Die russischen "Lieferungen waren immer verlässlich"

Henning Voscherau im Gespräch mit André Hatting · 07.12.2012
Startschuss für den Bau von South Stream: Die Pipeline soll unter Umgehung der Ukraine russisches Gas nach Europa liefern. Die EU befürchtet, dass die Pipeline die Abhängigkeit von Russland verstärkt. South-Stream Aufsichtsratschef Henning Voscherau erwartet hingegen keine einseitige Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen.
André Hatting: Mit einer symbolischen Schweißnaht zwischen zwei Röhren beginnt Russlands Präsident Wladimir Putin heute eines der wichtigsten Projekte für den europäischen Energiemarkt: den Bau der Pipeline "South Stream". In drei Jahren soll die Leitung Gas von Russland durch das Schwarze Meer nach Südeuropa pumpen, und zwar gigantische Mengen. Geplant sind bis zu 35 Prozent des gesamten europäischen Gasbedarfs. South Stream ist ein Konsortium aus dem russischen Konsortium Gazprom als Mehrheitseigner, einer BASF-Tochter sowie den italienischen und französischen Energieunternehmen ENI und EDF. Vorsitzender des Aufsichtsrats ist ein Deutscher, der SPD-Politiker und ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Henning Voscherau. Guten Morgen, Herr Voscherau!

Henning Voscherau: Guten Morgen!

Hatting: Welche Folgen hat der Bau von South Stream für den europäischen Energiemarkt?

Voscherau: Na, zuerst muss man sicher sagen, aus der Sicht von Gazprom und aus der Sicht der Russischen Föderation ist die Folge eine Diversifizierung ihrer Gasexportleitungen. Insofern ist das eine Parallele zu der baltischen Pipeline, die ja schon mit zwei Strängen vorhanden ist. Weil dadurch im Norden die Russen nicht mehr angewiesen sind auf den guten Willen jenes regierenden Herrschers in Weißrussland und im Süden auch nicht mehr auf die ansteigende Gaszielmenge in der Ukraine.

Hatting: Warum ist Gas eigentlich als Energieträger immer wichtiger?

Voscherau: Na, wir wollen aus der Kernenergie aussteigen. Wir haben einen Klimawandel, der beherrscht werden muss. Die fossilen Energieträger haben in der Regel erhebliche CO2-Emissionen, Kohle zum Beispiel, und Gas ist ein sicherer und außerdem ein weitgehend emissionsfreier Energieträger, also trifft alle Notwendigkeiten der Energiewende.

Hatting: South Stream steht in direkter Konkurrenz zu "Nabucco", das ist die von der Europäischen Union unterstützte Pipeline. Herr Voscherau, Sie haben gerade schon die Sichtweise Russlands angesprochen, Unabhängigkeit schaffen von jeweiligen Herrschern – umgekehrt kann man natürlich fragen: Wollen Sie jetzt die Europäische Union ärgern mit diesem Projekt?

Voscherau: Nein, überhaupt nicht. Es geht um zwei ganz verschiedene Dinge. Nabucco will ja Gasquellen differenzieren und nicht Gasexportstränge für eine vorhandene Infrastruktur. Sie müssen die Gasquellen dann identifizieren, sie müssen deren technische Leistungsfähigkeit sichern und müssen dann diese Pipeline über Land, also hauptsächlich ja wohl über die Türkei, bauen. Das ist kein Konkurrenzprojekt, sondern komplementär, ein völlig anderes Projekt.

Hatting: Das sieht die EU-Kommission anders. Sie fürchtet sogar, dass South Stream die Abhängigkeit der EU von Russland verstärkt.

Voscherau: Na ja. Das wird immer so gesagt. Also, wenn wir jetzt mal ganz nüchtern in die Geschichte russischer Gaslieferungen nach Österreich, nach Deutschland, überhaupt nach Mittel- und Westeuropa einsteigen seit 1966, dann muss man ja zunächst fair sein und sagen: Diese Lieferungen waren immer verlässlich, und zwar selbst in schwerwiegenden weltpolitischen Konfrontationen. Die Russen haben nie zu dem Mittel gegriffen, Gaslieferung als Waffe einzusetzen. Warum nicht? Ganz leicht erklärbar: Nicht nur wir sind auf der Energieseite abhängig – die Russen sind auf der Seite ihres Staatshaushalts abhängig. Denn ihre Energieexporte, das ist auf Dauer sicherlich sogar ein großes Problem für Russland, machen ja wohl die knappe Hälfte ihrer Staatseinnahmen aus. Und wenn das nicht funktionieren würde, dann können sie wahrscheinlich allerlei nicht mehr bezahlen. Also, die Abhängigkeit ist gegenseitig, und es macht gar keinen Sinn, darin jetzt zu dämonisieren.

Hatting: Sie haben die Verlässlichkeit der Gaslieferungen aus Russland angesprochen. Vor zwei Jahren, im Gasstreit mit der Ukraine, da war das nicht ganz so verlässlich. Wir haben, obwohl es ein Streit mit der Ukraine war, diese Folgen auch in Deutschland zu spüren bekommen.

Voscherau: Ja, es gibt gelegentlich Schwierigkeiten. Das ist wahr. Es hat auch der Präsident von Weißrussland irgendwann mal die Hähne zur polnischen Grenze zugedreht, was dann uns auch getroffen hat. Das ist schon allerlei Jahre her. Der bulgarische Präsident hat dieser Tage daran erinnert, dass Bulgarien im Winter 2008 erhebliche Probleme bekommen hat, und der Fall Russland/Ukraine ist tatsächlich ein sehr ärgerlicher Sonderfall. Als einer der Begleitumstände dieses Sonderfalls sitzt ja die frühere Ministerpräsidentin im Gefängnis ...

Hatting: Das könnte man auch ebenfalls als sehr ärgerlich bezeichnen ...

Voscherau: Ja, das ist natürlich ausgesprochen ärgerlich, ohne dass ich jetzt in Details ihrer Regierungszeit eindringen kann. Jedenfalls: Russland sagt plausibel, dass unablässig russisches Gas in großen Mengen in der Ukraine spurlos verschwindet. Und Gas ist ein Weltmarktartikel. Der wird gekauft und verkauft. Und selbst, wenn man früher einmal Teil der Sowjetunion war, würde ich sagen, gibt es eine ganz einfache Lösung: Die einen liefern und die anderen kaufen und bezahlen. Und wenn das nicht gesichert ist, da kenne ich auch von Lissabon bis Berlin viele Wirtschaftsunternehmen, die dann nicht mehr liefern würden.

Hatting: Sie sagen, die einen liefern, die anderen kaufen und bezahlen – im Augenblick ermittelt die EU-Wettbewerbskommission gegen Gazprom wegen des Verdachts überhöhter Preise. Irritiert Sie das nicht?

Voscherau: Ja, das muss kartellrechtlich natürlich sauber aufgearbeitet werden, und ich gehe davon aus, wie immer im Leben, dass erst, wenn die Entscheidung gefallen ist, jedermann weiß, was wirklich richtig und was falsch war. Also da wird Gazprom zweifellos juristisch tun, was es tun muss. Darüber weiß ich nichts, dazu kann ich auch nichts sagen. Und ich warte in Gelassenheit ab, wie rechtskräftige Entscheidungen am Ende aussehen.

Hatting: Kommen wir noch mal auf das Projekt der EU zurück, nämlich die Nabucco-Pipeline. Der Energiekonzern RWE will angeblich noch in diesem Jahr aussteigen. Damit wäre Nabucco so gut wie tot. Und Europa gleichsam energiepolitisch eingeschlossen. Im Norden russisches Gas über die Ostseepipeline North Stream, dort ist Gerhard Schröder Vorsitzender des Aktionärsausschusses, und im Süden South Stream. Ist das energiepolitisch der richtige Weg für Europa?

Voscherau: Tja. Wissen Sie, das ist eine ganz schwierige Frage. Also ich glaube, dass die Europäer in ihrer Integration aus weltpolitischen Gründen gegenüber Ostasien ohnehin auf Dauer gar nicht umhinkönnen, ein freundschaftliches, nachbarschaftliches, vielleicht sogar Integration einfließendes Verhältnis zu einem demokratisch auf immer besserem Wege hoffentlich die nächsten 20, 30 Jahre befindlichen Russland zu definieren, und dann stellen sich die Fragen so gar nicht mehr.

Was man, glaube ich jedenfalls, nicht tun kann, ist, in Abkehr von der Russlandpolitik von Bundeskanzler Kohl ständig diese großen Nachbarn mit ihrem Rohstoffreichtum vor den Kopf zu stoßen. Und ich glaube auch nicht, dass es richtig wäre, sie anders, nämlich schlechter in Menschenrechts- und Demokratie- und Rechtsstaatsfragen zu behandeln als zum Beispiel die chinesische Führung. Und da kann man schon feststellen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Das halte ich langfristig für ganz falsch, ohne nun irgendetwas beschönigen zu wollen, was in Russland, das auf einem langen Weg ist, sicherlich noch verbessert werden muss.

Hatting: Henning Voscherau, Aufsichtsratsvorsitzender von South Stream. Das Energiekonsortium beginnt heute mit dem Bau seiner Erdgaspipeline. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Voscherau.

Voscherau: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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