Die Leere des Theaterbetriebs

Von Christian Gampert · 22.03.2012
Dass das Theater sich immer mehr beim Film und bei der Literatur bedient, zeigt seine Schwäche. So wie bei der Inszenierung eines Romans von David Foster Wallace in München. Hier wird ein 1500 Seiten starkes Buch in zwei Stunden verramscht, meint unser Rezensent.
Und sehet, die Erde war wüst und leer ... Besonders in Amerika ist sie wüst und leer, muss man hinzufügen, wenn man David Foster Wallace liest. Aber das biblische Zitat, mit dem die Münchner Aufführung beginnt, führt uns dann leider nicht in die Tiefe der amerikanischen Nacht, in den Abgrund aus Leistungssport und Drogensucht, aus Depression und Größenwahn, den Foster Wallace in seinem ebenfalls leicht überkandidelten Roman aufmacht.

Sondern sie führt uns eher in den Wahn des bundesdeutschen Stadttheaters, das sich alles, was sich bewegt und nicht beizeiten auf den Bäumen ist, unter den Nagel reißen und vermantschen und verramschen muss.

Dass das Theater sich immer mehr beim Film und bei der Literatur bedient, zeigt nur seine eigene Schwäche. Das Drama war einst, früher, damals, als alles auch nicht wirklich gut war, die Kunst des Dialogs und der Charakterzeichnung.

Heute ist das Theater Tempel tumber Selbstdarsteller, Experten des Alltags und Schauspieldilettanten, die Textflächen runterleiern und ab und zu Tobsuchtsanfälle bekommen. 1500 Seiten in zwei Stunden - bitte, zu Gnaden: ein Roman ist ein Roman, und so ein Münchner Volkstheaterchen mit Vorgarten ist nur ein Selbstfindungs-Örtchen für die lokale Szene.

Unglaublich schwache Jungschauspieler dürfen sich hier auf der Bühne ausagieren oder bedeutungsvoll rumstehen, mitten in München, und keiner sagt was, denn das Stück heißt "Unendlicher Spaß", und so wird es von manch glucksender Nebensitzerin auch genommen.

Foster Wallace’s überbordender, sprachsprühender, zwischen Wissenschaft und Gosse, totaler Weltverneinung und Sehnsucht nach Nähe hin- und hertaumelnder Roman ist einfach das falsche Objekt für das Selbstmarketing aufstrebender In-Groups.

Die Regisseurin Bettina Bruinier, der man eigentlich mehr Feingefühl zugetraut hätte, nimmt über weite Strecken nur die "Enfield Tennis Academy", das Tennis-Hochleistungszentrum des Romans, und inszeniert ein bisschen kaputtes amerikanisches Familiengeplänkel, Klischees aus der Mottenkiste.

Mutti eine eitle Schickse, Vatter ein gescheiterter Filmregisseur. Dass Foster Wallace die Medienkultur als Albtraum begreift, an dem wir alle sterben werden, wird hier mit fröhlicher Unschuld ignoriert: die Figuren von Bruinier stammen alle aus der Familienserie. Und da der Hochleistungssport – als Metapher für die Konkurrenzgesellschaft - uns alle in die Drogensucht, mindestens aber ins Doping treiben wird, gibt’s in München auch ein bisschen schicke Tennis-Gymnastik ...

Und so geht’s dann hurtig weiter, von der Familientafel in die Drogenklinik, wo der Sozialarbeiter Gately aufopferungsvoll wirkt und manchmal, einmal, auch jenen Sturm der Worte im überlasteten Kopf spürt, den der manische Foster Wallace uns Lesern zumuten möchte – ein rarer Moment der Wahrheit in einer Welt inszenatorischer Ödnis; Oliver Möller hat da einen großen Auftritt.

Aber Foster Wallace’s Mischung aus Überdrehtheit und Trauer, seine Methode der ständigen Querverweise, Fußnoten, Selbstbefragungen, seine Wortneuschöpfungen und Wissenschafts-Extasen, seine tödliche Unterhaltsamkeit und sprachliche Hyperaktivität – all das wird nicht einmal angedeutet.

Die Leere, die Kommunikationslosigkeit zwischen Vater und Sohn, die zum spektakulären Selbstmord des Vaters führt – als Thema kaum vorhanden. Stattdessen dumme Akustik-Comics, krachende, knackende Knochenbrüche, als die sogenannten kanadischen Separatisten kommen, die sich den Underground-Film des toten Vaters beschaffen wollen, um die Menschheit damit vollends zu verblöden.

Das Ensemble ist radikal zu jung, und das Staatstheater ist hier nur die Fortsetzung des Schülertheaters mit mehr finanziellen Mitteln. Die Inszenierung von Bettina Bruinier sieht sich an, als habe jemand Beethovens Neunte für ein Blockflöten-Ensemble umgeschrieben.

So kann’s gehen, wenn man partout im Gespräch sein will mit einer sogenannten Uraufführung – der "Unendliche Spaß" zeigte nicht die Leere der amerikanischen Kapitalkultur, sondern die Leere des Theaterbetriebs. "Kein Innenlebengefühl" sagt Foster Wallace. Da hat er recht.
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