Die Poesie des Manfred Winkler

"Das Zweigesagte sage nicht"

1959 erhält Manfred Winkler die ersehnte Ausreise-Erlaubnis nach Israel: Dort entstehen viele seiner Gedichte.
1959 erhält Manfred Winkler die ersehnte Ausreise-Erlaubnis nach Israel: Dort entstehen viele seiner Gedichte. © Rob Bye / Unsplash; Arco Verlag
Von Marko Martin · 14.05.2018
Manfred Winkler war ein jüdischer Dichter und Lager-Überlebender aus der Bukowina. Später schrieb er in Jerusalem auf Deutsch Verse voll strenger Schönheit. Diese sind nun unter dem Titel "Haschen nach Wind" in einem sorgsam gestalteten Sammelband neu zu entdecken.
"Sage das Unsagbare
das Ungesagte sage es auch
doch das Zweigesagte sage nicht."
Eine Aufforderung in eigener Sache, die der Lyriker Manfred Winkler (1922 - 2014) auf skrupulöse Weise beherzigt hat. Aufgewachsen in einer jüdisch-bürgerlichen Familie in Czernowitz – Geburtsstadt von Paul Celan und Rose Ausländer – hatte Winkler die Schrecken des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib erlebt. Während der sowjetischen Besatzung der Bukowina 1940/41 waren Winklers Eltern und sein Bruder nach Sibirien verschleppt worden, er selbst wurde unter dem faschistischen Antonescu-Regime in ein transnistrisches Arbeitslager deportiert. Nach bleiernen Nachkriegsjahren unter dem stalinistischen Regime in Rumänien gelang es ihm erst 1959, zusammen mit seiner Frau nach Israel auszureisen.

Er übersetzte Paul Celan ins Hebräische

In Jerusalem arbeitete Manfred Winkler im Theodor-Herzl-Archiv, wurde zum wichtigsten Übersetzer von Paul Celan ins Hebräische und erneuerte auch sein eigenes Schreiben: Von der gereimten zur reimlosen Dichtung, jedoch weiterhin in seiner geliebten deutschen Sprache, voller Melancholie, die indessen nie süßlich wird.
"Jemand döst vor sich hin
in den kaltgewordenen Tee
im Café Rowal im Zentrum Tel Avivs
Jemand hört der heimkehrenden Herden
karpatisches Glockenspiel."

Auch in Jerusalem dichtete er auf Deutsch

Im Vergleich mit Paul Celan ist Winklers Lyrik weniger hermetisch und verrätselt, obwohl auch sie immer wieder die letztliche Unmöglichkeit der Erfahrungs-Vermittlung thematisiert. "Ich ging über den Herbst der Dinge", heißt es in einem der Gedichte, abstrakt und sinnlich zugleich – ähnlich den Skulpturen, die der auch als Bildhauer tätige Dichter in seinem kleinen Häuschen nahe der Jerusalemer Ben-Yehuda-Straße formte, das er mit ironisch-ländlicher Robustheit "meine Bude" nannte. Obwohl 1999 in Israel mit einem literarischen Staatspreis geehrt, blieb er im dortigen Literaturbetrieb lebenslang eher ein Geheimtipp, erschienen seine weiterhin in der Herkunftssprache geschriebenen Gedichtbände in Deutschland.
Wer noch das Glück hatte, Manfred Winkler in seinen letzten Jahren kennenzulernen, traf freilich keinen mürrisch Verbitterten, sondern einen weisen alten Mann, der – anstatt gegen die Welt zu moralisieren – die eigene Endlichkeit in wundersam unprätentiöse, suggestive Zeilen fasste.

Knapp 900 Seiten suggestive Dichtkunst

Nun hat – pünktlich zum 70. Jahrestag von Israels Staatsgründung im Mai 1948 - der Wiener Arco-Verlag Winklers gesammelte Lyrik in einem voluminösen Band herausgegeben, dem trotz seiner knapp neunhundert Seiten überhaupt nichts Einschüchterndes anhaftet. Liegt es am leserfreundlichen Druckbild und an den Gedicht-Kommentaren, die nicht germanistisch prunken, sondern den mit Manfred Winklers Tod zu Ende gegangenen deutschsprachigen Jerusalemer Dichter-Kosmos noch einmal auferstehen lassen? Vor allem sind es die Gedichte selbst, ihre strenge Schönheit, die sich tatsächlich dem dahingeplapperten "Zweigesagten" immer wieder aufs Neue verweigert.
"Orientalisches Gedankenbild.
Ein zerzauster Wind
und eine halboffen-braune Tür,
die einen von vier Wänden
umgebenen Innenhof enthüllt
mit einem jungen Baum in der Mitte
und drei Stauden von wilden Rosen um ihn
jahreweit entfernt-
ein Baum mit legendenaltem roten Stamm".

Manfred Winkler: Haschen nach Wind. Die Gedichte.
Herausgegeben von Monica Temian und Hans-Jürgen Schrader
Arco Verlag, Wien 2018
878 Seiten, gebunden, 39 Euro

Mehr zum Thema