"Die Mafia wäscht hier enorme Geldsummen"

Nicola Gratter im Gespräch mit Burkhard Birke · 10.09.2011
Der Oberstaatsanwalt im italienischen Reggio di Calabria, Nicola Gratteri, hat eine bessere europäische Kooperation zur Bekämpfung der Mafia gefordert. Die gigantische Geldwäsche der 'Ndrangheta, die den Kokainhandel Europas beherrsche, stelle letztlich eine Gefahr für die Demokratie dar.
Burkhard Birke: Anlässlich das zehnten Jahrestages der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York wird gerade in diesen Tagen immer wieder über Macht und Einfluss von Al Kaida und den islamischen Terror diskutiert. Unterdessen scheint sich im Schatten des Antiterrorkampfes eine andere Organisation krebsartig weiter auszubreiten, die 'Ndrangheta, die kalabresische Mafia. Nicola Gratteri, wie gefährlich ist die kalabresische Mafia?

Nicola Gratteri: Die 'Ndrangheta ist die einzige mafiöse Organisation der Welt, die tatsächlich auf allen Kontinenten präsent ist. Die 'Ndrangheta ist heute mächtiger als vor 15 Jahren, weil sie reicher geworden ist. Gemeinsam mit den Cassaresi kontrolliert sie fast den gesamten Import von Kokain auf den europäischen Markt. Sie kontrolliert hier die Importe und reinvestiert dann Gelder in Immobilien, in Restaurants, Pizzerien und andere Wirtschaftszweige – aktiv in Australien, den USA, Europa, außer in Norditalien.

Burkhard Birke: Herr Gratteri, von welchen Umsätzen sprechen wir hier? Geht es da um Milliardenbeträge, um Beträge, die größer sind als das, was zum Beispiel eine Firma wie BMW umsetzt?

Nicola Gratteri: Ja, wir sprechen hier von Umsätzen von 44 Milliarden Euro im Jahr, von wirklich immensen Umsätzen, die dann wiederum in den legalen Markt investiert werden. So fließt also das Drogengeld auf die legalen Märkte – und das natürlich zum Nachteil derjenigen Unternehmen, die, um ihre Aktivitäten zu finanzieren, auf Bankenkredite angewiesen sind.

Die Mafia wäscht hier enorme Geldsummen, die aus dem Kokainhandel stammen, und bringt damit den Markt in eine instabile Situation. Sie gefährdet das Funktionieren des Marktes. Seine Regeln werden unterwandert und damit auch die der Demokratie.

Burkhard Birke: Wie viel von diesen 44 Milliarden, Herr Gratteri, kommt eigentlich aus dem Kokainhandel und wie viel wird noch mit Erpressung, mit Schutzgeldern, mit den klassischen Mafiamethoden erwirtschaftet?

Nicola Gratteri: Die Hälfte der Umsätze der 'Ndrangheta circa stammt aus dem Kokainhandel. Stellen Sie sich vor: In Bogotá gibt es Broker der 'Ndrangheta, die ein Kilo Kokain für 1200 Euro kaufen. Das Ganze wird dann verschnitten, wird noch mal in seiner Menge multipliziert bis zu 43 Prozent. Und ein Gramm Kokain wird in Italien oder Europa für 50 Euro gehandelt. Es gibt also kein lukrativeres Geschäft als den Kokainhandel.

Dann gibt es noch die anderen Geschäftszweige. Es gibt die Erpressung. Es gibt den Ausschreibungsbetrug. Es gibt die Zinswucherei. Die werden aber auch mehr benutzt, um bestimmte Territorien unter Kontrolle zu bringen, um die kleinen Mitglieder zufrieden zustellen und nicht, um damit große Geschäfte zu machen.

Burkhard Birke: Sie sagen, dass die 'Ndrangheta vor allen Dingen den Kokainhandel in ganz Europa kontrolliert. Die 'Ndrangheta ist durch die Morde von sechs Italienern in Duisburg 2007 hier in Deutschland so ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Als Staatsanwalt und Chef der Antimafiabehörde Reggio Calabria, Herr Gratteri, haben Sie ja maßgeblich zu Aufklärung dieser Morde beigetragen. Handelte es sich da wirklich nur um einen Racheakt verfeindeter Clans und war es ein Fehler, überhaupt diesen gemacht zu haben?

Nicola Gratteri: Wenn man bedenkt, welches dann die Folgen waren, die aus den Morden von Duisburg für die 'Ndrangheta entstanden sind, war es sicherlich ein großer Fehler. Es war eine Fehde. Es gab diese Morde von sechs Personen am 15. August. Und wenig später, am 2. September, bei der großen Versammlung im Heiligtum von Polsi, von den großen Anführern der 'Ndrangheta wurde auch der Frieden befohlen. Denn die Polizei in den Niederlanden, Deutschland und Italien war durch diese Morde nahezu gezwungen, sich mit dem Phänomen Mafia zu beschäftigen. Und das Medieninteresse in Deutschland war sehr groß. Das hat natürlich der Wirtschaft der 'Ndrangheta großen Schaden zugefügt.

Burkhard Birke: Kann man sagen, dass durch diesen Waffenstillstand jetzt wieder die 'Ndrangheta in Deutschland in aller Ruhe ihren Aktivitäten nachgeht?

Nicola Gratteri: Sicherlich ist es so, dass die 'Ndrangheta weiterhin in Deutschland ihre Geschäfte macht. Auch wenn diese sechs Personen ermordet wurden, dann heißt das noch nicht, dass damit die gesamte Organisation jetzt nicht mehr existiert. Sie machen weiter ihre Geschäfte. Wenn ein Papst stirbt, wird ein neuer gewählt.

Burkhard Birke: Die 'Ndrangheta ist jetzt ja nur ein Arm dieser großen Hydra Mafia. Wir kennen hier in Deutschland auch Cosa Nostra. Es gibt Camorra. Wie ist das Verhältnis? Wie ist die Aufteilung auch des Marktes, der Aktivitäten zwischen diesen Organisationen in Italien, in Deutschland, weltweit?

Nicola Gratteri: Die Justizgeschichte hat uns gelehrt, dass es hier keine Grenzen gibt. Die Camorra, die Cosa Nostra, die 'Ndrangheta und die Sacra Corona Unita können alle gleichberechtigt existieren. Europa ist ein großes Aktionsfeld. Alle können hier Geschäfte machen – Hauptsache, sie treten sich dabei nicht auf die Füße.

Wir haben schon gesehen, dass die 'Ndrangheta, die Cosa Nostra und die Camorra gemeinsam Drogengeschäfte organisieren, große Importe von Kokain aus Südamerika, vor allem aus Kolumbien.

Burkhard Birke: Das heißt, die kooperieren oder grenzen zumindest ihre Territorien ab. Aber in einem Parlamentsbericht aus Rom heißt es: "Wie Al Kaida verfügt die kalabresische Mafia, die 'Ndrangheta, über eine tentakelartige Struktur, ohne eine strategische Führung, aber ausgestattet mit einer Art organischer Intelligenz, mit der Lebenskraft eines Tumors und einem gesellschaftlichen Rückhalt von enormer erschreckender Verlässlichkeit. Operiert die 'Ndrangheta anders als die anderen Organisationen? Ist sie deshalb erfolgreicher?

Nicola Gratteri: Um zu existieren, braucht die 'Ndrangheta die Unterstützung der Bevölkerung. Sie braucht die Beziehungen zu den Institutionen. Sie war der Gesellschaft nie fremd. Sie war kein Fremdkörper. Und sie hat sich nie gegen den Staat gerichtet. Das ist aus vielen Abhörungen, aus vielen Untersuchungen hervorgegangen. Und es war ein besonderer Moment, als in San Luca gegenüber der großen Fehde reagiert wurde und deutlich gesagt wurde: Achtung, ihr braucht die Bevölkerung. Ihr braucht ihre Unterstützung. Terrorisiert sie nicht, sonst kann alles, was ihr in 30 Jahren erschaffen habt, an einem Morgen weggewischt werden.

Es ist auch tatsächlich so, dass die 'Ndrangheta nie versucht hat, gegen den Staat zu agieren. Sie hat immer Abkommen mit den Vertretern der Institutionen gesucht.

Burkhard Birke: Das heißt, Herr Gratteri, die 'Ndrangheta kauft die Politiker erfolgreicher. Das heißt, sie besticht sie, sie kauft sich die Politiker, um dann auch die Unterstützung beim Volk zu haben.

Nicola Gratteri: Die 'Ndrangheta terrorisiert trotzdem einerseits die Bevölkerung, andererseits zeigt sie aber auch deutlich, dass sie sehr, sehr effizient ist. Wenn wir zum Beispiel einen Zivilstreit haben, zwei Nachbarn streiten sich, dann ist das ein Fall, der sich in der regulären Justiz über zehn bis 15 Jahre hinziehen kann. Wenn man sich hingegen an den Mafia-Boss wendet, dann löst er den Fall in ein bis zwei Tagen. Man ist ihm dann aber auch ein Leben lang verbunden.

Bezüglich der Korruption beobachten wir, dass sich die Verhältnisse nahezu umkehren. Es sind die Politiker, die sich an die Mafia wenden, um Wählerstimmen zu gewinnen, was sie dann natürlich im Austausch gegen andere Gefallen, wie zum Beispiel das Gewinnen von Ausschreibungen, machen.

Burkhard Birke: Haben Sie Hinweise, ob die kalabresische Mafia das auch in Deutschland tut?

Nicola Gratteri: Ich weiß es nicht. Ich habe darüber sprechen hören. Aber wenn wir es juristisch oder von meinen Prozesskenntnissen betrachten, dann weiß ich es nicht.

Burkhard Birke: Wo ist denn die 'Ndrangheta hier in Deutschland besonders stark? Und wie operiert sie?

Nicola Gratteri: In Deutschland fallen mir Namen wie Duisburg oder Kassel ein, die beiden Städte, aber auch Frankfurt. Hier operiert die 'Ndrangheta im Bereich der Geldwäsche. Sie versucht Geld zu waschen und wirtschaftliche Aktivitäten aufzukaufen. Das kann im Bereich der Gastronomie sein, aber auch im Bereich Vertrieb. Hier sehen wir sie sehr aktiv und präsent.

Burkhard Birke: Das sind ja nun Probleme, die in Italien noch viel stärker vorherrschen, in anderen Ländern auch. Sie haben ja über den bedeutenden Einfluss der Ndrangheta, der kalabresischen Mafia überall in Europa, in der Welt gesprochen. Man müsste doch dieses globalisierte Problem auch global, das heißt, gemeinsam angehen. Wie, Herr Gratteri?

Nicola Gratteri: Das Problem Europas ist, das wir die europäischen Staaten haben. Wir haben das Europäische Parlament. Aber es gibt nicht die richtige Wahrnehmung des Phänomens Mafia oder, falls es sie gibt, dann wird das so nicht diskutiert. Es sieht so aus, als wäre man sich nicht darüber im Klaren, wie weit sie verbreitet ist und wie präsent die Mafia in Europa ist.

Wir haben ein Europa mit einer Währung, ohne Grenzen. Man kann sich in Europa frei bewegen. Das ist natürlich gut für den Handel und die Bewegungsfreiheit, aber ist auch andererseits gut für die Mafia. Es gibt in Europa nicht diese Kultur der strengen Kontrolle des Territoriums. Man kann 300, 400 Kilometer fahren durch verschiedene Staaten, ohne auch nur einmal auf Polizei zu treffen.

Am wichtigsten ist in diesem Bereich allerdings, dass es in Europa keine einheitliche Justiz, keine einheitliche Gesetzgebung im Bereich Mafia gibt. Die Staaten Europas haben da andere Aufgaben. Die Polizei zum Beispiel von Duisburg und Reggio Calabria kann nicht so frei kooperieren, wie sie es bräuchte. Aber wenn wir unsererseits wiederum unsichtbare Grenzen errichten, dann spielen wir das Spiel der Mafia mit. Die europäischen Staaten wachen eifersüchtig über ihre Souveränität. Und die Staaten und die Polizei können nicht ausreichen kollaborieren.

Dazu kommt noch, dass die einzelnen Tatbestände in den einzelnen Staaten juristisch unterschiedlich definiert sind, so dass es teilweise dann in Staaten unterschiedlich definiert wird, ob überhaupt von Mafia gesprochen werden kann oder nicht.

Burkhard Birke: Das heißt, wir haben große Defizite in Europa. Sollte man zum Beispiel eine europäische Polizei haben, die gegen das organisierte Verbrechen vorgeht?

Nicola Gratteri: Was wir in Europa brauchen, ist eine starke Justiz, wenn es um die Bekämpfung der Mafia geht, die sich an dem italienischen System orientiert, das in dieser Hinsicht das bestentwickeltste der Welt ist.

Wir haben Situationen, da kann ich nur Beispiele geben, in Europa: Wenn ich zum Beispiel in Amsterdam operiere und darauf warte, dass ein Container Kokain ankommt, der niederländische Polizist weiß aber von einer Person, die ein Kilo Kokain bei sich zu Hause hat, muss sie diesen sofort verhaften und kann nicht darauf warten, dass der Container ankommt. In Italien wäre dann eine Verzögerung der Einzelverhaftung zum Beispiel möglich.

In Spanien haben wir eine andere Situation. Wenn ich in Barcelona zum Beispiel bin, kann ich niemanden nachts verhaften. Ich muss auf den Morgen warten. Und wenn ich weiß, dass ich zwei Kilo Kokain im Hause habe, dann schaue ich einfach vor dem Sonnenaufgang noch mal auf die Straße, ob ich was Verdächtiges sehe, und entsorge es sonst. In Spanien haben wir hier noch das Erbe aus der Franco-Zeit.

In Deutschland ist das Problem zum Beispiel das Abhören, das Abhören auch an öffentlichen Orten. Das wird hier sehr erschwert mit dem im Hinterkopf, was vor 20 Jahren in Ostdeutschland passiert ist.

Burkhard Birke: Herr Gratteri, welches wäre denn die dringendste Maßnahme von all dem, was Sie genannt haben? Da gibt’s also Abhören. Die Abhörpraktiken unterscheiden sich sehr. Man hat auch unterschiedliche Arten, mit Kronzeugen umzugehen. Wo ist der dringendste Handlungsbedarf, auch gerade, weil wir ja in den öffentlichen Kassen immer weniger Geld haben? Gerade Ihr Land, Italien muss sparen.

Nicola Gratteri: Seit 20 Jahren spreche ich auch zu Jugendlichen in den Schulen und versuche ihnen zu erklären, warum es sich nicht lohnt, ein Mitglied der 'Ndrangheta zu werden. Das versuche ich aber mit wirtschaftlicher Argumentation und nicht mit Argumentationen zum Thema Moral und Ethik.

Denn was haben wir heute? Wir haben die großen multinationalen Konzerne, die einem vorspiegeln und vermitteln, dass man angesehen ist, dass man Erfolg hat, wenn man sich auf eine bestimmte Weise anzieht, wenn man bestimmte Dinge besitzt. Hier werden die Kultur und der Konsum weltweit homogenisiert. Es wird das Bild vermittelt, dass man etwas ist, wenn man etwas hat, und nicht einfach nur, wenn man etwas ist.

Hier geht es also wirklich darum, auf diese heutige Denkweise in der Gesellschaft einzusteigen. Und ich versuche also zu erklären, wie sich das in der 'Ndrangheta verhält, ob das denn nun wirklich so ist, dass man als Mitglied der 'Ndrangheta sich alles leisten kann, das richtige Auto kaufen kann. Das ist eben nicht so. Es ist ein kleiner Teil, die große Elite der Ndrangheta, vielleicht zehn Prozent, die wirklich reich werden. Die anderen kommen arm hinein und auch arm wieder heraus.

Burkhard Birke: Nicola Gratteri, also, Sie sind ein Staatsanwalt, der auch eine Bildungsoffensive startet. Doch noch mal zurück: Das ist sehr wichtig wohl, diese Bildung und die Aufklärung der jungen Menschen, vor allem über die Folgen einer Mafia-Mitgliedschaft, aber lassen Sie uns doch konkret noch mal über die Bereiche Justiz und Gesetzgebung sprechen. Zum Beispiel muss die Abhörpraxis in Europa vereinheitlicht werden?

Nicola Gratteri: Ja, es wäre von grundlegender Wichtigkeit, die Abhörsysteme in Europa zu vereinheitlichen. Denn sie sind das sicherste und auch günstigste Mittel, das wir haben. Ein Telefon oder ein Mobiltelefon abzuhören, kostet 10 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer pro Tag. Wenn man vergleicht, was es dann kostet, jemanden zu verfolgen, jemanden von Reggio Calabria bis nach Rom oder Berlin zu verfolgen, dann sprechen wir von Ausgaben von 3000 bis 4000 Euro pro Tag, die das ausmacht. Wenn wir also etwas mit 10 Euro pro Tag erreichen können, das uns auch noch ermöglicht, genau zu wissen, wo sich zum Beispiel zu welcher Minute und Sekunde ein Drogenkurier gerade aufhält, ob er gerade Kaffee trinkt oder auf der Toilette ist, dann ist das natürlich ideal. Und das ist auch das sicherste Mittel, weil wir da wirklich diejenigen hören, die die Verbrechen dann hinterher auch begehen.

Wichtig ist natürlich auch noch, dass die Prozesse in der Justiz stärker digitalisiert werden, damit wir Zeit sparen können und Kosten sparen – Kosten für Papier, für Toner, für Arbeitsstunden und Zeit vor allem. In Italien ist das immer noch so, dass Mitteilungen der Justiz von der Justizpolizei überbracht werden, die anstatt Untersuchungen zu betreiben durch die Gegend fahren, anstatt dass man das Ganze per E-Mail macht.
Burkhard Birke: Haben Sie denn Verständnis für die Bedenken der Datenschützer, die ja solchen Abhöraktionen offenbar im Wege stehen?

Nicola Gratteri: Nein, das ist nicht so zu sehen. In Italien wird seit zwei Jahren sehr stark über das Thema Telefonüberwachung diskutiert. Es wird gesagt, dass es sehr teuer ist und dass in Italien jetzt fast jeder abgehört wird und dass es ein schwieriges Gebiet ist. Man spricht davon, dass von 60 Millionen Einwohnern sieben Millionen abhört werden, und zwar das nur im Jahr 2010. – Aber das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Wenn wir sieben Millionen Personen abhören wollten, bräuchten wir 250.000 Personen, die nur mit Kopfhörern dasitzen, um das auch umzusetzen.

Es wird auch gesagt, dass es teuer ist, was auch nicht wahr ist. Es ist im Gegenteil die günstigste Methode, um an Informationen zu kommen.

Wenn wir dann von Datenschutz sprechen, ist das noch mal ein ganz anderes Thema. Da geht es dann eher darum, dass die Fakten über Personen, die gar nicht unmittelbar von den Untersuchungen betroffen sind, nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen.

In den USA ist die Philosophie, dass, wenn jemand abgehört wird, der im öffentlichen Leben steht, ein Politiker, dann die Bevölkerung ein Recht hat, über die Medien alles über sein Privatleben zu erfahren, weil sie wissen sollen, wer sie repräsentiert. Ich selbst würde das vielleicht sogar unterstützen. Aber das Problem ist natürlich, wenn Daten und Fakten über Personen an die Öffentlichkeit gelangen, die gar nicht direkt Gegenstand der Untersuchungen sind.

Burkhard Birke: Sollte man den Drogenhandel legalisieren? Dann würde man doch den Geldhahn der Mafia zudrehen?

Nicola Gratteri: Ich denke, dass ein demokratischer Staat sich den Luxus nicht erlauben kann, etwas zu legalisieren, was schädlich ist. Ich denke, dass diese Staaten sich für die Freiheit und die Gesundheit ihrer Bürger einsetzen müssen. Und ein Volk, das Drogen nimmt, ist nicht frei und nicht entscheidungsfähig. Denn nicht jeder ist so stark und hat den Charakter, um sich gegen die Drogen zu entscheiden. Wenn man sie frei in der Apotheke kaufen kann, dann würden viele sie wahrscheinlich auch nehmen.

Aber ich denke, dass der Kampf gegen den Drogenhandel ein Misserfolg zu werden droht, weil die Staaten und die Justizsysteme nicht in der Lage waren, ein Justizsystem aufzubauen, das diesem Phänomen der Mafia und des Drogenhandels angemessen ist.

Auch die Politik der UNO ist hier meiner Meinung nach gescheitert. Wenn wir zum Beispiel unseren Blick nach Kolumbien richten an die Politik, die dort gegenüber den Coca-Bauern betrieben wurde, auch die ist meiner Meinung nach gescheitert, dass hier der Coca-Anbau durch Getreideanbau ersetzt wurde, weil man die Einkommensunterschiede für die Bauern niemals wirklich ausgleichen konnte. Es gab Rebellionen in der Bevölkerung. Man hatte ja Flugzeuge eingesetzt, um mit Gift die Coca-Plantagen zu vernichten. Man hat aber gleichzeitig registriert, dass durch diese Gifte auch die Tumorraten in den Gebieten anstiegen, so dass ich hier auch eine gescheiterte internationale Politik sehe.

Burkhard Birke: Eine persönliche Frage noch zum Schluss: Sie stehen seit 1989 unter Personenschutz. Wie hat sich Ihr Leben durch diesen Anti-Mafia-Kampf verändert?

Nicola Gratteri: Mein Leben hat sich vollkommen verändert. Ich lebe acht Kilometer vom Meer entfernt. Dieses Jahr habe ich einmal für zehn Minuten an einer Stelle zwischen zwei Ortschaften gebadet. Ich gehe nicht in Restaurants. Ich gehe nicht ins Kino. Ich bleibe zu Hause, es sei denn, ich gehe zur Arbeit oder bin in Italien oder anderswo unterwegs, um Untersuchungen durchzuführen. Ich lebe in meinem Haus. Ich habe einen Garten, in dem ich arbeite, in dem ich Rosen pflanze. Und so vergeht mein Leben.

Burkhard Birke: Woher holen Sie die Kraft?

Nicola Gratteri: Wenn ich mich davon zurückziehen würde, wenn ich einen Schritt zurück machen würde, dann würde ich mir wie ein Feigling vorkommen. Ich weiß, dass tausende Personen auf mich schauen, dass ich für sie eine Hoffnung darstelle. Und da kann ich nicht zurück.

Burkhard Birke: Grazie.

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