"Die Ökonomie der Liebe" von J. Lafosse

"Liebe fängt an, wo Leidenschaft aufhört"

Der belgische Regisseur Joachim Lafosse.
Der belgische Regisseur Joachim Lafosse. © picture alliance/ dpa
Joachim Lafosse im Gespräch mit Susanne Burg · 05.11.2016
Im letzten Jahr wurden allein in Deutschland mehr als 154.000 Ehen geschieden. Der Film "Die Ökonomie der Liebe" erzählt eine solche Trennungsgeschichte sehr detailliert. Ein Gespräch mit dem belgischen Regisseur Joachim Lafosse über Liebe, Geld und Schmerzen.
Susanne Burg: Bis dass der Tod euch scheidet … Schön wär’s. Die Realität sieht anders aus: Im letzten Jahr wurden allein in Deutschland über 154.000 Ehen geschieden, und nicht immer geht die Trennung friedlich vonstatten, erst recht nicht, wenn Kinder mit im Spiel sind. Eine solche Geschichte erzählt der Film "Die Ökonomie der Liebe". Marie und Boris, gespielt von Bérénice Béjo und Cédric Kahn, besitzen ein gemeinsames Haus, bezahlt von ihr, renoviert von ihm, und sie haben zwei Töchter. Weil das Einkommen von Boris nicht für eine eigene Wohnung reicht, zieht er auf die Couch.
Ausschnitt aus dem Film "Die Ökonomie der Liebe", der jetzt bei uns in den Kinos läuft. Es ist ein Kammerspiel, das ganz nahe dran ist an dem Paar. Wir wohnen ihm bei, wie es sich trennt. Die beiden streiten sich, sie zerfleischen sich mit Worten, sie versuchen, Arrangements zu finden – es sind die Szenen einer Ehe aus dem 21. Jahrhundert. Ich habe den belgischen Regisseur Joachim Lafosse zum Interview getroffen und ihn erst mal zu dieser ganz detaillierten psychologischen Beobachtung befragt. Wie er diese Genauigkeit erarbeitet hat, wollte ich wissen.
Joachim Lafosse: Nun, ganz einfach aus dem Leben. Meine Eltern haben sich getrennt und haben sich sehr gestritten, als es um Geldangelegenheiten ging, und dabei war das nicht unbedingt der Grund für ihre Trennung. Als ich mit Drehbuchautoren an dieser Geschichte gearbeitet habe, waren uns zwei Dinge wichtig: Es ging uns darum, dass sich ein Paar nicht trennen kann, weil er nicht die Möglichkeiten dafür hat, weil er einfach nicht genug dafür hat, und wir wollten, dass sie wohlhabender ist als er, was auch wirklich sehr modern ist. Die Emanzipation hat glücklicherweise auch das hervorgebracht, dass das heute eine Realität geworden ist, dass Frauen mehr verdienen können als Männer. Natürlich wollten wir uns auch die Frage stellen anhand dieses Paares, was ist Männlichkeit, und kann man auch in so einer verfahrenen Situation noch Lust empfinden, und die Geldprobleme sind natürlich das Symptom, sie sind aber nicht der Grund für das Scheitern dieser Beziehung.

Es scheitert an den kleinen Dingen

Burg: Also es geht sehr viel ums Geld, sie rechnen auf, aber darunter, hat man immer das Gefühl, liegen ganz andere Schwierigkeiten, die jahrelang gewachsen sind.
Lafosse: Ja, genau, das ist das Problem. Sie können nicht über all die anderen Dinge reden, über die sie längst hätten reden müssen, also reden sie über Geld. Im Französischen gibt es dieses Sprichwort, gut geführte Konten erhalten die Freundschaft, und ich würde sagen, die würden auch die Liebe erhalten, aber wir wollen ja nicht nur über Geld reden, sondern es geht ja darum auch, was habe ich an Gefühlen in eine Beziehung investiert oder eingebracht, was sind die psychischen Dinge, die man mit einbringt, und das lässt sich nicht aufrechnen. Man kann Gefühle nicht aufrechnen, und weil man das nicht kann, fängt man dann an, das aufzurechnen, was zählbar ist, und das ist das Geld, und das ist etwas, was ich gelernt habe, als ich diesen Film gemacht habe, weil ich finde, Filme sollen einen ja auch immer weiterbringen, und das ist mir plötzlich klar geworden: Was sich nicht aufrechnen lässt, sind Gefühle, und Geld, damit rechnet dann auch miteinander ab.
Burg: Ich finde auch, Sie haben eine sehr, sehr interessante Dramaturgie in dem Film, weil eigentlich werden im Film Beziehungen immer schlimmer, im Laufe des Films, aber Sie beginnen quasi schlimm. Die zerfleischen sich am Anfang, und mein Eindruck war, dass im Verlauf der Trennung, wenn man gemerkt hat, wir kommen echt nicht weiter, die Gefühle, also dass sich das dann eher sortiert und dass es eher besser wird. Welche Herausforderung bedeutete das aber wiederum für die Dramaturgie des Films, also für die Erzählung?
Lafosse: Das ist ja das Erstaunliche bei diesem Paar, dass es wirklich an sehr kleinen Dingen letzten Endes auch scheitert. Also ich bin ja gar nicht so weit davon, zu glauben, dass sie eigentlich auch fast hätten noch einmal neu anfangen können. Also Neuanfang oder komplettes Scheitern liegen hier bei diesem Paar sehr dicht beieinander. Der internationale englische Titel meines Films heißt "After Love", also nach der Liebe, und den Titel hasse ich eigentlich, weil darum geht es nicht. Es geht darum, dass sich Liebe verändert. Liebe hört ja nicht plötzlich auf, und wenn man mal zusammen war, wenn man gemeinsame Kinder hat, dann muss man irgendwann auch wieder Frieden machen, weil man sich ja auch irgendwann einmal geliebt hat. Ansonsten könnte man das ja gar nicht ertragen, es wäre unerträglich. Deswegen geht es hier nicht um nach der Liebe, das ist einfach ein falscher Terminus.
Ich bin gerade dabei, ein Drehbuch zu einem neuen Film zu schreiben, und auch da stelle ich mir die Fragen nach der Liebe, weil ich glaube, Liebe fängt an dem Punkt an, wo die Leidenschaft aufhört, wo dieses Stadium aufhört, dass man meint, man könne miteinander verschmelzen. Also ich selbst bin Zwilling, mein Vater selber ist auch Zwilling, hat eine Frau geheiratet, die auch Zwilling war. Also ich kenne mich aus mit Zwillingen, ich weiß, was man da sucht. Man sucht diesen Punkt, eben mit dem anderen zu verschmelzen, und wer wünscht sich nicht, einen Partner zu haben, der eigentlich sein Zwilling sein könnte, aber das ist natürlich eine Fantasie, die existiert nicht. Deswegen muss man lernen, damit umzugehen, was passiert, wenn diese Verschmelzung irgendwann nicht mehr da ist, und dann fängt für mich die Liebe an, dann hört der Narzissmus auf, und dann sieht man plötzlich den anderen, dann sieht man plötzlich den Partner.

"Worte sind unglaublich mächtig"

Burg: Am Anfang besonders hat man das Gefühl, da herrscht Krieg. Also das Interessante ist aber auch, dass Marie und Boris sich nicht anschreien, fast nicht. Sie beherrschen nur sehr die Gewalt der Worte. Wie mächtig und brutal ist Ihrer Meinung nach diese Kraft der Worte?
Lafosse: Das ist die entscheidende Frage: Worte sind unglaublich mächtig, und man schlägt eigentlich nur in dem Moment zu, wenn man sprachlos ist, wenn man keine Worte findet oder wenn die Worte, die einem an den Kopf geschleudert worden sind, einfach zu hart, zu stark waren. Das ist eben immer die Frage, wie man in einem Streit miteinander umgeht. Wenn man beleidigende Worte gefunden hat, man muss irgendwann aus diesem Streit wieder aussteigen, indem man nicht versucht, immer wieder nur zurückzuschlagen.
Burg: Sie haben ja auch interessanterweise einen Film gemacht, der heißt "Avant les mots", also das, was vor den Worten kommt, über Kinder, die in einer Krippe sind, die Sie nur beobachten in Ihrem Dokumentarfilm von 2010, die quasi dieser Situation auch ausgeliefert sind. Ich musste daran denken, weil ja auch im jetzigen Film ja auch die Kinder da sind, die Zwillinge, die auch dem ausgeliefert sind. Was ist das für eine Macht, die in Worten oder Beziehungen, was stellt das mit den Kindern an?
Lafosse: Es gibt eine interessante Parallele zwischen diesen beiden Filmen, "Die Ökonomie der Liebe" und "Avant le mots", vor den Worten, und ich habe immer in dieser Krippe beobachtet, dass alle Paarkonflikte eigentlich schon da sind. Warum sind einige Kinder aggressiver als andere, fangen an, andere Kinder zu beißen, also die ganzen Konflikte, die kann man schon beobachten, wenn Kinder noch in der Krippe sind und gar nicht sprechen können, dass sich ein Kind betrogen fühlt, all diese Konflikte, die man dann später auch hat, wenn man erwachsen ist. Ich glaube also auch nicht, dass Gewalt nur durch Worte erzeugt wird, die ist sowieso in uns da, das ist so eine primäre Urgewalt, die uns schlummert, und wenn sich ein Paar streitet, dann sind ja die Worte, die dabei fallen, meistens haben sie ihren Ursprung in Dingen, die weit zurückliegen, manchmal 20 Jahre zurückliegen und einen ganz anderen Ursprung letztendlich haben als das, was man da wirklich sagt. Was Ihre Frage betrifft, was das mit Kindern macht, wenn man sich Worte an den Kopf schmeißt, dann denke ich, natürlich kann man Kindern noch nicht alles sagen, aber Kinder kriegen sehr viel mit. Man muss ihnen schon auch die Wahrheit sagen, wenn es in einer Paarbeziehung nicht mehr funktioniert, und da das richtige Gleichgewicht zu finden, das ist das Schwierige.
Burg: Sie verlassen ja bis fast zum Ende nicht das Haus. Wie wichtig ist es, dass dieses Gefangensein des Paares oder eigentlich der ganzen Familie in der Situation, sich auch in dieser geografischen Klaustrophobie niederschlägt?
Lafosse: Es war einmal so ein bisschen mein Traum, so ein bisschen auch Virginia Woolf zu machen, diesen Film mit Elizabeth Taylor. Ich denke, es geht letztendlich nicht darum, was das Dekor mit dem Zuschauer macht, sondern der Blick, den man dadurch gewinnt, und an so einem Ort passiert ja letztendlich nicht sehr viel, es gibt gar nicht so viel zu sehen, und dadurch wird dann dieser Ort, an dem das alles spielt, dieses Dekor, das wird wie zu einem Darsteller. Das ist so das Ding, was mich besonders reizt.

Keine Rückblenden

Burg: Und was hat das für das Drehen bedeutet, um trotzdem auch Bewegung in den Film reinzubekommen, in einem kleinen Ort?
Lafosse: Darin liegt die ganze Schwierigkeit, es darf ja keine Langeweile beim Zuschauer aufkommen, und ich möchte auch unterhalten, und man muss eben auch eine Form und eine adäquate Form finden, um das zu drehen. Deswegen waren uns Plansequenzen hier sehr wichtig. Wir wollten, dass das elegant aussieht, dass das locker wirkt. Ich finde, ein guter Film, den macht nicht das aus, dass man aus dem Film rausgeht und sagt, Mann, war das ein toller Drehort oder war das Dekor super, dann hat man irgendwas falsch gemacht. Das Schwierige in dem Fall hier war wirklich das Regieführen, auch wenn man das dem Film gar nicht ansieht.
Burg: Es sind ja überhaupt sehr viel die Beziehungen, die Sie interessieren in Ihren Filmen. Natürlich ist es das auch, was uns zu Menschen macht, aber wie würden Sie Ihr Interesse an dem Thema beschreiben?
Lafosse: Ich glaube, was mich zunehmend interessiert, das ist das Unterbewusstsein. Das ist das, was man nicht genau weiß, das, was in uns vergraben liegt, was hinter den Symptomen liegt, was dahinterliegt, wenn man sich anschreit, weil man Geldprobleme hat. Das interessiert mich, das ist dann wie so ein Knäuel, was ich wieder lösen möchte. Ich glaube, das interessiert mich zunehmend.
Burg: Würden Sie deswegen auch nicht zum Hilfsmittel der Rückblende greifen, weil das dieses Unterbewusste eigentlich gar nicht erklären kann?
Lafosse: Ich glaube, was man dringend aus dem Kino verbannen muss, das ist diese Flut an Informationen. Deswegen benutze ich eben keine Rückblenden, deswegen sage ich jetzt auch nicht, was meine Protagonisten beruflich machen, wo sie herkommen und so weiter.
Burg: Auf jeden Fall kann man jetzt das neue Werk von Joachim Lafosse im Kino sehen, "Die Ökonomie der Liebe". Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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