Die Lobby wählt mit

Von Peter Frei |
Die Empfehlung des Bundeskanzlers für Neuwahlen hat diesen Sommer vielen einen Strich durch ihre Urlaubsplanung gemacht. Parteifunktionäre und Kandidaten, Werbeagenturen und Medien, aber auch Interessenvertreter, die Lobbyisten, mussten auf Höchsteinsatz umschalten. Niemand wird sich darauf verlassen wollen, dass das Bundesverfassungsgericht die Wahl doch noch stoppt.
So vergeht kein Tag, an dem sich nicht Interessenverbände zu Wort melden mit Wahlprüfsteinen, also mit ihren verbandsbetonten Anforderungen an Wahlprogramme. Das ist völlig legitim, solange die Lobbyisten nicht Abgeordnete oder Kandidaten auf die Gehaltsliste ihrer Verbände setzen, bezahlt womöglich aus der Schwarzen Kasse. Die Geschäftsordnung des Bundestages lässt die Mitwirkung von Interessenverbänden bei der Gesetzgebungs- und Ausschussarbeit ausdrücklich zu. Beim Bundestagspräsidenten wird eine sogenannte Lobbyisten-Liste geführt.

Jetzt also drängeln diese Lobbyisten mit ihren Vorschlägen. Beispiele: Der Deutsche Mieterbund fordert von der künftigen Regierung einen Energiepass zur zuverlässigen Information über Nebenkosten wie Heizgeld.

Der Deutsche Sportbund zusammen mit dem Olympischen Komitee, die auf mehr als 27 Millionen Mitglieder verweisen können, setzen auf eine - wie es heißt - Weiterentwicklung zeitgemäßer Rahmenbedingungen für eine zukunftorientierte Sportentwicklung. Darunter passt fast alles, von Gesundheit bis Doping, vom Vereins- bis zum Lotteriewesen.

DGB-Chef Sommer verzichtet diesmal auf eine Wahlempfehlung zu Gunsten einer Partei, die SPD eingeschlossen. Das ist Lobbyismus - sagen wir - durch Enthaltsamkeit, ein Fremdwort für den Deutschen Bauernverband.

In diesen Tagen fand ich in meinem Briefkasten das neueste Clubmagazin "Motorwelt" des ADAC, des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs, auch ein Interessenverein. Ich bin Mitglied und habe bereits von der Pannenhilfe des Clubs profitiert. Diese Anmerkung, bitte, ist keine Schleichwerbung, damit das klar ist!

In der Augustausgabe des ADAC-Magazins stellt sein Chefredakteur am Anfang erst mal fest, dass die Clubzeitschrift nach der aktuellsten Medienanalyse 19 460 000 Leserinnen und Leser erreiche. Das sei absolute Spitze.

Nach diesem Muskelspiel mit der Leserquote und im Bewusstsein von so viel Reichweite nimmt dann ADAC-Präsident Peter Meyer zur bevorstehenden Bundestagswahl Stellung: Am 18. September entscheiden Sie, liebe Mitglieder (da fühle ich mich angesprochen), entscheiden Sie auch über die Zukunft der Mobilität in Deutschland. Nach dieser Präambel wird er präzise: Keine weitere Kürzung der Pendlerpauschale, runter mit der Ökosteuer und den Unfallopfern, keine Pkw-Maut, Ausbau der Fernstraßen, eine Bemessung der Kfz-Steuer nach Kraftstoffverbrauch.

Weiter hinten im selben Blatt werden solche Forderungen dann Vertretern der SPD, der Union, der Grünen und der FDP zur Stellungnahme vorgehalten. Die Antworten sind erwartungsgemäß. Nur der Vertreter der Grünen riskiert Kopf und Kragen, in dem er für eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene eintritt, weil er die Parole des ADAC "Ihr Partner rund um die Mobilität" vielleicht zu rund auslegt.
Eine Lokomotive ist doch kein Auto, eine Schiene keine Straße, der ADAC kein Eisenbahnerverein, ADAC- Präsident Meyer kein Hartmut Mehdorn und Hartmut Mehdorn kein Brummifahrer.

Der Interessenverein ADAC zählt nicht mal die Busse des Öffentlichen Personennahverkehrs zu seiner engeren Klientel. Man versteht sich als Lobby der Autofahrer im Individualverkehr, am Rande auch noch der Autoindustrie und des Straßenbaus soweit sie diesem Autofahrer im Individualverkehr dienen.

Das Problem ist, dass sich der Kandidat oder Abgeordnete, der Mobilität so umfassend versteht, wie es der Bürger von ihm erwartet , gegen die interessenbestimmte Propagandamaschine einer so einflussreichen Lobby mit millionenfacher Reichweite durchsetzen muss. Dazu gehören Stehvermögen und Mut zum Risiko, im Ernstfall ein paar entscheidende Wählerstimmen zu verlieren. Dort, wo den Interessen der Verbände nachgegeben wird, wählt die Lobby mit. Die Akteure der Gesundheitsreform, ständig belagert von Interessenvertretern, der Krankenversicherungen, der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Pharmaindustrie, haben einschlägige Erfahrungen.


Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.