Die Rotbuche

Loblied auf einen Lieblingsbaum

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Rotbuche (Fagus sylvatica) auf einem Feld in Allgäu, Oberbayern.
Die Buche ist unter den mitteleuropäischen Klimaverhältnissen durchsetzungsfähiger als die Eiche. © picture allaince / image BROKER / Herbert Kehrer
Überlegungen von Stephan Börnecke · 22.10.2020
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Seit etwa 20 Jahren sind laut Waldzustandsbericht nicht mehr so viele Bäume abgestorben wie im letzten Jahr. Ein Baum kämpft aber ganz standhaft gegen alle Widrigkeiten, berichtet Rotbuchenfan und Publizist Stephan Börnecke.
Der Schriftsteller Robert Walser zitiert seinen Lehrer mit der Erkenntnis, "dass in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit das mittlere Europa ein einziger großer Wald wäre – wenn die Zivilisation zurückginge".
Der Lehrer vergaß, zu erwähnen, dass dies dann ein Buchenwald wäre. Nicht Eiche, Kiefer oder Fichte würden den nacheiszeitlichen deutschen Wald dominieren, sondern die Rotbuche, Fagus sylvatica.

Die Rotbuche ist besonders typisch für Deutschland

Von Sizilien bis Südschweden, über die Pyrenäen bis in die Karpaten verbreitet, liegt Deutschland im Zentrum der Verbreitung der Rotbuche. Sie ist der eigentliche deutsche Baum, nicht die Eiche. Darin liegt auch ein gutes Stück Verantwortung, denn an diesem Baum hängt eine speziell darauf eingestellte Flora und Fauna.
Die letzte Eiszeit vertrieb unsere Bäume weit in südliche Gefilde. Es brauchte Tausende von Jahren, bis sie zurückkamen. Dabei ist die besonders langsame Nord-Wanderung der Buche noch nicht beendet. Und das hat mit dem Klimawandel erst mal gar nichts zu tun.


Normalerweise ist die Buche unter den mitteleuropäischen Klimaverhältnissen durchsetzungsfähiger als Eiche, Linde, Ahorn, Ulme oder Kiefer. Sie lässt Birken, Ebereschen und Hasel zwar den Vortritt, wenn der Wald eine von Sturm oder Feuer vernichtete Parzelle erobert. Doch aus dem Halbdunkel schießt sie irgendwann hervor und stellt alle anderen Bäume in den Schatten.

Der älteste deutsche Buchenwald

Einmal erwachsen geworden, kann ein Buchenwald von sakralem Charakter entstehen. Man tritt in eine grüne Halle. Überwölbt von einem 30, 40 Meter hohen Dach herrscht eine wunderbare Ruhe. Unterbrochen wird die Stille vom Trommeln der Schwarzspechte. Sie hacken ihre Bruthöhlen in dicke Buchenstämme, die im Innern schon ein wenig faulig sind. Der Specht erkennt das am Klang, den seine Hiebe erzeugen.
In der Buche entstehen Höhlen, an denen die Spechte mit der roten Kappe mehrere Jahre zimmern, die sie aber schon nach einmaligem Gebrauch weiter geben an Raufußkauz, Hohltaube und Dohle. Wer die Heiligen Hallen der Feldberger Seenlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern besucht, der wird in einen Bann gezogen: Mehr als 300 Jahre alt und seit 100 Jahren ohne forstlichen Eingriff, befindet sich der wohl älteste deutsche Buchenwald seit sechs oder sieben Dekaden in einer dramatischen Phase:

Der Wechsel von natürlichem Zerfall und natürlicher Auferstehung ist voll in Gang. Es ist ein lebendiges, für jeden beobachtbares Schauspiel, wenn vom Alter gezeichnete Buchen Ast um Ast abwerfen, die Rinde abplatzt, Vögel, Insekten und Pilze die Stämme durchlöchern und zernagen, sie also sterben, und gleich daneben zarte Bäumchen die nächste Generation erschaffen.

Nicht heimische Bäume auf dem Vormarsch

Manchen Förstern sind solche Hallen suspekt. Sie nennen sie artenarm. Sie möchten sie ersetzen durch angeblich stabilere, dem Klimawandel trotzende Mischwälder. Dazu reißen sie Löcher in die Reinbestände der Buchen und pflanzen schnellwüchsige nordamerikanische Douglasien hinein. Von denen man nur hoffen kann, dass sie auch wirklich dem Klimawandel trotzen. So genau weiß das keiner.
Das alles geschieht mit Rückendeckung einer grün getünchten Politik: Denn das ach so gepriesene FSC-Nachhaltigkeitssiegel erlaubt aus ökonomischen Gründen einen Anteil von sogar 20 Prozent nicht heimischer Bäume. Waldwanderer werden es bemerkt haben:

Seit Ende September hageln große Mengen Bucheckern aus dem Geäst. Mehr als im Herbst sonst üblich. Dahinter verbirgt sich womöglich eine Reaktion auf drei sehr trockene Sommer. Die Buche wendet alle Kraft auf, um sich zu vermehren, um die Art zu retten. Ob ihr das gelingt, hängt von uns allen ab.

Stephan Börnecke arbeitet als Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Agrarpolitik, Ökolandbau und Naturschutz. Er war Redakteur und Reporter bei der "Frankfurter Rundschau", zuletzt im Ressort Wirtschaft. In mehreren Buchveröffentlichungen widmete der Autor sich Themen aus den Bereichen Landwirtschaft und Natur. Börnecke wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Journalistenpreis der Deutschen Umwelthilfe für sein Lebenswerk.

Porträtfoto von Stephan Börnecke.
© privat
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