Die Schichten der Stadt aufzeigen

Arwed Messmer und Heinz Stahlhut im Gespräch mit Britta Bürger · 18.09.2009
Seit der Wende hat sich Berlin enorm verändert. Einen künstlerischen Blick auf diesen Wandel unternimmt die Ausstellung "Berlin 89/09 - Kunst zwischen Spurensuche und Utopie". Darin verweist u.a. der Fotograf Arwed Messmer auf tiefere historische Schichten, in dem er Bildern von Baugruben Bildunterschriften mit historischen Benennungen zuweist.
Britta Bürger: Kein anderer Ort in Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren so umfassend verändert wie Berlin. Somit war und ist die Stadt auch für Künstler ein besonders interessantes Terrain, von einem "magischen Ort" spricht der Fotograf Arwed Messmer, der als einer von über 40 Künstlerinnen und Künstlern an einer neuen Ausstellung in Berlin beteiligt ist: Berlin 89/09 - Kunst zwischen Spurensuche und Utopie. Kurator Heinz Stahlhut ist gemeinsam mit Arwed Messmer zu uns ins Studio gekommen. Herzlich Willkommen, Sie beide!

Heinz Stahlhut: Guten Tag!

Arwed Messmer: Guten Tag!

Bürger: Arwed Messmer, warum ist Berlin für Sie ein magischer Ort?

Messmer: Als ich - geboren in Süddeutschland - 91/92 nach Berlin kam, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, Geschichte zu spüren, die in meiner Heimat so nicht sichtbar war, also deutsche Geschichte. Egal, wo man hingegangen ist, es gab verschiedene Layer von Geschichte, also rein topografisch und natürlich auch imaginär, das hat dann eigentlich in den letzten 15 Jahren meine fotografische Arbeit zunehmend bestimmt.

Bürger: Sie sind ja da eben nicht nur so hingegangen, sondern mit der Kamera. "Anonyme Mitte Berlin", so heißt Ihr gerade erschienenes, neuestes Buch, und dieser Titel, der lässt einen ja schon ein bisschen aufschrecken, denn welche Metropole möchte anonym sein? Was steckt für Sie in dieser Wertung?

Messmer: Die anonyme Mitte, das ist jetzt für mich eigentlich die Bezeichnung, also, der Keimzelle oder für das Herz der Stadt, das letztendlich von der Größe, vom Durchmesser recht klein ist und was die meisten Berliner eigentlich gar nicht kennen, weil sie immer drum herum fahren, ja, wie ein blinder Fleck der Stadt könnte man nennen. Das ist ein Gebiet, was sich erstreckt, das ist das ehemalige Schlossareal der Friedrichswerder, das ist da, wo quasi jetzt das Außenministerium residiert, und eben Teile von Alt Cölln, der Schwesterstadt von Alt Berlin. Der Grund war, dass sich da mehrere Dinge gleichzeitig entwickelt haben vor ein paar Jahren.

Ich habe da Ende 2005, Anfang 2006 mit diesem Buchprojekt begonnen. Diese Townhouses auf dem Friedrichswerder wurden gebaut, da hat man gerade die Baugruben ausgehoben, also da, wo früher die Reichsbank residierte, hat man plötzlich privates, subventioniertes, privates Wohnen etabliert. Es war klar, der Palast würde abgerissen, also es würde sich ästhetisch ein Prozess, also, politisch und ästhetisch ein Prozess wiederholen, den es schon 1950 unter Ulbricht gegeben hat, also, beim Abriss des Stadtschlosses.

Zum Dritten, die Grabungsarbeiten am Petriplatz, den auch fast kein Berliner kennt, wo man jetzt festgestellt hat, dass es wahrscheinlich der älteste Teil der Stadt ist - Entwicklungen, die einfach fotografisch interessant waren.

Bürger: Warum?

Messmer: Na, ich kann als Fotograf nur Oberfläche erst mal abbilden. Ich kann sie dann in bestimmte Kontexte setzen, aber ohne Ereignis, ohne sichtbares Ereignis komme ich als Fotograf nicht weiter.

Bürger: Wir reden zwar über dokumentarische Arbeiten, aber ich frage mich doch, inwieweit die Arbeiten von Arwed Messmer auch so etwas wie einen subjektiven Faktor haben. Heinz Stahlhut, als Kurator der aktuellen Berliner Ausstellung können Sie das sicher beantworten: Gibt es über das Dokumentarische hinaus so was wie einen Kommentar oder eine persönliche Sicht des Fotografen? Spürt man in den Arbeiten von Arwed Messmer auch Faszination oder Beunruhigung?

Stahlhut: Ich denke, die Faszination hat er ja schon beschrieben, dass es ihm darum ging, diese verschiedenen Schichten von Geschichte dort aufzuzeigen, die einerseits natürlich freigelegt wurden durch die Aufräumarbeiten und Vorbereitungsarbeiten für die Neubauten, die aber auch auf der anderen Seite wieder verschwinden würden, eben durch die Überbauung oder eventuell durch die Überbauung völlig zerstört werden würden.

Und dass er in dem Moment dann dort hingeht und diese Plätze fotografiert, die ja eigentlich in dem Moment völlig unattraktiv sind, und das dann aber eben kombiniert auch noch mit Bildunterschriften, die dann auf eine ganz andere historische Schicht weisen als auf das, was man auf den Bildern sieht. Das sind nämlich Bildunterschriften, die teilweise auf Bauten oder Denkmäler verweisen, die dort in den 1880er-Jahren, 1920er-Jahren gestanden haben, auf Ereignisse, die dort in den 40er-Jahren, unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, stattgefunden haben. Das zeigt dann natürlich schon, dass es um sehr viel mehr geht als nur um eine dokumentarische Fotografie.

Bürger: Hat sich dieses Thema Wandel der Stadt 20 Jahre nach dem Fall der Mauer eigentlich aufgedrängt, Herr Stahlhut, einfach weil sich so viele Künstlerinnen und Künstler damit befasst haben?

Stahlhut: Es waren - wir haben sehr viel Material gesichtet bei der Vorbereitung dieser Ausstellung -, es waren von den sehr vielen Künstlern und Künstlerinnen, die nach Berlin gekommen sind teilweise extra letztlich gar nicht mal so unglaublich viele, die sich speziell mit dem Thema Berlin beschäftigt haben. Viele sind einfach nach Berlin gekommen, weil Berlin sich immer mehr ja zu einer der Hauptstädte, Hauptzentren der Künste entwickelt, haben aber ihre Arbeit vielleicht relativ oder nur subkutan beeinflusst vom Ort weitergeführt.

Bürger: Die, die Sie ausgewählt haben, welche Fragen treiben diese Künstler um?

Stahlhut: Das ist ganz unterschiedlich natürlich. Wenn Künstler, Künstlerinnen dem nachgehen, was in der Zeit unmittelbar nach dem Mauerfall verschwunden ist, eben der Abriss von Bauten, die Entfernung von Denkmälern, aber auch ... Zum Beispiel haben wir eine Arbeit von dem Schweizer Künstler John Armleder, der in einer großen Malerei "Möbelinstallationen" der Tatsache nachgeht, dass natürlich auch Westberlin durch den Zusammenbruch der Blockkonfrontation seine Rolle völlig neu definieren muss, weil es an Bedeutung verliert.

Bürger: Arwed Messmer, Sie sind mit Ihrer Kamera in Berlin unterwegs, auf den Plätzen, den Straßen, den Brachen, aber auch unterwegs in Archiven, wo Sie zum Teil ganz erstaunliche Bilder gefunden haben, jüngst vom Berliner Stadtschloss. Sie haben historische Aufnahmen der Ruine aus dem Jahr 1949 am Computer zu einem großen Panoramabild montiert. Was reizt Sie an der Auseinandersetzung mit historischen Bildern?

Messmer: Dieses Panorama jetzt vom Schloss, das hat im Grunde genommen seinen Ursprung in diesem Buchprojekt, dass ich gesagt habe, ich gönne mir den Luxus, und bin über Wochen in Archiven unterwegs gewesen, um zu gucken, also, was gibt es eigentlich wirklich an - auch von der bildhaften Seite, also jenseits des Dokumentarischen - interessantem Archivgut?

Und da bin ich dann 2006 in einem Teilkonvolut, das in der Berlinischen Galerie in der Architektursammlung liegt, fündig geworden und fand das sensationell. Das war ein Fotograf, der für den Magistrat von Ostberlin Stadträume fotografiert hat im Auftrag, und ich fand, dass das im Grunde genommen ... eine Bildsprache zu erkennen, die meiner auch nicht unähnlich ist, auch wenn, sage ich mal, der Antrieb des Bildermachens seinerzeit ein ganz anderer war. Und ich hatte immer die Idee, dass ... es mit meinem eigenen, zeitgenössischen Material zu kombinieren, um da so einen Bilderbogen zu spannen, der eben durch mein eigenes Material so nicht zu leisten wäre.

Bürger: Wenn Sie sagen, es kommt Ihrem Blick sehr nahe - können Sie den beschreiben?

Messmer: Ja, die Art und Weise, Räume zu sehen, als große Bühnenbilder auch, die Passanten mit einzubinden als Figuren in einem großen Zusammenhang, also ich denke, das ist so eine Schnittmenge, die ich mit diesem Fotografen - der erst keinen Namen hatte und später als Fritz Tiedemann identifiziert wurde - doch gemeinsam habe. Und der Glücksfall war, dass es im Grunde genommen keine Artists Vintage Prints gab sozusagen, also keine eigenen Interpretationen seines Werks, sondern dass es einfach nur die Glasplatten waren. Das hat mir ermöglicht, im Grunde genommen zum ersten Mal in Vertretung seiner Person das überhaupt mal zu einem Bild zu machen. Und es gab eben sehr viele Horizontalsequenzen, die quasi analog sozusagen und überlappend fotografiert wurden und die habe ich dann am Computer zusammengebaut.

!Bürger: Welche Arbeit der aktuellen Ausstellung, Herr Stahlhut, ist so etwas wie eine Liebeserklärung an Berlin, und welches Werk zeigt Berlin möglicherweise auch die rote Karte?

Stahlhut: Das kommt natürlich auch immer auf die Position des Betrachters, der Betrachterin an. Liebeserklärungen in einem gewissen Sinne sind wahrscheinlich alle diese Werke, weil, alle diese Künstler und Künstlerinnen waren von Berlin so fasziniert oder sind es immer noch, dass sie diese Werke geschaffen haben. Es gibt dann verschiedene Werke, die Missstände, mag man sagen, irgendwie in Berlin attackieren, ...

Bürger: Geben Sie uns ein Beispiel.

Stahlhut: Genau, ein Beispiel, die ich auch sehr amüsant finde, ist die Arbeit von Susi Pop, die trägt den auch sehr provokativen Titel "She's also a fucking architect" und nimmt Bezug eben auf die von Arwed Messmer schon erwähnten, großen Würfe, so unmittelbar Anfang der 90er-Jahre, wo man so das Gefühl hatte, jetzt wird hier ganz groß aufgebrochen und die ganze Stadt wird neu gemacht und so weiter. Und diese Arbeit zeigt mit so ganz grobschlächtigen Gipselementen einfach so einer dieser ganz ... ironisiert diese großen Würfe eben, und das mag so ein bisschen was mit zu tun haben, dass eben Berlin natürlich, Westberlin, lange Zeit irgendwie eingemauert war und man dann irgendwie, als dieser Zwang irgendwie verschwand, dann so das Gefühl hatte, jetzt räumen wir richtig auf und bauen Berlin um zu einer richtigen Weltmetropole oder so was, was ja eben bis heute leider, oder, nein, nicht leider, sondern immer noch nicht wirklich gelungen ist.

Bürger: "Berlin 89/09 - Kunst zwischen Spurensuche und Utopie", heute wird diese Ausstellung in der Berlinischen Galerie eröffnet, kuratiert von Heinz Stahlhut, gemeinsam mit dem Fotografen Arwed Messmer gab er uns einen Einblick. Ihnen beiden vielen Dank für das Gespräch!

Stahlhut: Danke!

Messmer: Ja, vielen Dank!
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