"Die Reise in den Westen"

Chinesischer Klassiker erstmals auf Deutsch

Beijing, China: Der Löwentanz im Ditan Park und das Cover des Buches "Die Reise in den Westen".
Beijing, China: Der Löwentanz im Ditan Park und das Cover des Buches "Die Reise in den Westen". © Reclam / Vcg / MAXPPP
Eva Lüdi Kong im Gespräch mit Joachim Scholl · 31.01.2017
Halb Abenteuerbuch, halb philosophisches Werk: "Die Reise in den Westen" ist einer von vier klassischen chinesischen Romanen. In China kennt ihn jedes Kind. Vielleicht auch bald in Deutschland. Vor kurzem ist der Klassiker erstmals auf Deutsch erschienen.
Den Roman "Reise in den Westen" kennt in China jedes Kind. Denn der literarische Klassiker aus dem 16. Jahrhundert ist auch in zahllosen populären Variationen wie Comic oder Videospiel verbreitet. Er erzählt die Geschichte von vier Pilgern, die sich im 7. Jahrhundert aufmachen, um in Indien nach den Originalen der buddhistischen Schriften zu suchen. Auf ihrer Reise erleben sie zahlreiche Abenteuer, begegnen fantastischen Gestalten und kämpfen gegen Dämonen, Räuber und Ungeheuer.
"Reise in den Westen" sei aber mehr als nur ein Abenteuerbuch, sagt die Sinologin Eva Lüdi Kong, die das 1300 Seiten starke Werk in fast zwanzigjähriger Arbeit erstmals ins Deutsche übersetzt hat. Sondern es stecke auch viel an buddhistischer und daoistischer Weisheit in dem Buch. "Sodass wir eine ganz realistisch geschilderte Erzähl- und Abenteuerebene haben und gleichzeitig eine untergründige Wahrheitssuche, Reise zur Erlösung, sehr stark versetzt mit buddhistischen, zen-buddhistischen, daoistischen Inhalten und Philosophien", so Lüdi Kong im Deutschlandradio Kultur.
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Holzschnitt aus "Die Reise in den Westen"© Foto: Reclam-Verlag

"Man kann es Kindern vorlesen"

Dennoch sei das Buch sehr kinderfreundlich: "Man kann es Kindern vorlesen", sagt die Übersetzerin. "Man kann die tiefen Schichten absolut überspringen, und das wird auch in China so gemacht: Die Leute lesen die Action."
Die deutsche Übersetzung ist als bibliophile Ausgabe bei Reclam erschienen: "Es gibt sehr viele Holzschnittillustrationen von verschiedenen Ausgaben dieses Romans, in verschiedenen Jahrhunderten, und wir haben die dann ausgewählt und teils auch ganz leicht restaurieren lassen von Fachleuten in China." (uko)

"Die Reise in den Westen"
Aus dem Chinesischen von Eva Lüdi Kong,
Reclam-Verlag , 1320 Seiten. 100 Holzschnitte aus dem 17. Jahrhundert,
88 Euro


Das Interview im Wortlaut:
Joachim Scholl: Wir wollen jetzt in einem Roman blättern aus China. Dort kennt ihn jedes Kind als literarischen Klassiker, der auch in zahllosen populären Fassungen vom Comic bis zum Videospiel verbreitet ist, eine erste vollständige deutsche Übersetzung hat jetzt der Reclam-Verlag herausgebracht – in einem bibliophilen Prachtband von über 1.300 Seiten. Aber ohne Eva Lüdi Kong wäre das alles nicht passiert. Die Schweizer Sinologin hat den Text übersetzt in bald 20-jähriger Arbeit. In einem Studio in Bern hat Eva Lüdi Kong für uns Platz genommen, guten Tag!
Eva Lüdi Kong: Hallo, guten Tag!
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Die Sinologin und Übersetzerin Eva Lüdi Kong© Foto: Reclam-Verlag
Scholl: "Die Reise in den Westen", das ist der Titel dieses Riesenwerks. Helfen Sie mir und allen, Frau Lüdi Kong, die wir bislang noch keinen Pieps von diesem Klassiker vernommen haben! Was ist das für ein Buch?
Kong: Ja, ist eigentlich auch interessant, dass man das hier so gar nicht kennt. In China kann man gut sagen, dass es tatsächlich der Roman, den jeder kennt und jedes Kind, wie Sie gesagt haben. Der Roman, das ist eine Geschichte, die hat sich entwickelt über sehr lange Zeit hinweg und es geht darauf zurück, auf die historische Figur des Mönchs Xuanzang, der in China lebte und der damals in der Zeit, als der Buddhismus noch nicht so stark verwurzelt war, nach Indien aufgebrochen ist, um dort die Originale der buddhistischen Schriften aufzusuchen.

17 Jahre durch China und Indien

Und er hat diese Reise gemacht, sogar eigentlich ist er illegal ausgereist, das war eine sehr starke Persönlichkeit, ist 17 Jahre lang durch China und Indien gereist und hat am Ende tatsächlich eine ganze Menge an buddhistischen Sutren nach China gebracht und dann eigentlich sein Leben der Übersetzung dieser Schriften gewidmet, die heute noch die chinesische … Viele chinesischen Sutren sind von ihm übersetzt. Er wurde dann nach seiner Rückkehr auch vom Kaiser persönlich gefördert und dadurch hat sich auch diese spektakuläre Geschichte eigentlich von selbst immer weiterentwickelt. Das heißt, da hat man erzählt, das hat sich im Volk verbreitet, da wurden auf Tempelfesten diese Abenteuer ausgeführt und später dann auch auf dem Markt von professionellen Geschichtenerzählern, und es wurde immer mehr und immer üppiger und fantasiereicher dann ausgeführt.
Scholl: Wir reden über das 16. Jahrhundert, also eine richtige Abenteuergeschichte, die sich dann entwickelt. Könnte man so mit unserer Nibelungensage vielleicht vergleichen, wo man ja auch die Motive kennt, aber auch nicht weiß, wer die Geschichten geschrieben hat.
Kong: Ja, bei der "Reise in den Westen" ist es so … Ja, es hat so was, dass sich eben viele Legenden und Sagen und Erzählungen da zusammengesponnen haben zu einem Gesamtwerk. Von dem her vielleicht ja. Bei der "Reise in den Westen" ist es so … Also, dieser Mönch lebte im 7. Jahrhundert, der Roman ist aus dem 16. Jahrhundert, da haben wir fast eine Jahrtausendentwicklung drin. Und da hat sich dann ganz viel auch reingesponnen, nicht nur an Legenden und Sagen und Mythen, sondern auch an buddhistischer, daoistischer Weisheit. Also, in diesem Sinne hat sich dann der Roman immer mehr in Richtung … in eine Zweispurigkeit entwickelt, sodass wir eine ganz realistisch geschilderte Erzähl- und Abenteuerebene haben und gleichzeitig eine untergründige Wahrheitssuche, Reise zur Erlösung, sehr stark versetzt mit buddhistischen, zen-buddhistischen, daoistischen Inhalten und Philosophien.
Scholl: Jetzt haben Sie schon zweimal das Wort benutzt, Eva Lüdi Kong, daoistisch. Ich muss gestehen, dass ich es vorher überhaupt nicht kannte.
Kong: Ja.

In diesem Buch ist "alles drin an der chinesischen Lebensanschauung"

Scholl: Sie sollen sich bei der Arbeit von einem daoistischen Mönch Rat geholt haben. Wie sah denn diese Hilfe aus, wozu brauchten Sie die?
Kong: Ja, das war sehr wichtig, weil, ich habe ja sehr lange übersetzt und da hat man ja eine Menge Probleme auch zu lösen, Schritt für Schritt. Und ich habe auch an der Uni dann Grundlagen gesetzt in klassischer Literatur und so weiter und habe dann gemerkt: An die daoistischen Inhalte komme ich nicht heran. Und zwar ist daoistisch eigentlich die genuin chinesische Religion, die keinen Gott hat, aber einfach als höchste oder letzte Wahrheit Dao, den großen Weg des Wandels, der Naturgesetze annimmt. Und da gibt es dann auch viele Inhalte, die mit der Alchimie zu tun haben, da gibt es äußere Alchimie, innere Alchimie, das heißt, die tatsächliche Chemie wurde dann übertragen auf die Meditation und da gibt es sehr viele Begriffe, da wird von Quecksilber gesprochen, von Blei gesprochen und viele Begriffe, die einfach enigmatisch sind und die man sich auch an der Universität nicht erschließen kann. Man braucht da Leute, die sich wirklich auskennen.
Scholl: Und da hat Ihnen dieser Mensch geholfen.
Kong: Ja, der hat auch selbst eine ganz interessante Arbeit geschrieben über dieses Buch, und das hat dann sehr gut übereingestimmt, ja.
Scholl: 17 Jahre haben Sie, Frau Lüdi Kong, an der Übersetzung gearbeitet, von 1999 an. Und Sie haben diese Arbeit auch in China selbst geleistet, Sie haben dort gelebt. Das muss ja auch eine Reise für Sie gewesen sein, über diese lange Zeit hin, oder?
Kong: Ja, durchaus. Also, ich denke, man fängt ja so ein Buch vielleicht auch eher ein bisschen aus einer Naivität heraus an, weil man einfach nicht weiß, was da alles drinsteckt. Da steckt wirklich alles drin an der chinesischen Lebensanschauung, buddhistisch, daoistisch, konfuzianische Philosophien sind da drin. Und das muss man sich natürlich dann alles erarbeiten, wenn man das auch adäquat übersetzen will. Und gleichzeitig, was für mich ganz wichtig war und ein ganz besonderer Grund, diese Arbeit zu machen, ist, dass diese chinesischen Lebensweisheiten, da geht es immer um die Arbeit an sich selbst, um den Weg der Vervollkommnung. Und das ist dann etwas, was man für sich ganz gut auch eben praktizieren kann und was eben zum Beispiel jetzt von diesem Daoisten, den Mönchen, Nonnen wirklich praktiziert wird. Und da wird es dann auch sehr spannend, da kriegt die ganze Reise, also der Roman eine ungeheure Aktivität.

"Ein unheimlich kinderfreundliches Buch"

Scholl: Wir müssen jetzt unbedingt auch das Buch würdigen, Frau Lüdi Kong. Ich habe schon erwähnt: Über 1.300 Seiten schwer, von außen sieht es ganz schlicht aus, innen aber feinste Ausstattung, ein Prachtband mit 100 Holzschnitten aus dem 17. Jahrhundert – diese Gestaltung müsste Sie wahrscheinlich besonders schön freuen?
Kong: Ja, genau, genau! Also, wir haben die Holz… Es gibt sehr viele Holzschnittillustrationen von verschiedenen Ausgaben dieses Romans, in verschiedenen Jahrhunderten, und wir haben die dann ausgewählt und teils auch ganz leicht restaurieren lassen von Fachleuten in China. Und ja, ich finde … Ich finde das Buch wunderbar jetzt, ja.
Scholl: Sie haben vorhin schon den populären Charakter dieses Buches angesprochen, also die Figuren, die Motive. Kennt jedes Kind in China und sie werden tausendfach variiert, zitiert, in Filmen, Comics, Videospielen. Können wir denn in Deutschland, deutsche Leser, können wir denn mit diesem Reichtum an Formen, Farben und auch Philosophie auch etwas anfangen? Wie sollen wir dieses Buch lesen, Frau Lüdi Kong?
Kong: Ja, ich denke, es ist ein Buch, das wirklich auch unheimlich kinderfreundlich ist. Das Buch liest sich trotz dem, was ich jetzt eben gesagt habe von tiefen Schichten, es liest sich total leicht, es wird … Zu dieser Geschichte des Mönchs, der in den Westen reist, kommen diese skurrilen Figuren des Affenkönigs und des Ebers und überhaupt wird im ganzen Roman die Geschichte des Affenkönigs vorangestellt, und dieser Affenkönig, das ist ein Held, der hat übernatürliche Fähigkeiten, der hat Zauberkräfte. Und das ist eigentlich so die ideale Figur der kleinen Kinder auch. Er hat vor nichts Angst, er ist subversiv, er beugt sich vor keiner Autorität, er anerkennt keine Hierarchie. Und das ist natürlich in China auch sehr faszinierend und auch hier, denke ich.

"Die Leute lesen die Action"

Scholl: Das hört sich jetzt an, als ob man das schön Kindern vorlesen kann?
Kong: Absolut, man kann es Kindern vorlesen.
Scholl: Mit 1.300 Seiten hat man auch ordentlich Stoff, glaube ich, fürs Jahr.
Kong: Da hat man Stoff, genau! Und man kann es eben … Man kann die tiefen Schichten absolut überspringen, und das wird auch in China so gemacht: Die Leute lesen die Action.
Scholl: Die Sinologin, die Übersetzerin Eva Lüdi Kong, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Kong: Ja, ganz herzlichen Dank Ihnen!
Scholl: "Die Reise in den Westen" ist im Reclam-Verlag erschienen, 1.320 Seiten stark mit, wie gesagt, 100 Holzschnitten. Die Ausgabe ist nicht ganz billig, die Ausstattung hat ihren Preis, 88 Euro. Aber die Erstauflage ist schon vergriffen, momentan wird nachgedruckt. Danke noch mal nach Bern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.