Die Priesterin muss sich erst warm singen

Von Jörn Florian Fuchs · 17.05.2013
Cecilia Bartoli bleibt zu Beginn von Bellinis "Norma" in Salzburg weit unter ihren Möglichkeiten. Dann aber zeigt sie ihre ganz Könnerschaft. Das übrige Ensemble ist durchgehend hervorragend - ausbuhen möchte man nur das Publikum.
Mehrfach würde man gern "Buh!" rufen an diesem Abend. Natürlich nicht, um Cecilia Bartoli oder ihren Kollegen sein Missfallen zu bekunden, sondern um seinem Ärger bezüglich gewisser Personen im Publikum Luft zu machen. Bei der Premiere von Vincenzo Bellinis "Norma" war die Mischung aus exaltierter Husterei, herunterfallenden Handys, Programmheften und Handtaschen sowie hysterischem "Bravo"-Gekreisch nach besonders ergreifenden Stellen nahezu unerträglich. Außerdem ist das Getrampel und Gejohle bereits nach dem ersten Akt schlicht unangemessen. Denn Cecilia Bartoli braucht bei ihrem szenischen Norma-Debüt – sie hat die Partie erstmals 2010 in Dortmund konzertant interpretiert – eine ganze Weile, bis sie sich vokal warmgelaufen hat.

Vor allem die Paradearie "Casta Diva" enttäuscht und lässt ziemlich kalt. Mit manierierten Tremoli betet Bartoli die Mondgöttin an. War das nur Premierennervosität oder gar ein musikalisches Missverständnis? Bartolis kalte Künstlichkeit hält sich noch eine ganze Weile, das restliche Ensemble macht seine Sache dagegen von Anfang an vorzüglich. Wunderbar der leichte Sopran Rebeca Olveras (als Normas Widersacherin Adalgisa), John Osborn überzeugt als sehr präsenter Pollione, gut in Form auch Michele Pertusi (Oroveso), Reinaldo Macias (Flavio) und Liliana Nikiteanu, die Normas Vertraute Clotilde mit schönen vokalen Linien ausstattet.

Giovanni Antonini steht am Pult des Zürcher Originalklangorchesters La Scintilla und dirigiert eine neue, quellenkritische Notenausgabe. Man hört schnarrendes, ruppiges Blech, viel Kantiges und Eckiges, als Kontrast jedoch regelrecht arkadische Klanglandschaften, die die Sänger schön umschmeicheln. Aufgewertet werden die jetzt konsequenter durchgeformten Rezitative. Hervorragend der schweizerische Rundfunkchor aus Lugano, besonders das kriegslüsterne "Guerra, guerra!" des zweiten Akts ging unter die Haut – auch weil sich in dieser Fassung an die wuchtigen Bögen ein sanfter, hoffnungsvoller Friedensgesang anschließt.

Nach der Pause konnte endlich auch Cecilia Bartoli vollauf überzeugen. Irgendwie passte ihr Koloraturenfeuerwerk nun besser, mehr und mehr entstand eine überragende Rollenstudie, die tatsächlich etwas ganz Eigenes jenseits der Callas (und unzähliger Nachfolgerinnen) bietet: vergeistigter Belcanto mit unzähligen Schattierungen. In der zweiten Hälfte des Abends überzeugte auch die Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier. Sie verlegten das Geschehen um die zwischen Liebe, eifersüchtigem Hass und Verrat schwankende Priesterin von der Römerzeit in die Résistance. Ein etwas gammliges Schulgebäude ist der Spielort, am Ende lässt sich Norma (samt ihrem Geliebten Pollione) ebendort verbrennen. Die Personenführung ist anfangs zurückhaltend bis matt, später durchaus eindringlich. Aber, wie gesagt, Teile des Publikums scheinen sich für solche Unterschiede nicht zu interessieren.
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