Die Lieblingsfarbe der Künstler

19.09.2013
Wer im alten Rom blaue Augen hatte, litt unter einem Schönheitsfehler, die Expressionisten hingegen ließen die Farbe in Bilderserien regelrecht hochleben. Michel Pastoureau schreibt in "Blau - Die Geschichte einer Farbe" detailreich und elegant über ein bisher wenig bekanntes Terrain.
"Der blaue Reiter", die "blaue Blume", Rhythm & Blues: wie in der Malerei des Expressionismus, der romantischen Poesie oder dem Basso continuo der Popmusik hat die Farbe Blau in der Kunst seit jeher Konjunktur. Denkt man. Weit gefehlt, wie der Historiker Michel Pastoureau in seiner kenntnisreichen Studie nachweist.

Außerdem, so seine schlüssig entwickelte These, sind Farben, wie wir sie wahrnehmen, kein natürliches, sondern ein kulturelles Phänomen und damit in ihrem Symbolgehalt einem steten Wandel unterworfen. Wobei die Kunst die Rolle des willfährigen, doch gleichermaßen eigensinnigen Handlangers spielt, der durchaus auch den Takt vorzugeben vermag.

Auf den Spuren der Farbe Blau durchmisst Pastoureau die Geschichte in Riesenschritten, vom Neolithikum bis in die Gegenwart, von der Felsenmalerei der Vorzeit, die überhaupt kein Blau kennt, weil man damals diese Farbe nicht herstellen konnte, bis zur Antike, wo - auch aus färbetechnischen Gründen - die Trias von Schwarz-Weiß-Rot vorherrschte. Blau hatte im Alten Rom einen solch schlechten Ruf, dass unter einem Schönheitsfehler litt, wer blauäugig war.

Erst im frühen Mittelalter vollzog sich die kopernikanische Wende. Vorbereitet durch theologische Diskurse, aber auch dank der Entdeckung des aus Indien importierten Indigos für westliche Märkte, wurde Blau zum Kennzeichen der Gottesmutter Maria. Von nun kommen weder die liturgische, noch die weltliche Symbolsprache ohne diese Farbe aus, als Merkmal für Herrschaft und Repräsentation.

Der Mittelalterspezialist Pastoureau, der sich neben der Geschichte der Farben in zahlreichen Veröffentlichungen mit dem allegorischen Gehalt von Tierdarstellungen beschäftigte, verfolgt diesen Siegeszug nicht nur in Zeugnissen der Kunst, auf Gemälden, Skulpturen und den Artusromanen etwa. Er spürt dem Wandel des Symbolgehalts der Farbe Blau, die er stets in Konkurrenz mit Grün, Rot oder Schwarz ausleuchtet, auch in Gebrauchstexten nach.

In Färbeanleitungen zum Beispiel, die er ebenso präzise liest und ausdeutet wie ein höfisches Liebesgedicht, oder die Philippika der Reformatoren gegen Ausschweifung und Luxus. Als dem Blau seither zugeordnete Eigenschaften macht er Freude, Liebe, Loyalität, Frieden und Trost aus, Charaktermerkmale, die seither in der westlichen Welt mit allem, was blau ist, assoziiert werden.

Ausführlich dargestellt wird, wie sie zur Lieblingsfarbe der Künstler wurde, zur Farbe par excellence: Mit den Romantikern, mit den Revolutionären in Amerika und Frankreich steht sie für Licht, Träume und freiheitliche Gedanken, für den Fortschritt schlechthin. Da scheint es nur konsequent, dass sie heute den beruhigenden Wappenhimmel hinter dem Gewimmel von EU-Sternen bildet und mit den Helmen die friedensstiftende Mission der UN-Truppen weithin sichtbar signalisiert.

Eine Enzyklopädie der Farbe Blau ist das schmale Buch nicht. Aber eine überaus gelehrte Studie, die detailreich und elegant formuliert, zuverlässig durch ein bislang wenig bekanntes Terrain führt - und ganz nebenbei eine kampflustige Offensive gegen jede Art von esoterischer Küchenpsychologie, die noch jeder Farbe bisher den Geist ausgetrieben hat.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Michel Pastoureau, Blau. Die Geschichte einer Farbe
Aus dem Französischen von Antoinette Gittinger
Wagenbach-Verlag, Berlin 2013
160 Seiten, 10,90 Euro
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