Die Realität ist der Film

Von Johannes Nichelmann · 31.10.2011
Christian Klandt macht Spielfilme, die sehr dokumentarisch sind. Ein Stil, mit dem er auf Festivals schon Erfolg hatte. Seinen Diplomfilm "Little Thirteen" hat er gerade erst abgedreht. Dort geht es um Menschen, denen Sexualität zum Ersatz für das wahre Leben geworden ist.
"Gut, dann alles klar. Probe! Text!"

Darstellerin: "Soll ick Deinem kleinen Bruder och noch die Haare schneiden?"

"Kilian, geh mal zu Doreen."

Gedreht wird in einem verlassenen Plattenbau von Berlin Marzahn. Regisseur Christian Klandt, die Haare zu einem schwarzen Pferdeschwanz gebunden, steht vor dem Kontrollmonitor. Er sieht sich an, was die Kamera im Nebenzimmer einfängt, gibt Anweisungen. Der 33-Jährige dreht seinen Abschlussfilm an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg. Titel: "Little Thirteen". Die Handlung: direkt aus dem Alltag des Speckgürtels einer nicht genannten Großstadt.

"Wenn der Film funktioniert und wir ihn zum Beispiel in solchen Brennpunkten zeigen und mich danach die Leute fragen: 'Ja, wo ist die Geschichte? Was ist hier passiert, das ist ja ... Du erzählst ja gar nichts Neues?' - dann hat der Film funktioniert."

Der gebürtige Brandenburger will die Wirklichkeit der Jugendlichen in den Randbezirken zeigen. Das heißt nicht nur in Plattenbausiedlungen, sondern auch in den schicken Reihenhäusern. Anders als in den Sendungen des Privatfernsehens, in denen beispielsweise junge Mütter mit fünf Kindern gezeigt, und als asozial abgestempelt werden, will er ohne Wertung hinter die Kulissen schauen. Zwei Jahre hat Klandt recherchiert, keine Klischee-Mandys im Jogginganzug gefunden, sondern junge Menschen, für die Lust, Leidenschaft und Leere den Alltag ausmachen.

"In der Schule bin ich nicht anerkannt. Aber im Bett, da werde ich gebraucht und da habe ich mich perfektioniert. Heutzutage wollen die Mädels wissen, wie kann man denn dem Typen perfekt einen blasen. Also sie nehmen sich komplett zurück."

Der Regisseur will keine neue "Generation Porno" herauf beschwören und davon erzählen, wie verroht die heutige Jugend doch ist. Die Anfänge dieser Geschichten sind eh bekannt, meint er. Pornos auf dem Handy, Gewalt hier, Schwangerschaften da. Aber wie gehen die Biografien derer weiter, die sich durch äußere oder innere Zwänge, einem Leben verschrieben haben, das nur noch auf dem Körperlichen beruht? "Little Thirteen" will das ergründen.

"Sie sind später, als Erwachsene, unfähig so etwas ähnliches wie Liebe zu empfinden. Ein Bindungsgefühl aufzubauen, zu einer Person und damit eine Familie zu gründen. Ja das verkümmert und das ist für mich sehr berührend, dass man nicht mehr Liebe empfinden kann. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, warum ich die Geschichte verfolgt habe."

Mit einer Autorin hat er diese Geschichten zu einem Episodenfilm gemacht. Die Figuren gibt es alle auch im wahren Leben. Das Drehbuch hat überzeugt, denn es ist der erste Abschlussfilm eines Regiestudenten, den die mächtige "X-Film" produziert. Sonst gehören Kassenschlager wie "Good bye Lenin" oder die Werke von Starregisseur Tom Tykwer in ihr Programm.

In der Wohnung von Christian Klandt in Berlin. Ein schicker Altbau. In der Ecke ein Plattenspieler aus grauer Vorzeit. Überall verstreut liegen Notizen und Skizzen. Die Wohnung eines Regisseurs. Nur eines ist seltsam, auf dem Klingelschild steht noch ein anderer Name, obwohl er hier alleine lebt.

"Ich heiße nicht Klandt. Gut beobachtet, auf meinem Klingelschild steht auch noch Schulz. Weil es drei, vier Christian-Schulz-Regisseure draußen gibt, da gab's dann immer wieder Verwechslungen. Wie auch immer. Deswegen Klandt."

Im Regal stehen alte VHS-Kassetten. Seine ersten Gehversuche als Filmemacher. Klandt erstellt Porträts über seine Schulfreunde.

"Mit zehn Jahren habe ich meine erste Fotokamera geschenkt bekommen und hab ganz ganz viele Momente, wo wir mit Freunden, mit Schulkameraden unterwegs waren, wenn wir Strandpartys gemacht haben, hab ich immer gefilmt und hab das dann einfach mit der Videokamera und meinem VHS-Rekorder geschnitten und hab dann so ein kleines, grobes Filmchen erstellt. Das ist sehr charmant, ja."

Über dem Schreibtisch hängt das Plakat seines ersten großen Films "Weltstadt". Darauf zu sehen sind Windräder im gelblichen Abendhimmel. Eine Untergangsstimmung. Der Film spielt in der brandenburgischen Heimatstadt von Christian Klandt, in Beeskow. Auch diese Geschichte ist wahr und sie tut weh. Zwei Jugendliche ermorden einen Obdachlosen, fackeln ihn ab. Der Fall geht damals durch die Presse. In fünf Episoden ergründet "Weltstadt" keine Details, die zeigen, wie genau es zu der Tat kommt, sondern einfach das triste Leben in Beeskow. Eine Analyse, die keine Wertung abgibt.

Weltstadt Ausschnitt:
Mädchen I: Man, Steffi! Ey, wie lange willste hier denn noch hocken? Hier willste bleiben, ja?
Mädchen II: Ne, will ich nich. Hab ich nie gesagt.
Mädchen I: Ja, dann bewirb dich mal woanders. Jenny hat jetzt auch was gekriegt in Hamm. Mädchen II: Hamm? Wo isn das? Hamm!?


"Weltstadt" läuft auf 30 Festivals, bekommt sieben Auszeichnungen und ist 2009 sogar im Kino zu sehen. Der Stil von Christian Klandt kann, durch den Verzicht auf das große dramatische Erzählen, für den Zuschauer anstrengend sein. Hinsehen lohnt sich aber - es sind die Feinheiten, die seine Figuren und deren Geschichten ausmachen. Bei "Little Thirteen" setzt er diese Art Filme zu machen fort.

"Ich beobachte sehr sehr gut und mich interessieren viele Sachen. Und die Sachen, die mich interessieren, die lasse ich durch mich filtern. Ob das jetzt jemand hören will oder sehen will oder nicht. Diesen Luxus momentan habe ich noch. Ich kann nur sagen, dass die Geschichte der Star ist und nicht die Macher vor und hinter den Kulissen."