Die politische Rezeption Wagners in der Geschichte

25.07.2011
In der großen weiten Welt der Wagner-Experten ist Udo Bermbach der Mann fürs Politische. Schon 2003 und 2005 hat er Studien zum politisch-ästhetischen Konzept im Ringen um das "Gesamtkunstwerk" vorgelegt. Jetzt folgt, als Abschluss einer Trilogie annonciert, ein umfangreicher Band mit Arbeiten zur politischen Wagner-Rezeption in Deutschland.
Es geht also um deutschen, germanischen, völkischen Wagner-Wahn – der allerdings bis ins ferne Paraguay reichen kann: Aufschlussreich Bermbachs Dokumentation des Projekts "Nueva Germania", eines missionarischen Siedlungsplans von Nietzsches Schwager Bernhard Förster, der fern der Heimat ein besseres, das hieß vor allem: von der angeblich verkommenen Moderne und dem jüdischen Einfluss unabhängiges Neu-Germanien gründen wollte. Die Sache ging von 1887 bis 1889, dann war die konkrete Utopie am Ende.

Braun ist der Einband des gewichtigen Buchs, und der Leser ahnt, was ihn erwartet: Ziemlich viel braune oder angebräunte Soße. Entsagungsvoll muss man Bermbachs Unterfangen nennen, sich durch 60 Jahrgänge jener "Bayreuther Blätter" zu arbeiten, die – unter der Schriftleitung Hans von Wolzogens und maßgeblichem Einfluss des Rasse-"Theoretikers" Houston Stewart Chamberlain – zwischen 1878 und 1938 zur Plattform und zum Sprachrohr des sogenannten "Bayreuther Gedankens" wurde.

Es waren aber eigentlich mehrere Gedanken: eine trübe Mischung aus Ästhetik und Antisemitismus, Weltveränderung und Politikverachtung und dem bizarren Versuch, aus Jesus einen Arier zu machen. Bermbach klärt auf, in über hundert Seiten über die "Blätter", dann über die Geschichte des "Regenerations"-Konzepts und die "Bayreuther Theologie". Das ist verdienstvoll, wenn auch nicht erquicklich zu lesen. Aber einer musste es wohl machen. Vielleicht hätte der Autor das Ganze etwas schlanker halten können und sich etwas weniger selbst zitieren; aber das sind Komfortüberlegungen eines ungeduldigen Lesers.

Namentlich Bermbachs genaue Bestimmung des Verhältnisses der Bayreuther Ideologie zum NS-Denken ist wichtig und nützlich, als Mittel gegen historische Kurzschlüsse wie den von "Wagners Hitler" (Joachim Köhler). Vielleicht schießt Bermbach allerdings ein wenig übers Ziel hinaus, wenn er den Revolutionär und Anarchisten Wagner immer neu von seinen braunen Apologeten und falschen Jüngern frei zu halten bestrebt ist. So fällt, nebenbei, noch eine Pointe ab, die natürlich eine aller Rezeptionsgeschichten ist: Jede Zeit knetet sich, was war, immer neu, auch diese: unseren Wagner eben. Spätere Bermbachs werden es weisen.

Besprochen von Holger Noltze

Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption - Verfälschungen
Verlag J.B. Metzler. Stuttgart 2011. 508 Seiten, 39,95.


Heute beginnen die Bayreuther Festspiele 2011. Zum 100. Jubiläum gab Festspielleiterin Katharina Wagner ein Interview im Deutschlandfunk. Der Hintergrund vom Deutschlandfunk zieht ein Resümee der Geschichte des Grünen Hügels.
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