Die politische Lage zu Weihnachten 1945

Von Winfried Sträter · 21.12.2005
Nach dem Zweiten Weltkrieg feiern die Deutschen 1945 Weihnachten wieder in Frieden. Doch Deutschland befindet sich in einer Übergangszeit - die Zukunft ist ungewiss. Regiert wird das Land von den vier Siegermächten. Doch allmählich beginnt sich das politische Leben der Deutschen neu zu beleben.
Ein alter Mann sitzt in seinem Haus und denkt nach. Er hat jetzt Zeit, weil er wieder einmal entlassen worden ist. 1933 hatten ihn die Nazis aus dem Amt gejagt und seine politische Karriere beendet. Damals hatte er die Zeit genutzt und sich ein Haus gebaut. Nun kann er von dort aus auf den Rhein schauen und Pläne schmieden. Nach Kriegsende war er wieder zum Stadtoberhaupt gemacht worden, aber die britische Besatzungsmacht hat ihn im Oktober 1945 entlassen, angeblich wegen Unfähigkeit. Im Rheinland haben sich sozial engagierte Konservative zur Christlich-Demokratischen Union zusammengeschlossen. Aber der 69 Jahre alte Konrad Adenauer ist nicht sicher, ob diese Vereinigung eine Zukunft hat, deshalb zögert er, der CDU beizutreten.

Deutschland in der Übergangszeit. Der Krieg ist zu Ende, die Folgen sind allgegenwärtig, die Zukunft ist ungewiss. Wird es je wieder einen souveränen deutschen Staat geben? Wird sich Deutschland nach dem Krieg und der Schande unvorstellbarer Verbrechen je wieder aufrichten können? Die vier Siegermächte regieren das Land, das im Osten stark geschrumpft ist. Aber auf der unteren, lokalen Ebene darf sich das politische Leben wieder entfalten: Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale, Kommunisten. In Hannover gibt es das Büro Schumacher: Der ehemalige Reichstagsabgeordnete und langjährige KZ-Häftling Kurt Schumacher entwickelt sich rasch zur Führungsfigur der Nachkriegs-SPD.

Schumacher: "Die schweren Industrien gehören in das Eigentum des Volkes!"

Bricht mit ihm ein sozialdemokratisches Zeitalter in Deutschland an?

Schumacher: "Das Schicksal der deutschen Demokratie ist an den Sozialismus gebunden."

In der sowjetisch besetzten Zone ist die Situation undurchsichtig. Kurz vor Weihnachten 1945 zwingt die Militärregierung die beiden CDU-Chefs Andreas Hermes und Walther Schreiber zum Rücktritt. Was führt die sowjetische Besatzungsmacht im Schilde? Einerseits soll alles demokratisch aussehen. Andererseits sitzen Walter Ulbrichts Kommunisten an den Schalthebeln der Macht. Was bahnt sich da an?

Weihnachten 1945. Der Kölner Kardinal Frings ist einer der populärsten Kirchenmänner. Ein politischer Kopf. Er hat die CDU mitgegründet und mischt sich auch in seinen Predigten in die Politik ein. In seiner Weihnachtspredigt 1945 redet er vor allem den Geschäftemachern, den Schwarzmarkthändlern und Schiebern, ins Gewissen:

Frings: "Solche verstoßen gegen die Gerechtigkeit und gegen die Liebe. Das herrlichste Vorbild sozialer Gesinnung gab uns der Heiland, der vom Himmel kam, um unser Bruder zu werden."

Weihnachten 1945 im besetzten Deutschland. Überlebenskampf in Trümmerwüsten. In Nürnberg läuft das Verfahren gegen Kriegsverbrecher. Im neu errichteten Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen treffen täglich tausende Flüchtlinge aus den Ostgebieten ein. Es sind die Folgen des nationalistischen Fiebers, das die Deutschen 1933 gepackt hatte. Peter von Zahn fordert in einem Kommentar die Deutschen zur Nachdenklichkeit auf:

Zahn: "Das deutsche Volk muss diese erste Weihnacht des Friedens sehr einsam begehen. Einsam und im Armenhaus der Welt. Das ist nach all dem Geschehenen nicht verwunderlich. Es kann sogar gut sein. Wir werden Zeit haben, uns nachdenklich zu betrachten, und wir werden dann vielleicht zu unserem Erstaunen feststellen, dass wir nicht am Ende unserer Möglichkeiten sind."