Die renommiersüchtige Gesellschaft

18.07.2011
Die bissigen Feuilletons des Autors William Makepeace Thackeray erschienen 1846/47 in der Satirezeitschrift "Punch". Dass der Snob keineswegs mit dem viktorianischen Zeitalter ausgestorben ist, enthüllt beinahe jede Zeile dieses spritzigen Kleinods voller Spottlust und Esprit.
Arrogant, aufgeblasen, unsympathisch: Was ein Snob ist, glaubt man ziemlich genau zu wissen. Dabei ist bis heute nicht bekannt, woher das Wort eigentlich stammt, jedenfalls kommt es angeblich nicht vom lateinischen "sine nobilitate" (kurz "s.nob.", also "ohne Vornehmheit").

Fest steht hingegen, wodurch der Snob in aller Munde kam: Es war William Makepeace Thackeray (1811-1863), der den Typus populär machte. Als hätte er sich für seinen großen Gesellschaftsroman "Jahrmarkt der Eitelkeit" kräftig warmgelaufen, schrieb er in 52 Kapiteln eine hinreißend komische Typologie dieses bis heute nicht aus der Mode gekommenen Menschenschlags.

"Snobs sind zu erforschen wie andere Gegenstände der Naturwissenschaften und sie sind Teil des Schönen", befindet er im Vorwort. Und er zeigt sie in kuriosen Verrenkungen bei dem Versuch, etwas darzustellen, was sie nicht sind: Möchtegernvornehme, Hochstapler, Parvenüs. Allen rückt er auf den Pelz, dem blasierten Hochadel, City-Bankiers kurz vor der Pleite, dünkelhaften Epaulettenträgern, "fashion victims", den Sklaven der Mode, oder radschlagenden Intellektuellen.

Er karikiert die Fabrikantengattin auf lordschaftlichen Festbanketten ebenso wie die snobhafte Anmaßung des Edelmannes, der sich den ererbten Müßiggang samt Dienerschaft in pfirsichfarbenen Beinkleidern nur noch dank Heirat mittelständischen Geldes leisten kann. In köstlichen Anekdoten voller sinnlicher Details entfaltet Thackeray das Panorama einer renommiersüchtigen Gesellschaft, die wie das goldene Kalb den sozialen Status anbetet. Dabei stellt sich der Autor selbst keineswegs aus der Schusslinie. Alles andere als ein bitterer Moralist, ist er selbst immer und überall dort anzutreffen, wo sich die beste Gesellschaft die Türklinke in die glacégeschützte Hand gibt und Whisky und Champagner fließen.

Snobs gibt es laut Thackeray in vielen Spielarten, sie treten in nahezu jeder Lebenslage auf, als Clubsnobs, kontinentale Snobs, Snobs in der Ehe, radikale Snobs, Universitätssnobs. Das Vergnügen der Lektüre liegt in den messerscharfen Beobachtungen zur Psychologie des sozialen Aufstiegs - und dem Respekt, den der Autor einem System entgegenbringt, das er völlig durchschaut, aber gerade seiner Skurrilität wegen nicht einfach aburteilt.

Studiert hat der 1811 im indischen Kalkutta als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geborene Thackeray diese Spezies an vielen Orten der Welt, in England, wo er aufwuchs, in Paris und Rom, wo er Malerei lernte, in Weimar, wo er Goethe vorgestellt wurde, in den Clubs von London. Dort schlug er sich zunächst mit journalistischen Arbeiten durch.

Seine wunderbar bissigen Feuilletons erschienen 1846/47 allwöchentlich in der Satirezeitschrift "Punch". Jetzt liegen sie erstmals vollständig auf Deutsch vor. Mit Gisbert Haefs hat sich ein Übersetzer gefunden, der den für Thackeray kennzeichnenden üppigen Wortschatz samt stilistischer Herrlichkeiten virtuos ins Deutsche bringt. Erfreulich knapp gehaltene Anmerkungen lotsen den Leser nicht nur zuverlässig durch das Who is Who der englischen Society, sondern sie vermitteln auch das notwendige Hintergrundwissen über Bibel- und Shakespeare-Zitate oder Modedrogen der Zeit wie den Sherry-Cubbler. Dass der Snob keineswegs mit dem viktorianischen Zeitalter ausgestorben ist, enthüllt beinahe jede Zeile dieses spritzigen Kleinods voller Spottlust und Esprit.

Besprochen von Edelgard Abenstein

William Makepeace Thackeray: "Das Buch der Snobs". Aus dem Englischen von Gisbert Haefs, Manesse-Verlag, Zürich 2011, 464 Seiten, 22,95 Euro.
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