Die Queen als Leseratte

12.12.2008
Im Herbst avancierte "Die souveräne Leserin" von Alan Bennett schnell zum Bestseller. Die Story: Die Queen entdeckt einen Bücherbus in der Nähe ihres Palastes und wird begeisterte Leserin. Durch das Lesen wandelt sich ihr Blick auf ihr Leben als Monarchin. Nun liegt die Geschichte auch in einer ausgesprochen guten Hörbuchfassung vor.
Die Hunde des Hauses Windsor bellen aufgeregt: Ein Lieferwagen ist vorgefahren. So lässt Alan Bennett seine komische Erzählung "Die souveräne Leserin" beginnen. Die hat Jürgen Thormann, Schauspieler und deutsche Stimme von Peter O'Toole und Michael Caine, gelesen, für das sehr gelungene Hörbuch. Die Queen stellt fest, dass es sich bei dem Wagen um eine mobile Leihbücherei handelt. Sie betritt ihn und macht Bekanntschaft mit dem Fahrer und Norman, der als Küchenjunge im Königshaus arbeitet. Die beiden Männer ermutigen die Queen, auch ein Buch auszuleihen:

""Was lesen Ihre Majestät denn gern?"
Die Queen zögerte, denn, um ehrlich zu sein, sie wusste es nicht. Sie hatte sich nie sehr fürs Lesen interessiert. Natürlich las sie, wie man das eben tat. Aber Bücher gern lesen, das überließ sie anderen. Das war ein Hobby. Und ihr Beruf brachte es mit sich, keine Hobbys zu haben. Jogging, Rosen züchten, Schach oder Bergsteigen, Torten dekorieren, Modellflugzeuge, nein! Hobbys bedeuteten Vorlieben, und Vorlieben mussten vermieden werden. Sie schlossen bestimmte Menschen aus. [...]
Also lies sie den Blick durch den büchergesäumten Lieferwagen schweifen und spielte auf Zeit: 'Darf man denn einfach so ein Buch ausleihen, auch ohne Mitgliedskarte?'"

Die Queen darf und wählt, um der peinlichen Situation zu entkommen, willkürlich ein Buch aus. Schnell beginnt sich aber die unbelesene Königin für Literatur zu begeistern. Mit Hilfe von Norman, den sie vom Küchenjungen zu ihrem Literaturberater befördert, wird sie zur regelrechten Leseratte.

"Nachdem sie die Freuden des Lesens für sich entdeckt hatte, war ihre Majestät darauf bedacht, sie weiterzugeben.
"Lesen Sie Summers?" fragte sie ihren Chauffeur auf der Fahrt nach Northampton.
"Lesen, Mam?"
"Bücher"
"Wenn ich Gelegenheit habe, aber irgendwie finde ich nie die Zeit dafür."
"Das sagen viele Menschen, man muss sich die Zeit nehmen. Heute Vormittag zum Beispiel, Sie werden vor dem Rathaus im Auto sitzen und auf mich warten, da könnten Sie doch lesen?"

Die neue Leidenschaft der Queen missfällt ihrer Entourage, ganz besonders ihrem Privatsekretär Kevin. Er räumt den Literaturassistenten Norman aus dem Weg. Doch die Queen verschlingt weiter Bücher und notiert dazu ihre Gedanken.
Jürgen Thormann ist eine Idealbesetzung für die Hörbuchfassung dieser Erzählung. Er versteht es brillant, die Komik des Textes zu transportieren und selbst das kleinste Augenzwinkern zu Tage zu fördern, um sofort wieder in einen nachdenklichen Ton überzugehen. So auch in jener Passage, in der die Queen sich über den abschweifenden Henry James ärgert:

"Henry James war es auch, den sie einmal beim Tee las, als sie laut sagte: 'Ach, nun aber mal los!' Das Hausmädchen wollte gerade den Teewagen hinausschieben, sagte 'Entschuldigung, Mam!' und war in weniger als zwei Sekunden aus dem Zimmer gehastet. 'Nicht sie, Alice!', rief die Queen hinter ihr her und ging dafür sogar zur Tür. 'Nicht sie!'
Früher einmal wär's ihr egal gewesen, was das Hausmädchen dachte oder ob sie ihre Gefühle verletzt hatte. Jetzt aber nicht mehr. Und als sie zu ihrem Stuhl zurückkehrte, überlegte sie wieso."

Es kippt von der Komik ins Nachdenkliche. Jürgen Thormann ist ein Meister in diesen Übergängen. Die Literatur bereichert und verändert einen Menschen, auch die Queen. Hier tritt der gewitzte Autor Alan Bennett hervor. Ein angenehmer Aufklärer ohne erhobenen Zeigefinger. Die neue Leidenschaft der Königin sorgt jedenfalls weiter für Verwirrung. Der Premierminister fürchtet mittlerweile die wöchentliche Unterredung mit der Queen. Denn sie merkt, dass er erhebliche Wissenslücken hat und gibt ihm deshalb jedes Mal Bücher mit:

""Sie befragte ihn sogar zu den ausgeliehenen Büchern, als handele es sich um Hausaufgaben. Als sie merkte, dass er sie nicht gelesen hatte, lächelte sie nachsichtig. 'Meine Erfahrung mit Premierministern ist, Herr Premierminister, dass sie mit Ausnahme Mister Macmillans andere für sich lesen lassen.' 'Man ist doch sehr beschäftigt, Mam!', sagte der Premierminister. 'Man ist beschäftigt', stimmte sie zu und griff nach ihrem Buch. 'Wir erwarten Sie dann nächste Woche wieder.'”"

Geradezu panisch wird der Premierminister, als die Queen schließlich verkündet, selbst ein Buch schreiben zu wollen, auch darüber, wie sie diverse Premierminister erlebt hat. Vielleicht wird Alan Bennett irgendwann einmal dieses Buch der Königin schreiben. Zu hoffen wäre es. Denn "Die souveräne Leserin" ist derart intelligent und mit einem solch subtilen Humor geschrieben, dass man davon einfach mehr möchte. Als Text und ganz besonders als Hörbuch.

Rezensiert von Tobias Wenzel

Alan Bennett: Die souveräne Leserin
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Gelesen von Jürgen Thormann. Regisseur: Hans-Gerd Koch
3 CDs, 185 Minuten. Patmos Verlag 2008. 19,95 Euro