"Die Natur kann Vorbild sein für technische Produkte"

Wolfgang Heckl im Gespräch mit Britta Bürger · 19.11.2009
Das Deutsche Museum in München eröffnet das Zentrum Neue Technologien, um Besuchern - mit Nano- und Biotechnologie - einen Blick auf die Wissenschaft der Zukunft zu zeigen. Zu sehen ist unter anderem ein "gläsernes Forscherlabor", wie Generaldirektor Wolfgang Heckl erklärte.
Britta Bürger: Hier dreht sich alles um einen Zwerg, denn auf ihn, den altgriechischen nános, geht sie zurück, die berühmt-berüchtigte Nanotechnologie, einer der wichtigsten Forschungsbereiche der Gegenwart und Zukunft. Nach jahrelanger Vorarbeit wird heute im Deutschen Museum in München das ZNT eröffnet, das Zentrum Neue Technologien.

Hier kommt Nano also ganz groß raus im Zentrum Neue Technologien, das heute in München eröffnet wird, und dort begrüße ich jetzt Wolfgang Heckl, den Generaldirektor des Deutschen Museums. Schönen guten Morgen, Herr Heckl!

Wolfgang Heckl: Guten Morgen nach Berlin!

Bürger: Herr Heckl - machen Sie uns das plastisch, warum sich ein Gecko mit dem Pfötchen oben an der Decke halten kann, ohne herunterzufallen.

Heckl: Das ist ja zunächst einmal – das ist ein Ausstellungsobjekt auch –, das ist ja zunächst einmal eine erstaunliche Tatsache, dass ein Gecko dort oben hängen bleiben kann. Aber wir erklären das eben dadurch, dass die Nanotechnologie - das ist nämlich ein Effekt der Nanotechnologie – in der Natur vielfach vorkommt, die Natur unser Vorbild sein kann. Der Gecko hat ganz, ganz viele kleine Ankerchen sozusagen an den Füßen, und mit diesen kleinen Ankerchen pappt er so gut an der Wand, dass er nicht runterfällt.

Aber der Trick ist dabei, dass das Pappen reversibel ist, das ist so ähnlich wie die 3M-Haftnotizen: Es pappt, aber es kann wieder gelöst werden. Die Idee ist, die wir zeigen wollen: Die Natur kann Vorbild sein für technische Produkte, die Natur überhaupt hat ja die Nanotechnologie erfunden. Leben ist nur dadurch zustande gekommen, dass es irgendwann einmal, vor vier Milliarden Jahren, auf der Erde möglich war, dass tote Moleküle sozusagen in lebende Moleküle übergegangen sind, durch Selbstorganisation auf der Nanometerskala. Und diese Idee, die Natur mit einzubeziehen, also unseren großen, großen Ratgeber, als der, der uns vormacht, wie es eigentlich geht, das ist auch in der Ausstellung thematisiert.

Bürger: In München sitzt ja bereits ein Dutzend Firmen, die man als Schlüsselunternehmen bezeichnet im Bereich der Nanotechnologie. An fast 30 Hochschulinstituten der Stadt wird in diesem Feld geforscht. Doch in der Bevölkerung gibt es sehr viele Menschen, die können sich unter diesem Begriff Nanotechnologie bislang kaum etwas vorstellen. Wie vermitteln Sie diesen Wissenschaftsbereich, den man nicht sehen und eigentlich auch nicht anfassen kann, weder schmecken noch riechen kann, jetzt in Ausstellungen?

Heckl: Ja, sehen Sie, das ist genau die Aufgabe der Wissenschaftskommunikation, die das Deutsche Museum seit 106 Jahren als Kerngeschäft betreibt. Gerade, wenn die Dinge so klein werden, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen können, obwohl sie uns umgeben - wir selbst sind aufgebaut aus Nanoteilchen, aus Atomen und Molekülen -, gerade dann ist die Museumspädagogik, die Darstellung so wichtig.

Ich sage immer, man kann sich sehr leicht merken, was ein Nanometer ist: Das ist die Strecke, in der unser Haar in einer Sekunde wächst. Aber um das anschaulich auch wirklich auch zu machen, haben wir Experimente aufgebaut, zum Beispiel Mikroskope aufgebaut, wo der Besucher selbst Atome oder Moleküle sehen kann, sichtbar machen kann. So etwa, wie Leeuwenhoek, der zum ersten Mal im 17. Jahrhundert durch ein Mikroskop gesehen hat und Zellen seiner Mundschleimhaut entdecken konnte, so ist das Aha-Erlebnis heute, wenn ein Besucher selbst begreifen - und begreifen heißt ja, mit den Händen selbst auch arbeiten –, begreifen kann, wie das geht.

Bürger: Und wie sieht so ein Atom dann aus?

Heckl: Ha, ha, die "Münsteraner Zeitung" hatte mal geschrieben: Atome sind eigentlich ganz normale Kerle, sie sehen aus wie Kartoffel, weil sie wie runde Kugeln eigentlich aussehen, die etwas verschwommen sind, weil in dieser atomaren Quantenwelt die Dinge etwas verschwommen generell sind, nicht so scharf wie auf einem scharfen Foto.

Aber man hat die Faszination, dass man einzelne Atome nicht nur sehen, sondern auch bewegen kann. Ich selbst habe zum Beispiel ein Guiness Book of Records bekommen, weil ich ein einzelnes Atom unter 40 Atomen, die auf meinem Mikroskop sozusagen sichtbar waren, genommen habe und woanders hingelegt habe und somit das kleinste Loch der Welt gebohrt habe, ein atomares Loch, ein Bit, wenn Sie so wollen, eine Null, geschrieben, und die Atome sind dann die Eins.

Das ist die Vorbereitung für die Speichertechnologie. Sie haben ja gerade auch erwähnt, dass die Nanotechnologie eine Querschnittstechnologie ist, die in alle Lebensbereiche, in alle Forschungsbereiche Einzug gehalten hat, von der Elektronik über die Materialwissenschaften - wir denken an den Lotuseffekt, an den berühmten - bis eben hin zur Medizin.

Denn eines ist klar: Unsere medizinischen Probleme, unsere Krankheiten können wir nur verstehen und vielleicht eventuell heilen, wenn wir die Ursachen auf der molekularen Skala verstehen. Und das ist natürlich Nanotechnologie, Nanomedizin im speziellen Fall.

Bürger: Heute wird im Deutschen Museum in München das Zentrum Neue Technologien eröffnet, Deutschlandradio Kultur ist deshalb im Gespräch mit dem Generaldirektor Wolfgang Heckl. Nanotechnologie und Biotechnologie, das sind ja keine unumstrittenen Forschungsgebiete, im Gegenteil: Es gibt Warnungen vor möglichen Gesundheitsrisiken durch Produkte, die mithilfe der Nano- und Biotechnologie hergestellt werden, also Nahrung, Kleidung, Kosmetika. Herr Heckl, welcher Raum bekommen, ich nenne sie jetzt mal die Nebenwirkungen im Deutschen Museum? Wie offen ist Ihr Konzept auch für Kritik an diesem Forschungsbereich?

Heckl: Das thematisieren wir sehr stark, denn wir sind ein Ort, wo der Dialog mit den Menschen über Naturwissenschaft und Technik stattfindet und nicht sozusagen die Horaverkörperung von Technik. Das heißt, wir präsentieren die Technik, übrigens auch die beteiligten Wissenschaftler oder Forscher, die selbst auch zeigen, was sie tun im Labor, im gläsernen Forscherlabor, wo der Besucher den Wissenschaftlern, den Studenten, Doktoranden über die Schulter schauen kann und sie fragen kann und mit seinen Ängsten, seinen Befürchtungen, seinen Fragen kommen kann. Er wird dort nicht die Antwort bekommen, alles ist wunderbar und alles ist im klaren Bereich, sondern er wird die Antwort bekommen, … er wird auch selbst an dieser Antwort mitarbeiten können, denn er wird auch gefragt in sogenannten Frage- oder Nachdenkstationen, er wird konfrontiert mit verschiedenen Meinungen, pro und kontra, Chancen und Risiken, …

Bürger: Zum Beispiel?

Heckl: … zum Beispiel, wenn es darum geht, ob die Nanopartikel, die ein Dieselfahrzeug, ein Dieselmotor aus dem Auspuff herausbläst, ob das für unsere Gesellschaft eher zuträglich ist oder nicht. Dann würde man sagen, aus medizinischer Sicht ist das ein Unding, so etwas zu tun, Nanopartikel in der Lunge, das will man nicht haben, übrigens auch sollte man daher nicht rauchen.

Auf der anderen Seite aber hat sich offensichtlich die Gesellschaft dafür entschieden, dass wir gewisse Risiken in Kauf nehmen, in diesem Fall, um im Beispiel zu bleiben: Wir benutzen Dieselfahrzeuge. Tatsächlich ist es so, dass die Lösung dieses Problems kam durch eine Nanomembran, die eingebaut wird in den Auspuff des Automobils, und diese Rußpartikel zurückhalten kann.

Mit anderen Worten: Es gibt immer eine Abwägung, bei jeder neuen Technologie, und wir müssen da auch vorsichtig sein zwischen Chancen und Risiken. Wir haben auch Projekte in Deutschland, NanoCare zu nennen zum Beispiel, das Bundesministerium für Forschung und Technologie, wo Nanotoxikologie ja auch berieben wird. Auch das wird ausgestellt bei uns, es kommen Toxikologen zur Sprache in Medienstationen, die eben berichten darüber, was könnten die Risiken sein, aber auf der anderen Seite eben auch, was könnten die Chancen sein?

Bürger: Finanziert wird das Zentrum Neue Technologien aber zum Teil von einem der weltweit größten Biotech-Unternehmen, der amerikanischen Firma Amgen. Dieses Unternehmung ist Gründungspartner des ZNT. Da gibt es doch sicher klare Interessen, wie die Nano- und Biotechnologie bewertet werden sollen in der Ausstellung?

Heckl: Also, das Interesse jedes Partners des Deutschen Museums – und das ist auch das Grundkonzept – ist immer gewesen, mit der Gesellschaft in den Dialog zu kommen, und das gilt auch in diesem Fall für Amgen, für unseren Gründungspartner. Denn, sehen Sie, auch jede Firma wird auf Dauer nur überleben können, wenn es mit seinen Produkten in der Bevölkerung auch Widerhall findet, wenn es darstellen kann, dass es einen Beitrag, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft liefert.

Und in diesem Fall ist es so, dass wir eigentlich immer … wir machen keine Produktausstellung, wir erklären, was Biotechnologie ist und zeigen auch die Wertschöpfungskette bis hin eben zur marktlichen Umsetzung, bis hin eben dafür, dass in diesem Fall Arbeitsplätze, auch in Deutschland, entstanden sind, das Forschungszentrum, das europäische Forschungszentrum der Firma Amgen zum Beispiel ist in Deutschland.

Wir müssen uns einfach der Tatsache stellen, dass wir in einer Welt leben, wo Produkte hergestellt werden, und es gehört dazu, dass wir diese Produkte hinterfragen, dass wir auch Retropoetrin hinterfragen, das ist ja eines auch der Produkte dieser Firma, auf der einen Seite positive Effekte im Gesundheitsbereich, auf der anderen Seite negative Effekte im Bereich des Dopings im Sport. Und dieses hinterfragen wir eben, diese beiden Sachen stellen wir gegenüber, und der Besucher ist aufgefordert, diesen Dialog, auch im Bürgerdialog, zur Nano- und Biotechnologie mit uns, mit der Firma, mit den Stakeholders zu führen.

Bürger: Heute wird das Zentrum Neue Technologien im Deutschen Museum in München von Bundespräsident Horst Köhler eröffnet, in Anwesenheit des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer – ein besonderer Tag auch für den Generaldirektor des Hauses Wolfgang Heckl. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Heckl!

Heckl: Bitteschön!