb, weil der Tiergarten zu der Zeit keine Bäume hatte, die waren alle abgeholzt, und das war das erste Bild, was ich hier in dieser Ausstellung zeigen werde. Natürlich haben wir für ein Publikum, auch für die Zeitschriften gearbeitet, die der Katastrophe entgangen waren, die den Krieg vergessen wollten. Das war auch ein Verdrängungsprozess.

Mangel: Oder die auch an ihm mitgewirkt hatten.

Gundlach: Natürlich, aber man hat nach vorne geguckt dabei. Aber viele dieser Modelle, die wir dann fotografierten, die waren doch Träume, die waren ja gar nicht verfügbar für ein großes Publikum, wie die Zeitschriften das ja hatten. Und ich erinnere mich noch dran, dass zum Beispiel 1960 eine Nähmaschine noch das beliebteste Weihnachtsgeschenk für Frauen war. Also Sie sehen, man hat geguckt, wie die Nähte waren oder die Schnitte waren und hat versucht, das zu kopieren.

Mangel: War Ihnen das bei der Inszenierung Ihrer Fotos, also bei der Arbeit mit den Modellen auch bewusst, dass Sie da Modeträume, auch Wirtschaftswunderträume inszenieren, dass das ein Ideal ist für die Frauen?

Gundlach: Ja, ich bin mir oft vorgekommen wie ein Märchenerzähler. Ich wusste, dass das … Wir hatten auch einen großen Spielraum innerhalb der Redaktion. Es gab keine Stilisten. Man hatte eine Moderedakteurin, mit der man zusammenarbeitete, meistens. Aber die Konzepte für die einzelnen Serien, die habe ich mir selbst ausgedacht oder gesucht oder gebaut. Der Spielraum, den man als Fotograf hatte, war sehr viel größer, als er heute hier ist.

Mangel: Wollten Sie auch diese Sehnsucht nach Vergessen …?

Gundlach: Nein, ich konnte vor allen Dingen wunderbare Bilder machen. Wunderbare Bilder mit wunderbaren Frauen.

Mangel: Und das war das Wichtigste für Sie?

Gundlach: Ja.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Modefotografen, dem Galeristen, Sammler und Museumsgründer F.C. Gundlach über die Ausstellung seiner Fotos in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts. Herr Gundlach, Modefotografie spiegelt für Sie ja auch die Zeit wider, eben weil Sie Wünsche und Sehnsüchte zeigt und nicht die Wirklichkeit. Wenn Sie auf die heutige Modestadt Berlin schauen, auf ihre Selbstdarstellung, ihre Selbstinszenierung, auch ihre Mode, was sehen Sie da?

Gundlach: Na, ich glaube doch, dass in den letzten zwei, drei Jahren doch einiges passiert ist: Einmal dass es die Fashion Week gibt, dass also ein Plateau da ist, eine Plattform da ist, wo auch junge Designer ihre Kollektionen zeigen können – das ist sehr wichtig, nicht wahr. Und dass auf der anderen Seite, finde ich, eine ganz besonders wichtige Funktion hat sie, die Bread & Butter, nicht wahr die ja auch eine große Bühne ist eben für Kleine.

Bei der kann man zwei Quadratmeter mieten oder 20 oder 200 oder 2000, je nachdem, aber man kann daran teilnehmen. Mode kann man nicht machen ohne Öffentlichkeit, und Öffentlichkeit muss man schaffen. Und das wird gewährleistet durch diese Events, die ich also kenne. Ich glaube, wenn das mit der Regelmäßigkeit weiterentwickelt wird, dass dann wieder Berlin auch diese Stelle einnehmen kann.

Mangel: Gibt es denn heute überhaupt noch eine Modefotografie, wie Sie sie betrieben haben, oder haben sich die Arbeitsbedingungen einfach völlig geändert?

Gundlach: Na ja, das Medium steht natürlich in einer fundamentalen Veränderung, nicht wahr, indem die analoge Fotografie, die ich betrieben habe, weitgehend ja doch verschwindet zur digitalen Fotografie. Das heißt …

Mangel: Bedauern Sie das?

Gundlach: Nein, ich kann es nicht bedauern, es ist einfach eine Entwicklung, die nicht zu verändern ist. Ich denke nur, es wird einfach zu viel fotografiert. Ich habe manchmal meinen Studenten bei gewissen Projekten, die wir gemacht haben, erlaubt, nur ein einziges Bild abzuliefern, um sie einfach zu konzentrieren, sich was zu überlegen – das ist die Substanz, die ich rüberbringen will – und das dann auch darzustellen.

Mangel: Und auch die Qualität des Kunstwerks – wenn man Ihre Aufnahmen anguckt, das Konstruierte, das sehr perfekt in Szene Gesetzte.

Gundlach: Gerade die Modefotografie, der man ja immer auch einen kommerziellen Hintergrund unterstellt hat, das ist natürlich völliger Blödsinn. Wenn ein Bild – das ist meine Meinung, ja – wenn ein Bild, das ich vor 20, 30 Jahren gemacht habe, wenn dieses Bild mich heute noch beeindruckt oder nicht mich, andere Leute auch beeindruckt, dann ist das ein gutes Bild, dann ist es egal …, der Entstehungskontext spielt dann keine Rolle mehr, ob das kommerziell gewesen ist oder was dahintergestanden hat, sondern es ist einfach nur ein gutes Bild.


Galerie Contemporary Fine Arts, Berlin