"Die Nachfrage ist groß"

Gustav J. Dobos im Gespräch mit Nana Brink · 29.12.2010
Es gebe ein großes Interesse an integrativer Medizin, bei der konventionelle Behandlungsmethoden und Naturheilkundeverfahren kombiniert werden, sagt der Mediziner Gustav Dobros. Zum Teil könne chronisch Kranken, bei denen die Schulmedizin keine Wirkung gezeigt habe, auf diese Weise geholfen werden.
Nana Brink: Was ist, wenn das Kind die fünfte Mittelohrentzündung bekommt und das Antibiotikum nicht mehr wirkt, oder die Kopfschmerzen immer unerträglicher werden und kein Migränemittel wirklich hilft? Immer mehr Menschen suchen in solchen Situationen Rat außerhalb der Schulmedizin, zum Beispiel in der Homöopathie oder zum Beispiel in der traditionellen chinesischen Medizin mit ihren Akupunkturmethoden. In Essen richtet man seit über zehn Jahren schon einen Blick über den Tellerrand der Schulmediziner, und zwar in der Modellklinik für integrative Medizin. Und am Telefon ist jetzt Professor Gustav Dobos, Chefarzt der Klinik für Naturheilkunde und integrative Medizin an den Kliniken Essen-Mitte. Einen schönen guten Morgen, Herr Dobos!

Gustav J. Dobos: Guten Morgen, Frau Brink, ich grüße Sie!

Brink: Was hat Sie dazu gebracht, die Pfade der Schulmedizin zum Teil zu verlassen?

Dobos: Gut, ich habe sie ja nicht komplett verlassen, Sie haben recht zu sagen, zum Teil zu verlassen. Ich war sehr lange in der konventionellen Medizin tätig, über zwölf Jahre, und habe viele Patienten behandelt, die mit den konventionellen Methoden nur eingeschränkt behandelbar waren. Da ich mich schon selbst über Jahre mit Naturheilkunde beschäftige, wusste ich, dass es möglich ist, diese Patienten auch anders zu behandeln, und habe jetzt in einer Modellklinik in Essen eine Kombination aus beidem erreicht, das heißt, die Patienten werden schulmedizinisch behandelt, wenn es notwendig und sinnvoll ist, und naturheilkundlig und mit Methoden der Komplementärmedizin, wenn es einen zusätzlichen Nutzen für die Patienten bringt.

Brink: Was bedeutet denn dann integrative Medizin? Das ist also eigentlich eine Vermittlung zwischen der Schulmedizin und den alternativen Methoden?

Dobos: Integrative Medizin heißt letztendlich, dass der Dualismus – auf der einen Seite Schulmedizin, auf der anderen Seite Naturheilkunde, die sich beide bekriegen –, dass der aufgehoben wird und dass gemeinsam zum Wohle des Patienten sowohl schulmedizinisch als auch naturheilkundlich gearbeitet wird, aber auf Basis einer wissenschaftlich begründeten Medizin. Das ist die Voraussetzung für die integrative Medizin.

Brink: Können Sie mir mal ein Beispiel geben, wo Sie denn beide Teile dieser Behandlung einfach verbinden können, dass wir uns das ein bisschen vorstellen können?

Dobos: Ja, Sie haben das schon angesprochen, die Migräne ist ein sehr gutes Beispiel, wir behandeln auch sehr viele Migränepatienten, und zwar hauptsächlich oder fast ausschließlich Schwerstmigränepatienten, die unter zehn bis 15 schweren Migräneattacken pro Monat leiden und bei denen die konventionelle Medizin nicht mehr weiterhilft. Das heißt, die können immer nur die akuten Anfälle kopieren, aber es führt immer wieder dazu, dass die Anfälle wiederkommen und eventuell noch stärker sind. Und bei diesen Patienten kann man sehr schön durch eine Kombination aus Naturheilkunde und der konventionellen Medizin diese Anfallshäufigkeit reduzieren.

Brink: Das heißt, Sie suchen aber immer für einen klassischen Fall – also wie Migräne, die Sie genannt haben, oder vielleicht auch die Mittelohrentzündung – dann ein entsprechendes Naturverfahren, Naturheilmittelverfahren, was dann mit dem zu kombinieren ist?

Dobos: Genau. Manchmal gelingt es auch rein mit naturkundlichen Methoden zu behandeln, aber in der Regel ist es eine Kombination aus beidem. Nehmen Sie zum Beispiel das Beispiel einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Das sind chronische Erkrankungen, die über Jahre bestehen, und die Patienten neigen dazu, regelmäßig Schübe zu entwickeln, und ein Teil der Patienten befindet sich im sogenannten Dauerschub. Das heißt, diese Patienten brauchen sehr hohe Medikamentendosen, unter anderem Kortison, um überhaupt funktionsfähig zu sein im Alltag. Und gerade diesen Patienten kann man zum Beispiel auch helfen durch eine integrative Medizin, nämlich in einer Kombination aus beidem.

Brink: Ich habe ja bei Ihnen auch gelesen, dass so ganz althergebrachte Methoden wie zum Beispiel der Blutegel – das klingt vielleicht jetzt ein bisschen komisch, aber auch das Schröpfen – angewandt wird, also das Vertrauen auf das Wissen der Vorfahren?

Dobos: Gut, der Blutegel, muss man fairerweise sagen, ist ... Die Blutegeltherapie ist die älteste bekannte Therapie in Europa, vor über 2000 Jahren wurde die Blutegeltherapie dokumentiert bereits eingesetzt. Und wir konnten, und andere auch konnten durch eine Reihe von Studien zeigen, dass die Blutegeltherapie die wirksamste, schmerzlinderndste Therapie zur Behandlung von Arthroseschmerzen darstellt, zu Arthroseschmerzen des Knies, des Daumens und anderer Gelenke.

Brink: Dann wundert man sich ja, warum die klassische Schulmedizin dann solche Methoden nicht anwendet. Sie sind ja auch schon einen Schritt weiter gegangen, nicht nur Akupunktur, sondern Sie wenden sich in Ihrer Klinik ja auch der indischen Medizin, also der Ayurveda zu. Warum machen das sonst so wenige?

Dobos: Ja, es ist extrem schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen, muss man fairerweise sagen. Also wir betreiben seit Jahren chinesische Medizin, haben Austauschprogramme mit einer chinesischen Universität in Canton, in Guangzhou, haben immer wieder Gastwissenschaftler bei uns und forschen auch über chinesische Medizin, und man kann sagen, man kann relativ, mit relativer Sicherheit voraussagen, bei welchen Erkrankungen eine Behandlung mit chinesischer Medizin wirksam ist und bei welchen nicht. Und es gibt auch eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen dazu. Das sieht in der ayurvedischen Medizin noch anders aus, da sind wir erst in den Anfängen, und wir sind erst in den Anfängen, nach und nach Teile und Elemente aus der ayurvedischen Medizin zu integrieren.

Brink: Bislang müssen ja Ihre Patienten in weiten Teilen selbst für die Behandlung aufkommen. Warum wehren sich denn die Krankenkassen so dagegen, zum Beispiel auch solche Therapiemethoden zu bezahlen?

Dobos: Ja das ist gar nicht so. Also zum Beispiel der stationäre Aufenthalt bei uns wird von allen Krankenkassen übernommen, sofern eine Indikation vorliegt. Bei den ambulanten Behandlungen kommt es darauf an, es gibt zum Beispiel eine ganze Reihe von Krankenkassen, die spezielle Verträge mit dieser Klinikverwaltung abgeschlossen haben, dass Patienten, die konventionell nicht behandelbar sind, dass die mit naturheilkundlichen Verfahren behandelt werden. Und bei diesen Patienten übernehmen die Krankenkassen sämtliche Kosten. Das sind zum Beispiel die Schwerstmigränepatienten, die eben mindestens zehn Migräneanfälle pro Monat haben.

Brink: Das klingt ja so, dass bei Ihnen die Nachfrage nach integrativer Medizin sehr groß ist?

Dobos: Die Nachfrage ist groß, wir haben im Durchschnitt eine Wartezeit von etwa drei bis vier Monaten für einen stationären Aufenthalt bei uns.

Brink: Denken Sie denn, dass Ihr Modell ja Schule machen soll?

Dobos: Ich gehe davon aus, dass es Schule machen muss, weil das natürlich zu einer deutlichen Kostenreduktion führt, weil man davon ausgehen muss, dass die meisten Patienten, die zu uns kommen, die würden ja, wenn sie nicht zu uns kämen, teilweise über Jahre immer wieder in anderen Kliniken behandelt werden, und viele von denen haben schon lange Odysseen hinter sich. Im Durchschnitt sind die Patienten seit sieben Jahren chronisch krank und ihnen konnte nicht geholfen werden. In vielen Fällen, nicht bei allen Patienten, können wir den Patienten so weit helfen, dass ihr Leben erträglicher wird, dass die chronischen Beschwerden deutlich besser werden und sie eine relativ hohe Lebensqualität dadurch auch erreichen.
Mehr zum Thema