Die Losreißung des Morton Feldman

„Klänge um Nichts“

34:15 Minuten
Der Komponist sitzt mit seinem für ihn typischen Hut und raucht.
Der Komponist mit seinem für ihn typischen Hut, rauchend. © Edition Peters Group
Von Peter Knopp · 31.01.2020
Der amerikanische Komponist Morton Feldman stellte sich radikal gegen das System-Denken in der Kunst. In seinen Schriften bezieht er sich dabei unter anderem auf den Philosophen Sören Kierkegaard.
Der amerikanische Komponist Morton Feldman (1926-1987) gehörte zum musikalischen Avantgarde-Zirkel um John Cage. Anders als so manch amerikanischer Kollege, kannte sich Feldman in der europäischen Kunst und Kultur ungewöhnlich gut aus. Seine Familie war aus der Ukraine in die USA eingewandert. Ab 1944 studierte er bei dem - über Palästina in die USA emigrierten - Berliner Komponisten Stefan Wolpe. 1950 begegnete Morton Feldman in New York John Cage, der ihn ermutigte, neben seinem Brotberuf weiter zu komponieren und ihm ein guter Freund wurde.

Gegen das Denken in Systemen

Morton Feldman stellte sich radikal gegen das System-Denken in der Kunst. In seinen Schriften bezieht er sich dabei unter anderem auf den Philosophen Sören Kierkegaard, der seinerzeit ebenso entschieden gegen das System-Denken Hegels polemisiert hatte.
Feldman suchte mit seiner Musik einen ganz eigenen, keinem System verpflichteten Weg. Viel interessanter als die ästhetischen Glaubenssätze seiner komponierenden Vorgänger und Zeitgenossen fand er die ergebnisoffenen Prozesse, mit denen einige Maler experimentierten, die man heute zum "abstrakten Expressionismus" zählt: Mark Rothko und Jackson Pollock.
Zwei Besucher gehen in einem Museum auf ein rot gestreiftes Bild zu.
2019 wurde Mark Rothkos Untitled (1960) vom San Francisco Museum of Modern Art über Sotheby's verkauft.© www.imago-images.de
Der 1926 in New York geborene Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine, die in der neuen amerikanischen Heimat eine kleine Textilfirma betrieben, arbeitete zunächst für eine Zeit in der familiären Firma, zeigte aber dann ein besonderes Interesse für Musik. Das Klavier ist ihm zunächst ein natürliches Kinderspielzeug, später wird es etwas ernster behandelt, indem er einen anfänglichen Klavierunterricht erhält.

Inspiration aus Dichtung und Malerei

Bei Stefan Wolpe, dem aus Deutschland emigrierten Komponisten beginnt ein anhaltendes ernsthaftes Studium und Feldman setzt sich besonders mit den Kompositionstechniken der europäischen Moderne auseinander. Gelegentlich nimmt er bei seinen Kompositionsversuchen auch Bezug auf die Dichtung und streift dabei so unterschiedliche Poeten wie Emily Dickinson, Rilke und sogar Céline.
Entscheidend und substantiell für seinen Weg werden indessen die Bekanntschaften und Freundschaften mit Malern wie Mark Rothko, Jackson Pollock und Philip Guston.

Loslösung von der europäischen Avantgarde

Allen voran aber stand die im Jahr 1950 beginnende lebenslange Freundschaft mit John Cage und mit dem Pianisten David Tudor. In der Folgezeit erlebt man bei Feldman einen vehementen Loslösungsprozess - eine Losreißung von den Kompositionsmethoden der vornehmlich europäischen Avantgarde, insbesondere von Boulez und Stockhausen, denen er dennoch persönlich kollegial verbunden bleibt.
Der Komponist Jhält mit beiden Händen ein schwarz-weiß Foto in Kopfhöhe und lacht.
Der US-amerikanische Komponist John Cage (1912 – 1992) zeigt ein Foto von sich aus den frühen 80er-Jahren.© imago/Leemage
Schon um 1950 begann er mit graphischen Partituren, bediente sich aber gleichzeitig noch anderer Notationsweisen, die später auch miteinander kombiniert wurden. In den beginnenden 1970-er Jahren gab Feldman die graphische Notation wieder auf. Seine zunehmende Erfahrung war, dass verschiedene Freiheiten, die des Komponisten und die der oft klassisch-konventionell geprägten ausführenden Musiker, sich ganz ungewollt behindern können.
Die sich so behindernden Freiheiten verzerrten das vom Komponisten geschaffene Werk. Feldman kehrt zu tradierten und exakten Bezeichnungsweisen zurück, in denen auch Tonhöhe, Tondauer, Artikulation und Dynamik genau festgelegt sind.

Der Amateur und die Profis

Tatsächlich hielt sich die Bekanntheit und Anerkennung Feldmans lange in engen Grenzen. Er hatte kein Publikum in einer Zeit, in der andere, avancierte Komponisten über viele Jahre hinweg die musikalische Ästhetik bestimmten und den herrschenden Ton angaben, an dem sich das Publikum orientierte.
Hinzu kam, dass auch die ihm freundlich gesinnten Komponisten der aktuellen Moderne ihn vornehmlich als "Amateur" ansahen und es ihm auf indirekte, aber eindeutige Weise auch zu verstehen gaben. Scheinbar meinten Boulez und andere nur Ives und Varèse, wenn sie über "Amateure" sprachen, aber Feldman und seine Kollegen Earl Brown und Christian Wolff waren deutlich mit gemeint. Feldman hat sich gewehrt so gut und so polemisch er konnte.

"Klänge sollen atmen

"Ich glaube, dass ich mich als Person dem Klang unterordne … ich höre meinen Klängen zu und schreibe ihnen nicht vor, wie sie zu wirken haben … Klänge sollen atmen … sie sollen nicht für eine bestimmte Idee benutzt werden."
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