Die Sängerin Camille Bertault

Coltrane gesungen, gezischt, geschrien

Camille Betrault
Die Jazz-Sängerin Camille Betrault © Paul Rousteau
Von Ilka Lorenzen · 22.01.2018
Sie ist Frankreichs neuer Star am Jazzhimmel: Camille Bertault erhielt eine klassische Klavierausbildung, sattelte mit 20 Jahren auf die Schauspielkunst um und begeistert nun das Publikum mit ihrer Version eines alten Coltrane-Stückes.
"Dank dieses Titels bin ich bekannt geworden! Vor zwei Jahren hab ich ihn auf Facebook hochgeladen und innerhalb von drei Tagen ist er millionenfach geteilt worden – das hatte ich wirklich so nicht geplant oder beabsichtigt. Und was ich so dermaßen erstaunlich daran finde, ist, dass 'Giant Steps' mich persönlich wirklich einen riesigen Schritt voran gebracht hat! Mein Leben hat sich dadurch total verändert. Ohne diesen Titel wäre ich jetzt gar nicht hier. Das ist wie beim Dominospielen. Alles ist von diesem einzigen kleinen Steinchen angestoßen und ins Rollen gebracht worden!"
Der Albumtitel: "Pas de Géant" ist die wörtliche Übersetzung von Giant Steps, John Coletranes bedeutende Aufnahme aus dem Jahr 1959 und dem darin enthaltenen Saxofon Solo, das Camille Bertault verblüffend mühelos und Note für Note mit ihrer Stimme imitiert. Um Coltranes Meisterwerk auch mit ihrem eigens dazu geschriebenen Text unterlegen zu dürfen, musste die französische Sängerin erstmal nach New York reisen, um den Sohn von John Coltrane zu überzeugen.

Ein Wendepunkt in Bertaults Leben

"'Pas de Géant' – dieser Titel war mir einfach extrem wichtig für mein Album, weil er eben meine eigene Geschichte symbolisiert! Nach der ersten Absage hab ich einfach alles in Bewegung gesetzt, um Ravi Coletrane persönlich treffen zu können und ihm meine Lage zu erklären. Er hat es verstanden und mir letztendlich doch die Erlaubnis gegeben, es mit meinem Text zusammen neu aufzunehmen."
Das Album "Pas de Géant" sei eine Art Hommage an die Virtuosität vieler Künstler und natürlich an John Coltrane selbst geworden, denn nicht nur Camille Bertault, auch Coltrane selbst und den Jazz insgesamt habe "Giant Steps" schließlich weit vorangebracht. Bertault erzählt in ihrem Text von diesem Wendepunkt in ihrem Leben, von Coletrane, der das Verständnis von Harmonien grundlegend verändert hatte und von seiner unglaublichen Spiritualität. Insgesamt ging es ihr, anders als diese Geschichte und der Albumname vermuten lassen, aber gar nicht in erster Linie um den Jazz.
"Zumindest bei meinem ersten Album 'En Vie' hab ich noch viel mehr darüber nachgedacht, welchen Stil dieses Album haben würde. Und das war dieses Mal absolut gar nicht so! Ich hab mir nicht gesagt: So, nun musst du dich an die Jazztradition halten – Thema, Improvisation, Thema. Ich hab mir gesagt – voilà, ich mach einfach das, was ich selbst gern will! Und so es ist sehr, sehr abwechslungsreich geworden, finde ich."

Mit der Stimme Klavier spielen

Camille Bertault stellt mit "Pas de Géants" unter Beweis, dass sie all ihre unterschiedlichen Talente vereinen kann: die klassische Klavierausbildung, ihre Leidenschaft für das Cabaret und das Theater, für den Jazz und vor allem ihr grenzenloses Einfallsreichtum und ihre Freiheit.
Sie ist eine wahre Künstlerin - wer sie auf der Bühne live erlebt, spürt diese virtuose Energie, die sie beim Singen regelrecht zum Leuchten bringt. Sie macht nicht nur Musik, sie ist Musik durch und durch. Ob schreiend, säuselnd oder scattend, in allen Tonlagen, die sie rasend schnell überfliegt: Ihre Stimme steht immer im Mittelpunkt. Zudem ist Bertault eine Geschichtenerzählerin, die das große französische Erbe von Chansonniers wie Barbara, Gainsbourg oder Brassens auf ihrem Album ebenso vertont wie die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach:
"Warum spiele ich Klavier mit meiner Stimme? Weil ich auf der einen Seite am Konservatorium eine sehr strenge Ausbildung bekommen habe, die mich ehrlich gesagt ein bisschen traumatisiert hat. Diese ganzen Prüfungen, das endlose Üben – all das bin wirklich nicht ich, das ist nur ein Teil von mir, der meiner großen inneren Freiheit gegenübersteht. Ich bin froh, ein Klavier in meinem Zimmer zu haben, um zu komponieren und darauf zu spielen – aber ich gehe heute ganz anders heran. Alles, worauf ich Lust habe, spiele ich vor allem mit meiner Stimme. Ich bediene mich meiner Stimme, um Klavier spielen zu können - das klingt seltsam, aber so ist es. Ich hatte eine Art Blockade und daraus ist diese Art Klavierspiel mit der Stimme eben entstanden."
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