Die S21-Schlichtung

Blick zurück auf einen umstrittenen Lösungsversuch

Die Verhandlungsrunde der Schlichtung zum Projekt Stuttgart 21
Die Verhandlungsrunde der Schlichtung zum Projekt Stuttgart 21 © picture alliance / dpa / Franziska Kraufmann
Von Uschi Götz · 30.11.2015
"Oben bleiben" war der Spruch der S21-Protestbewegung gegen den Plan, den Stuttgarter Hauptbahnhof teilweise abzureißen und in die Tiefe zu verlegen. Der Protest lähmte die Arbeit, die Politik rieb sich auf. Die Lösung war ein Schlichtungsprozess, der vor fünf Jahren startete.
"Ich möchte aber den Versuch unternehmen, und es ist vielleicht ein Fünkchen Hoffnung für die Leute, die uns zuhören, ob es nicht möglich ist, zu einer friedlichen, einvernehmlichen Lösung zu kommen."
Der früherer Bundesminister und CDU-Generalsekretär Heiner Geißler moderierte ein wochenlanges Verfahren, das er und andere heute nicht mehr Schlichtung, sondern Faktencheck nennen. Die Stadt war nach monatelangen Großdemonstrationen und einem gewaltsamen Polizeieinsatz mit vielen Verletzten in völliger Aufruhr: Das Verfahren war…
"..die Antwort auf die Eskalation, die Auseinandersetzung zwischen den Projektbefürwortern, also der Landesregierung und der Deutschen Bahn, und den Projektgegnern - das war das Aktionsbündnis damals."
Acht Runden moderierte Heiner Geißler bis zu seinem Schlichterspruch am 30 November 2010. Es ging bei den Gesprächen um Details, um Fakten rund um das Bahnprojekt.
Der Fernsehsender Phoenix übertrug die zum Teil über achtstündigen Sitzungen live. Es gab Einschaltrekorde, rund 1, 5 Millionen Zuschauer verfolgten die Marathonsitzungen im Stuttgarter Rathaus bundesweit. Fünf Jahre später glaubt Moderator Geißler, das Verfahren habe sich gelohnt:
"Die Schlichtung, hatte ein positives Ergebnis und zwar deswegen weil, die Schlichtung zur Befriedung der Auseinandersetzung beigetragen."
Der Anspruch war eine vollständige Infrastrukturstrukturanalyse
Im Sommer 2014 begannen die Bauarbeiten für den neuen unterirdischen Durchgangsbahnhof in der Stuttgarter Stadtmitte. Doch bis heute treffen sich Gegner des Projekts jeden Montag zum Protest. Der Protest ist friedlich, mit den Jahren sind es weniger Demonstranten geworden:
"Die Schlichtung konnte diesen großen gesellschaftlichen Konflikt nicht befrieden, aber es konnten natürlich viele Sachfragen geklärt werden, die vorher nicht im ausreichenden Maße geklärt worden sind", meint Rüdiger Soldt, Baden-Württemberg-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Geißler trat mit dem Anspruch als Moderator an: "Alle an den Tisch, alles auf den Tisch."
"Wir wollen die heutige, vollständige Infrastrukturstrukturanalyse mit Ihnen bis ins Detail erörtern."
Auch die Grünen in Baden-Württemberg hatten sich gegen das Bahnprojekt ausgesprochen. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer vertrat seine Partei mit überraschenden Detailkenntnissen. Und immer wieder lieferten sich vor allem Palmer und Geißler Wortduelle - durchaus auch amüsante:
"Herr Geißler, Ihre Zusammenfassung war verständlich."
"Falsch."
"Nicht zutreffend. Und jetzt möchte ich nochmal klarmachen, worum es geht"
"Ein gigantisches Täuschungsmanöver"
"Die Schlichtung war die Wiederentdeckung des Bürgers. Das nutzt Stuttgart zwar nicht mehr, aber der Demokratie", schrieb vor fünf Jahren Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Heute sagt der Stuttgarter Journalist Josef-Otto Freudenreich und Chefredakteur der Wochenzeitung "Kontext":
"Die Schlichtung war, und da stehe ich noch heute dazu, ein gigantisches Täuschungsmanöver, eine Farce, ich könnte auch sagen: Valium für das Volk. All das, was man jetzt weiß, nach fünf Jahren, bestätigt diese These: Es ist nichts umgesetzt, was Heiner Geißler damals empfohlen hat, es fängt schon bei der Begrifflichkeit an, es war nie eine Schlichtung, es war ein Faktencheck. Also wenn ich eine Schlichtung mache, dann müsste da am Ende ein Kompromiss rauskommen, ein verbindlicher."
Das Verfahren endete mit dem Schlichterspruch von Heiner Geißler. Geißler formulierte darin, es sei richtig, Stuttgart 21 zu bauen. Er empfahl, berechtigte Kritikpunkte der Gegner in die Planungen für S21 einzubeziehen. Aus Stuttgart 21 müsse Stuttgart 21 Plus werden.
Das Resümee von FAZ-Korrespondenten Soldt: Einige kritische Punkte seien durch das Verfahren öffentlich geworden und konnten so kritisch aufgearbeitet werden: "Und die Bahn hat ja auch in dem einen oder anderen Punkt zugeben müssen, dass sie Dinge verbessern, nachsteuern muss.Der Konflikt wurde aber nicht durch die Schlichtung, den Faktencheck, befriedet. Die von der grün-roten Landesregierung im November 2011 durchgeführte Volksabstimmung beendete die Auseinandersetzung."
Knapp 60 Prozent der Baden-Württemberger hatten sich für den Bau des Bahnprojekts ausgesprochen. Winfried Kretschmann, damals noch jung im Amt als Ministerpräsident, sagte: Wir werden das Votum akzeptieren. Und so ist es gekommen.
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