"Die offene Gesellschaft und ihre Freunde"

Welches Land wollen wir sein?

Zwei Hellrote Aras (lat. Ara macao) - auch Arakanga genannt. Eine Papageienart aus der Gattung der Eigentlichen Aras. Aufgenommen am 03.09.2011 in Rüdersdorf (Brandenburg).
Zwei Hellrote Aras auch Arakanga genannt. Eine Papageienart aus der Gattung der Eigentlichen Aras. © picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Nana Brink im Gespräch mit Florian Felix Weyh · 26.11.2016
Eine Kampfansage an die Feinde der offenen Gesellschaft - das ist die unter anderem von Harald Welzer herausgegebene Aufsatzsammlung. Allerdings bleibt das Buch die Antwort schuldig, was die offene Gesellschaft eigentlich ausmacht, kritisiert Nana Brink.
Florian Felix Weyh: Deutschlandradio Kultur, Sie hören die "Lesart" am Samstag mit politischen Büchern. Und wenn Sie einen Buchtitel vernehmen, "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", dann denken Sie an Deutschlandradio Kultur, Sie hören die "Lesart" am Samstag mit politischen Büchern.
Und wenn Sie einen Buchtitel vernehmen, "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", dann denken Sie an Karl Popper. Heißt jetzt aber gar nicht mehr so, sondern "Die offene Gesellschaft und ihre Freunde".
Wer vergeht sich da am politischen Klassiker, indem er den Titel klaut und variiert, und warum macht er das? Nana Brink wird uns das jetzt erzählen. Sie ist ins Studio gekommen und hat das Buch gelesen. Also, Nana Brink, wer steckt dahinter?
Nana Brink: Es stecken zwei Herausgeber dahinter, eigentlich drei. Das ist einmal Alexander Carius, er ist Politikwissenschaftler und Gründer der Berliner Denkfabrik adelphi, und Harald Welzer, Sozialpsychologe, Direktor der Stiftung Futurzwei, vielleicht einigen bekannt – er hat kürzlich erst ein Buch rausgebracht, "Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit", das beschäftigt sich mit dem Internet.
Und die beiden hatten – Sie haben es ja schon zitiert – sich eigentlich das Buch von Karl Popper genommen, "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", haben das umgemünzt und haben gesagt, wir müssen eigentlich darüber diskutieren, was mit unserer Gesellschaft, die eine offene Gesellschaft ist, eigentlich gerade passiert in diesen Zeiten. Und sie haben diese Vortragsreihe genannt "Die offene Gesellschaft und ihre Freunde" und sind von Ort zu Ort gezogen und haben Menschen versammelt, und dieses Buch sozusagen trägt die wichtigsten Beiträge aus diesen Veranstaltungen zusammen.

Verschriftlichung einer Veranstaltungsreihe

Weyh: Ich denke da sofort an die Freunde der italienischen Oper und die Mafia. Gut, mit Titeln ist es immer so eine Sache, aber was ist denn substanziell in diesen Veranstaltungen passiert und was ist substanziell in diesem Buch enthalten?
Brink: Also was in den Veranstaltungen passiert, das kann man auf der Website, die die da herausgebracht haben, www.die-offene-gesellschaft.de, auch irgendwie nachvollziehen. Und wie immer, das Problem ist ja bei der Verschriftlichung von solchen Veranstaltungsreihen, dass es natürlich nicht das abbildet, was da eigentlich passiert ist. Man ist eigentlich, wenn ich jetzt ganz ehrlich bin, besser bedient, wenn man auf die Website geht. Das Buch versucht, eigentlich die wichtigsten Beiträge zusammenzufassen.
Es gab immer, wie das so üblich ist, ein Impulsreferat, und dann hat man berühmte Menschen eingeladen, etwas dazu zu sagen, zu dieser offenen Gesellschaft, zum Beispiel den Philosophen Richard David Precht oder Ilija Trojanow, den Schriftsteller, oder Tanja Dückers. Und die haben dann sozusagen einen Impuls gehalten, und das ist in diesem Buch versammelt – mehr oder weniger, muss man eigentlich sagen, kommentarlos. Das heißt, wir finden diese Beiträge wieder und können uns dann unseren eigenen Reim drauf machen.

D-Mark-Nationalismus, europäische Identität, Verfassungspatriotismus

Weyh: "Den Feinden der offenen Gesellschaft sei hiermit offiziell mitgeteilt: Wir werden sie bekämpfen", so fängt das an.
Brink: So fängt das an. Das ist in der Einleitung, in der Tat, auch einiges Stirnrunzeln hat das bei mir bewirkt, denn es ist ja eigentlich eine Kampfansage, und eigentlich ist es ja nicht das, was die Autoren eigentlich oder die Herausgeber ja eigentlich wollten, nämlich zu diskutieren, sondern es ist, man muss es ganz ehrlich sagen, natürlich eine Versammlung von Beiträgen von Freunden der offenen Gesellschaft.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Cover Harald Welzer et al. (Hg): "Die offene Gesellschaft und ihre Freunde"© Verlag S.Fischer
Weyh: Dann sagen Sie mal ganz kurz, was ist denn die offene Gesellschaft? Wir leben da so fröhlich drin – sind wir noch eine offene Gesellschaft?
Brink: Das ist eine gute Frage, die eigentlich letztendlich nicht beantwortet wird. Zum Beispiel Tanja Dückers, die Schriftstellerin, die beklagt, dass die europäische Identität ja nie wirklich da war bei den meisten Menschen. Das ist eine Diagnose, na ja, gut, das wussten wir eigentlich alles irgendwie schon lange.
Der Soziologe Hans-Georg Soeffner, der beklagt irgendwie, dass wir immer noch diesen alten Begriff haben, den wir in der Bundesrepublik auch schon gehabt haben, den Gründungsmythos sozusagen, dass wir eine Gesellschaft sind, ein D-Mark-Nationalismus – das war ja das, was wir irgendwie diskutiert haben. Das diagnostiziert er, aber er geht eigentlich nicht weiter. Er sagt, brauchen wir nicht mehr, um eigentlich einen Kitt herzustellen in dieser Gesellschaft.
Weyh: Und dann bestimmt irgendwo Habermas mit dem Verfassungspatriotismus.
Brink: Woher wussten Sie das? Genau, der kommt natürlich auch, und da ist ein Beitrag, den ich wirklich ein bisschen spannend auch fand, neben noch einem anderen, das ist nämlich die Schweizer Philosophin Barbara Bleisch und Jean-Daniel Strub, er ist Berater. Die sehen das von der Schweiz aus und geben uns ein bisschen so einen Hinweis mit, ja, dieses Narrativ, Sie haben es genannt, Jürgen Habermas und der Verfassungspatriotismus, der ist ja in der Schweiz auch vorhanden, nämlich als Willensnation. Wir sind eine Willensnation, und das wäre ein neues politisches Narrativ, worüber man mal nachdenken könnte.

Halten Champions League und Easy Jet Europa zusammen?

Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, was ist denn die grenzenlose Gesellschaft, das wird natürlich dann immer gerne auch in einen europäischen Zusammenhang gestellt. Und dann will ich noch mal jemanden zitieren, das ist André Wilkens, auch ein Autor, auch Mitherausgeber dieses Buches, der sich natürlich dann auf Europa bezieht und sagt: Europa ist zusammengeflochten durch Institutionen, Autobahnen, Easy Jet, Hantelbanktransfers, Champions League und Eurovision, und das hält eine Weile auch bei schlechtem Wetter.
Weyh: Haha.
Brink: Naiv, wer so denkt.
Weyh: Das ist deutlich vor Donald Trump formuliert worden …
Brink: Das ist vor Donald Trump formuliert worden, und es gibt dann aber keine Antwort da drauf, und das ist das, was ich wirklich in diesem Buch vermisse.

Es fehlt am Weiterdenken

Weyh: Die Feinde, wer sind denn die Feinde in diesem Konstrukt?
Brink: Die Feinde werden ganz klar irgendwie ausgemacht, und sie werden auch irgendwie benannt. Das kann man zum Beispiel sehen in einem Beitrag von Leila El-Amaire, das ist eine Slam-Poetin, eine Aktivistin, und die macht genau das, was in der Einleitung eben auch kommt: Sie benennt die Feinde, stellt sie an die Wand, sagt zum Beispiel: "Der Grund, warum die AfD keinen Hehl mehr aus ihren rassistischen Positionen macht, ist, weil wir sie salonfähig gemacht haben." Wir können es eigentlich mal zusammenfassen in dem Beitrag, den ich auch noch irgendwie sehr interessant fand, von Rainer Hank, er hat gesagt: "Eine offene Gesellschaft heißt nicht eine grenzenlose Gesellschaft, wir können nicht alle Menschen lieben" – auch wieder ein Zitat von Augustus, dem Kirchenvater. Und da hätte ich mir eigentlich gewünscht, da lohnt es sich eigentlich weiterzudenken, und das genau passiert in diesem Buch nicht.
Weyh: Vielen Dank, Nana Brink! Wir sprachen über "Die offene Gesellschaft und ihre Freunde", herausgegeben von Alexander Carius, Harald Welzer und André Wilkens, ein Fischer-Taschenbuch für 9,99 Euro, es hat 238 Seiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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