Die nicht geschehene Geschichte
Nach dem 13. August 1961 waren Lebensentwürfe außer Kraft gesetzt, Identitäten in Frage gestellt, Beziehungen war die Basis entzogen, man hatte sich auch beruflich neu zu definieren. Und zwar so kollektiv und so allmählich wie die Gewissheit von der unabsehbaren Dauer dieses Bauwerkes sich auf die Gemüter legte. Über Jahre, Jahrzehnte hin fand eine Wandlung statt, von der die Verwandelten kaum etwas bemerkten. Das ist allerdings ein großer literarischer Stoff, doch wie und von wo aus bekommt man ihn zu fassen?
Über die deutsche Teilung und ihre Folgen haben vor allem ostdeutsche Autoren bereits seit den 50er-Jahren immer wieder geschrieben oder zu schreiben versucht. Das Thema war hochbrisant im Land hinter der Mauer, wer es aufgriff konnte mit höchstem Interesse des Publikums und der Zensurbehörde rechnen, die literarische Bearbeitung glich einem Seiltanz, was der Literatur insgesamt nicht gut getan hat.
Das Wort "Mauer" war ein großes Tabu. Nur in Anspielungen, Andeutungen, in mythischer oder märchenhafter Verkleidung ließ sich davon erzählen, wie die Mauer unser Leben veränderte. Viele Autoren sind auch wegen dieses Tabus außer Landes gegangen. Dennoch gelang es ihnen nur ausnahmsweise, das Phänomen differenziert und genau in den Blick zu bekommen. Während des Kalten Krieges war das Bauwerk ein Politikum. Davon hätte man absehen müssen, um ihm literarisch gerecht zu werden.
Je mehr man sich darauf versteifte, das Tabu zu brechen, das im Westen gar keines war, desto weniger gelang es, von einem Phänomen zu erzählen, das mit seinen scharfzackigen Rändern noch lang nicht beschrieben ist. Überdauert haben nur selten die Trennungs- und Fluchtgeschichten, wenn sie nicht mehr waren als dies.
Uwe Johnson, Erich Loest, Hans Noll, Walter Kempowski, Hans Joachim Schädlich, Uwe Kolbe, Günter Kunert, Wolfgang Hilbig, Thomas Brasch – das sind nur einige Namen jener Autoren, die nach ihrer Ausreise in den Westen wichtige literarische Texte zum Thema schrieben. West-Autoren hatten kaum Interesse an dem Stoff; mit wenigen Ausnahmen: Martin Walser war so eine Ausnahme, ihn schmerzte die Wunde der deutschen Spaltung, mit seiner Novelle "Dorle und Wolf" von 1987 und in verschiedenen Essays bekannte er sich zur Option der Wiedervereinigung, als das in den deutschen Feuilletons antiquiert bis deutschtümelnd wirkte und entsprechend quittiert wurde. Berühmt wurde auch der Roman "Der Mauerspringer" des damaligen Westberliner Autors Peter Schneider, darin schrieb er 1982 den heute prophetisch wirkenden Satz: "Die Mauer im Kopf einzureißen wird länger dauern, als irgendein Abrissunternehmen für die sichtbare Mauer braucht".
Mauern im Kopf einzureißen – das war schon immer ein Privileg der Literatur. In den literarischen Texten, die vor und nach der Wende die deutsche Teilung in den Blick nehmen, ist oft von Taten und Untaten die Rede, von Trennung und dem Versuch, sie zu überwinden, von gescheitertem Widerstand, von der Repression der Staatsorgane. Selten nur von der allgemeinen Lähmung, die sich von der Mauer her über das Land legte, das sie einschloss. Denn wie ließe sich von dem erzählen, was nicht geschah
Die Mauer-Folklore des Kalten Krieges ist inzwischen verblasst; es wäre an der Zeit, den Blick zu erweitern auf das Nichtgeschehen hin, das die Mauer verursacht hat, das Schwierigste an diesem Stoff, wie Vaclav Havel einmal schrieb. Als einen großen Stoff für die Literatur des Ostblocks beschrieb er dies Nicht-Geschehen von Geschichte, die große Stilllegung, die Verhinderung all dessen, was nicht im Plan der Staatsparteien lag.
Die Mauer schweigt. Ihr Schweigen brechen kann nur, wer die zum Reden bringt, die hinter ihr verstummt sind. Ein großer literarischer Stoff, doch wie und von wo aus bekommt man ihn zu fassen?
Das Wort "Mauer" war ein großes Tabu. Nur in Anspielungen, Andeutungen, in mythischer oder märchenhafter Verkleidung ließ sich davon erzählen, wie die Mauer unser Leben veränderte. Viele Autoren sind auch wegen dieses Tabus außer Landes gegangen. Dennoch gelang es ihnen nur ausnahmsweise, das Phänomen differenziert und genau in den Blick zu bekommen. Während des Kalten Krieges war das Bauwerk ein Politikum. Davon hätte man absehen müssen, um ihm literarisch gerecht zu werden.
Je mehr man sich darauf versteifte, das Tabu zu brechen, das im Westen gar keines war, desto weniger gelang es, von einem Phänomen zu erzählen, das mit seinen scharfzackigen Rändern noch lang nicht beschrieben ist. Überdauert haben nur selten die Trennungs- und Fluchtgeschichten, wenn sie nicht mehr waren als dies.
Uwe Johnson, Erich Loest, Hans Noll, Walter Kempowski, Hans Joachim Schädlich, Uwe Kolbe, Günter Kunert, Wolfgang Hilbig, Thomas Brasch – das sind nur einige Namen jener Autoren, die nach ihrer Ausreise in den Westen wichtige literarische Texte zum Thema schrieben. West-Autoren hatten kaum Interesse an dem Stoff; mit wenigen Ausnahmen: Martin Walser war so eine Ausnahme, ihn schmerzte die Wunde der deutschen Spaltung, mit seiner Novelle "Dorle und Wolf" von 1987 und in verschiedenen Essays bekannte er sich zur Option der Wiedervereinigung, als das in den deutschen Feuilletons antiquiert bis deutschtümelnd wirkte und entsprechend quittiert wurde. Berühmt wurde auch der Roman "Der Mauerspringer" des damaligen Westberliner Autors Peter Schneider, darin schrieb er 1982 den heute prophetisch wirkenden Satz: "Die Mauer im Kopf einzureißen wird länger dauern, als irgendein Abrissunternehmen für die sichtbare Mauer braucht".
Mauern im Kopf einzureißen – das war schon immer ein Privileg der Literatur. In den literarischen Texten, die vor und nach der Wende die deutsche Teilung in den Blick nehmen, ist oft von Taten und Untaten die Rede, von Trennung und dem Versuch, sie zu überwinden, von gescheitertem Widerstand, von der Repression der Staatsorgane. Selten nur von der allgemeinen Lähmung, die sich von der Mauer her über das Land legte, das sie einschloss. Denn wie ließe sich von dem erzählen, was nicht geschah
Die Mauer-Folklore des Kalten Krieges ist inzwischen verblasst; es wäre an der Zeit, den Blick zu erweitern auf das Nichtgeschehen hin, das die Mauer verursacht hat, das Schwierigste an diesem Stoff, wie Vaclav Havel einmal schrieb. Als einen großen Stoff für die Literatur des Ostblocks beschrieb er dies Nicht-Geschehen von Geschichte, die große Stilllegung, die Verhinderung all dessen, was nicht im Plan der Staatsparteien lag.
Die Mauer schweigt. Ihr Schweigen brechen kann nur, wer die zum Reden bringt, die hinter ihr verstummt sind. Ein großer literarischer Stoff, doch wie und von wo aus bekommt man ihn zu fassen?