Die Macht der toten Hand

Moderation: Alexandra Mangel · 05.01.2011
Stifter verfügen über ihr Vermächtnis bis über den Tod hinaus. Der Stifterwille sollte jedoch begrenzt werden, meint Jens Beckert, Fachmann für die Geschichte des Erbrechts. Stiftungszwecke seien immer an die jeweilige Zeit gebunden, Gesellschaft aber wandele sich.
Alexandra Mangel: Eine Stiftung zu gründen, das ist für viele Stifter gerade deshalb so attraktiv, weil diese Stiftung ihnen die Möglichkeit gibt, die Gesellschaft über ihren Tod hinaus zu gestalten. Der Stifter bestimmt den Stiftungszweck, in der Satzung wird er festgeschrieben, und ihn nach seinem Tod zu ändern, ist so gut wie unmöglich. Was sich aber nun mal ändert, ist die Gesellschaft, und nicht selten haben die Nachgeborenen ihre liebe Müh und Not mit der Erfüllung des Stifterwunsches. Und im Studio in Köln sitzt jetzt für uns Jens Beckert, Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung und Fachmann für die Soziologie und Geschichte des Erbrechts. Herzlich Willkommen, Herr Beckert!

Jens Beckert: Guten Tag!

Mangel: Flügelhemden für bedürftige Damen – das ist ja fast noch ein rührendes Beispiel, aber wo wird denn für Sie der über den Tod hinaus unabänderliche Wille des Stifters wirklich zum Problem?

Beckert: Die Problematik beginnt darin, dass Stiftungszwecke natürlich immer Ausdruck ihrer Zeit sind und insofern zeitgebunden sind. Stiftungen auf der anderen Seite sind gedacht für die Ewigkeit, und aus dieser Problematik kommen diese skurrilen Beispiele, die Sie jetzt genannt haben. Sie zeigen auf, dass es eine Veränderung der sozialen und politischen Situation gegeben hat, die eben der Stifter selbst beim besten Willen nicht vorhersehen kann. Dahinter steckt eine größere Problematik, nämlich, inwieweit wir es über das Stiftungsrecht zulassen, dass die tote Hand, also der Wille längst verstorbener Personen, unsere heutige Zeit bestimmt.

Mangel: Ich würde gerne noch mal ein anderes Beispiel von eben aufgreifen, wo der Stifter explizit anarchistische und sozialistische Bedürftige von seiner Wohltätigkeit ausschließt. Das heißt also, das Stiftungsrecht erlaubt dem Stifter, die Nachgeborenen quasi auf sein Weltbild zu verpflichten.

Beckert: Also zunächst einmal ist jeder Stiftungszweck legitim, solange er nicht dem Allgemeinwohl widerspricht. Also will sagen, Sie können keine verfassungswidrigen Ziele mit einem Stiftungszweck verfolgen. Aber sie sind in einer Stiftung nicht daran gebunden, etwa den Grundlagen des Gleichstellungsgesetzes zu folgen.

Mangel: Aber ist es nicht völlig legitim, dass ein Stifter bestimmen will, was auch nach seinem Tod mit seinem Geld geschieht?

Beckert: Also ich denke, dass man da sehr genau hinschauen muss. Auf der einen Seite werden Stiftungen ja heute sehr positiv beurteilt, weil sie betrachtet werden als eine Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement beziehungsweise der Zivilgesellschaft. Stiftungen sind insofern ein wichtiger Bestandteil, ein wichtiges Fundament der Demokratie. Gleichzeitig muss man jetzt aber eben genau die Frage stellen, die ich schon eben angedeutet habe: Inwieweit sollen die Toten über die Geschicke der Lebenden bestimmen können?

Mangel: Und wie weit sollen sie?

Beckert: Nun, ich denke, dass hier der Wunsch des Stifters beziehungsweise des Erblassers nicht alleine Ausschlag geben kann. Und da will ich gerne ein wenig historisch zurückgreifen: In der Aufklärung wurde genau diese Frage der Macht der toten Hand sehr explizit thematisiert, und hier wurde argumentiert: Es muss das Recht der Lebenden geben, nicht durch die Bestimmungen von vorangegangenen Generationen gebunden zu sein. Das ist dann in der Aufklärung Teil einer Vorstellung von individualistischer und dem Freiheitsgedanken verbundener Sozialordnung gewesen. Ganz programmatisch ist das zum Ausdruck gekommen in dem Diktum von Thomas Jefferson, dem amerikanischen Präsidenten, der gesagt hat: Über die Früchte der Erde entscheiden die Heutigen, also eben genau nicht die tote Hand, also nicht nur bei gemeinnützigen Stiftungen, sondern denken Sie etwa Familienstiftungen, bei denen die Erträge aus dem Stiftungskapital eben der Familie zugutekommen. Und darin kann man ja schon auch eine Form der Gängelung der Kinder, der Familienangehörigen sehen, die eben dann nicht frei über ihr Erbe verfügen können, sondern nur im Rahmen dessen, was der Erblasser festgelegt hat, und zwar dann – und solche Konstruktionen lassen sich juristisch machen – quasi auf Ewigkeit.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit Jens Beckert, dem Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, über die Macht der toten Hand, die Gestaltungsmacht also, die das Stiftungswesen den Stiftern über ihren Tod hinaus einräumt. Herr Beckert, Sie haben das ja zurückverfolgt. Was steckt denn grundsätzlich eigentlich hinter dieser ja eigentlich auch paternalistischen Haltung des Stifters? Ist das auch so ein Misstrauen allen staatlichen Institutionen gegenüber?

Beckert: Also das ist sicherlich ein Aspekt. Zunächst einmal denke ich schon, dass Stifter also in der Regel von dem Wunsch getrieben sind, also wenn es um gemeinnützige Stiftungen geht, etwas Gutes für das Allgemeinwohl zu tun, und sicherlich auch auf der eher dann egoistischen Ebene, dass mit Stiftungen der Wunsch nach eigener Unsterblichkeit zum Ausdruck kommt, also die eigene Person soll qua der Stiftung in der Nachwelt präsent bleiben. Aber es lässt sich eben auch der Aspekt finden, den Sie genannt haben. Und einer der berühmtesten Stifter, ein Amerikaner, nämlich Andrew Carnegie, der am Ende des 19. Jahrhunderts der reichste Mann Amerikas war – der hatte sein Geld in Stahl- und Eisenwarenindustrie gemacht und hatte sein Vermögen dann gemeinnützigen Stiftungen überlassen –, Carnegie hat sich ganz stark ausgesprochen gegen die Vererbung in der Familie. Dahinter steht eine Orientierung am Leistungsprinzip, also die Kinder sollen bitte schön auch durch die Anstrengungen gehen und nicht in ein gemachtes Nest fallen, und sicherlich bei Carnegie auch: Er wollte das Gemeinwohl fördern. Und gleichzeitig lässt sich bei Carnegie eine ganz stark elitistische und undemokratische Einstellung beobachten, denn was Carnegie gesagt hat, ist, also sein großer geschäftlicher Erfolg, das sei ein Zeichen Gottes, das seine Auserwähltheit zeigen würde, und daraus hat er dann geschlossen, dass auch nur er wissen kann, wie sein Geld am besten dem Gemeinwohl dienen kann. Und deshalb also hat er das Geld nicht etwa dem Staat gemacht und damit der Verfügung der demokratischen Institutionen, sondern eben Stiftungen, bei denen er den Stiftungszweck selbst festlegen konnte.

Mangel: Wie sollte das Stiftungswesen denn jetzt Ihrer Meinung nach verändert werden?

Beckert: Also was ich denke, ist zunächst einmal, dass Familienstiftungen und andere Formen von dauerhafter Bindung von Eigentum durch die tote Hand viel stärker begrenzt werden müsste.

Mangel: Wie zum Beispiel?

Beckert: Also zum Beispiel, indem Familienstiftungen nicht mehr so konstruiert werden können, dass sie quasi unbeschränkt in die Zukunft hinein Festlegungen machen können, sondern dass sie nach einer bestimmten Zeit von 30 Jahren etwa dann das gebundene Vermögen an Erben freigeben müssen. Das ist etwas, was in einer ganz langen Tradition der Kritik an Eigentumsbindung, ja von fideikommisse, bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein steht. Und ein zweiter Vorschlag wäre, dass man auch bei den gemeinnützigen Stiftungen dazu übergeht, eher Verbrauchsstiftungen zu gründen, also Stiftungen, bei denen auch das Stiftungskapital nach einem bestimmten Zeitraum von 30 Jahren aufgebraucht sein muss, sodass dann eben neue Verfügungen getroffen werden können.

Mangel: Man müsste aber nicht Gemeinnützigkeit grundsätzlich ganz anders definieren dann?

Beckert: Ich denke, dass es ungeheuer schwierig ist, Gemeinnützigkeit allgemein zu formulieren, eben aus den Gründen, über die wir am Anfang des Gespräches gesprochen haben, dass Stiftungszwecke immer an die Zeit gebunden sind und eben Gesellschaft sich wandelt.

Mangel: Jens Beckert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln über die Macht der Stifter über ihren Tod hinaus. Danke schön fürs Gespräch!

Beckert: Bitte schön!

Links bei dradio.de:

Stiftungen und ihr "Sympathievorschuss" - Notar Peter Rawert: Stiftungen nicht immer Garant für Gemeinnutz

"Fünfstellig sollte es schon sein" - Stiftungsberater über Startkapital, Engagement und Sinnstiftung

Die Reihe "Wenn Bürger stiften gehen" hören Sie vom 3. bis 7. Januar um 11.07 Uhr im Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur.
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