Die Mafiosi aus der Sicht eines Ermittlers

Raffaele Cantone kämpfte gegen das organisierte Verbrechen in Neapel.
Raffaele Cantone kämpfte gegen das organisierte Verbrechen in Neapel. © Stock.XCHNG / Nate Nolting
03.03.2010
Raffaele Cantone ist ein Mann mit Idealen. Er glaubt an die Gerechtigkeit, und er glaubt an staatliche Institutionen. Überzeugungen dieser Art sind in Süditalien nicht selbstverständlich – und wer sie vehement vertritt, setzt automatisch sein Leben aufs Spiel.
Cantone, Jahrgang 1963, zwischen 1999 und 2007 leitender Staatsanwalt der Antimafia-Behörde in Neapel, hat die großen Prozesse gegen die Camorra mit initiiert und wurde zur Symbolfigur im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Warum er diesen Weg gegangen ist und welches die Folgen waren, erzählt er in seinem Buch "Allein für die Gerechtigkeit". Der Erfahrungsbericht, den Cantone auf Anregung des Journalisten Roberto Saviano verfasste, ist ein mitreißendes Zeugnis über die Sphäre der mafiosen Kriminalität aus der Perspektive der Ermittler und zugleich eine Ergänzung zu Savianos dokumentarischem Roman "Gomorrha".

Savianos düstere Bestandsaufnahme aus der camorraverseuchten Peripherie von Neapel hatte das Thema international bekannt gemacht und zu einem realistischeren Italienbild beigetragen. Dass auch Cantones Buch auf so große Resonanz stieß und 2008 sofort auf den italienischen Bestsellerlisten landete, hing mit diesem neu erwachten Interesse zusammen.

Der Staatsanwalt – aufgewachsen in Giugliano, einem berüchtigten Vorort von Neapel, und inzwischen im Kassationsgericht von Rom tätig – ist kein Racheengel. Auch seine Mitarbeiter seien keine Missionare in einem "titanischen Kampf gegen das Böse", sondern "sachkundige, verantwortungsbewusste und teamfähige Leute" mit wenig Lust auf Heldentum.

Mit einfachen Worten schildert Cantone das Milieu, aus dem er stammt: katholisch, anständig, von staatsbürgerlichem Ethos durchdrungen. Für den brillanten Schüler lag es nahe, Jura zu studieren. Als er zum ersten Mal mit systematischer Wirtschaftskriminalität in Berührung kommt, kann er das Ausmaß kaum fassen. Unnachgiebig hält er sich an Regeln und Gesetze. Die großen Clans der "Casalesi", der Bosse rund um Casal di Principe, geraten in sein Visier.

Als man ihm die Stelle in der Antimafia-Behörde anbietet, nimmt der zweifache Familienvater das Angebot an und steht bald darauf unter Personenschutz. Cantone erzählt in seinem Buch vom mühseligen Alltag eines Camorra-Ermittlers, nimmt die Arbeitswelt der unzähligen Sekretärinnen, Carabinieri, Justizbeamten, Staatsanwälte und Wachleute in den Blick. Bei all dem geht es ihm ums Prinzip – weder um Geld, noch um Ruhm oder Macht. Für die Camorristi eine schlicht unvorstellbare Tatsache. Längst hat sich eine Kultur der Illegalität etabliert, eine Grauzone, in der nicht mehr zwischen richtig und falsch unterschieden wird. Ein Polizist ergattert über gewisse Kontakte eine Eintrittskarte fürs Stadion, ein Priester spricht bei ihm vor und wirbt für die Familie eines Clanchefs um Nachsicht.

Die Bilanz von "Allein für die Gerechtigkeit" ist fast noch niederschmetternder als die von Savianos "Gomorrha", denn bei Cantone tritt die Korrosion der Zivilgesellschaft noch deutlicher zu Tage. So starten Nachbarn eine Unterschriftenaktion, um sich dagegen zu wehren, dass der Staatsanwalt in ihr Viertel zieht. Ein anderes Mal sucht ihn ein Lehrer auf, der nach der Verhaftung des örtlichen Clanchefs die vielen Einbrüche in seiner Gegend beklagt – früher habe dort Ordnung geherrscht, und die Bosse seien wenigstens Landsleute gewesen. Wer die Camorra verstehen will, muss Raffaele Cantone lesen.

Besprochen von Maike Albath

Raffaele Cantone: Allein für die Gerechtigkeit. Ein Leben im Kampf gegen die Camorra
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß Antje Kunstmann Verlag, München 2009
255 Seiten, 19,90 Euro