Die Kultur-Toten von 2020

Wen wir vermissen werden

08:04 Minuten
Drei welke Sonnenblumenblüten vor schwarzem Hintergrund.
Sean Connery, Chadwick Boseman, Ennio Morricone - die Toten des Jahres 2020 werden Lücken hinterlassen. © Getty Images / Westend61
Von Stefan Keim · 30.12.2020
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Vor allem die Filmwelt hatte im ablaufenden Jahr viele Tote zu beklagen. Von Sean Connery über Michel Piccoli und Max von Sydow zu Kirk Douglas, Ennio Morricone und Terry Jones ehrt unser Nachruf die Kulturschaffenden, die uns nun fehlen.
Für viele war er der einzig wahre Bond, nicht nur der erste. Sean Connery verkörperte den Agenten mit einer gefährlichen, raubtierhaften Energie, die von Intelligenz und Humor nur mühsam im Zaum gehalten wurde. Ein Actionheld und Sexsymbol.
Sean Connery war auch der Vater von Indiana Jones, Mönch William in der Umberto-Eco-Verfilmung "Der Name der Rose" und charismatischer Hauptdarsteller in vielen Thrillern. Dass sein Haar immer lichter wurde und er das nur in seinem James-Bond-Revival "Sag niemals nie" unter einem Toupet versteckte, machte ihn noch vielschichtiger. Leidenschaftlich trat er für die Unabhängigkeit Schottlands ein und hätte demnächst in dieser Hinsicht viel zu tun. Doch er starb im Alter von 90 Jahren.

Morricone und Little Richard

Darüber: Die Filmbranche verlor 2020 viele Persönlichkeiten. Wobei Ennio Morricone mehr komponierte als Soundtracks. Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und John Cage beeinflussten seine Arbeiten für den Konzertsaal. Doch die pathetischen, wuchtigen Melodien und harten Rhythmen prägten die Filme von Sergio Leone, das Genre des Italo-Western und die Hörgewohnheiten einer ganzen Generation von Kinogängern.
Little Richard war mit seinen kraftvollen Songs und Pianosoli eine Legende des Rock’n’Roll. Er starb ebenso wie Peter Green, der Gründer der einfluss- und erfolgreichen Band Fleetwood Mac, und Rockgitarrist Eddie van Halen. Doch zurück zum Film.

Chadwick Boseman starb an Krebs

"Black Panther" ist ein Superheldenabenteuer auf der Höhe der Zeit. Ein schwarzer Held, starke Frauenrollen, die Geschichte eines selbstbewussten, starken Afrika. Die Hauptrolle spielte Chadwick Boseman, der die Bedeutung des Films und seiner Rolle für die Schwarzen in den USA genau reflektierte. Tief bewegt erzählte er von zwei todgeweihten krebskranken Jungs, von Ian und Taylor, die unbedingt noch "Black Panther" sehen wollten: "What they said to me they are going to hold on till this movie comes." Mit 43 Jahren starb Chadwick Boseman selbst an Darmkrebs, am Beginn einer riesigen Karriere.
Dem Tod mehrmals von der Schippe gesprungen ist hingegen Kirk Douglas. In vielen Filmen spielt er den Draufgänger mit Herz. Es bleibt unvergessen, wie er 1998 drei Jahre nach einem schweren Schlaganfall 82-jährig den Ehrenoscar für sein Lebenswerk entgegennahm. Man hörte noch die Nachwirkungen in der etwas schleppenden Sprache. Kirk Douglas drehte noch einige Filme. Im Februar ist er gestorben, er wurde 103 Jahre alt.

Irm Hermann: Karriere nach Fassbinder

Olivia de Havilland, die bereits in "Vom Winde verweht" mitspielte, wurde sogar 104. Der Schwede Max von Sydow starb im Alter von 90 Jahren und drehte 70 Jahre lang Filme. Das französische Kino verlor mit Michel Piccoli und Claude Brasseur ebenfalls zwei Legenden. Diana Rigg revolutionierte als Emma Peel in "Mit Schirm, Charme und Melone" das Frauenbild in Fernsehkrimis der 60er-Jahre und spielte danach vor allem Theater.
Auf Bühne und Leinwand war auch die wunderbare Irm Hermann zu Hause. Die Abgründe bürgerlicher Damen zu erforschen, war die Spezialität von Irm Hermann. Doch sie konnte auch proletarisch-direkt sein wie in ihren Filmen mit dem Regisseur und Schauspieler Rainer Werner Fassbinder, mit dem sie einige Jahre zusammenlebte.
"Also ich hab da jetzt nicht an Film und Karriere gedacht, bei Gott nicht, sondern dieser Mensch, der war’s", sagte sie. Rechtzeitig sagte sich Irm Hermann vom großen Künstler und Menschenquäler Fassbinder los, drehte mit Loriot und Christoph Schlingensief, und ließ ihr kühles Feuer auch im Theater lodern.

John le Carré und Günther de Bruyn

Jürgen Holtz war ein großer Sprachkünstler, Michael Gwisdek erst ein Protagonist des DDR-Kinos, dann spielte er in vielen Filmen, die sich mit der Zeitgeschichte beschäftigten. Otto Mellies, Dieter Laser, Barbara Rütting und Volker Spengler waren ebenfalls unvergessliche Charaktere auf der Bühne und im Film. Günter de Bruyn schrieb autobiografisch geprägte Romane, kämpfte gegen die Zensur in der DDR und lehnte 1988 den Nationalpreis ab, ein selbstkritischer Begleiter seiner Zeit.
John le Carré goss kritische Gedanken in die Form des Spionageromans und schöpfte aus seiner eigenen Arbeit als britischer Agent. Rolf Hochhuth arbeitete sich in seinen dokumentarischen Theaterstücken an der Nazi-Vergangenheit ab und fragte nach den Folgen für die Gegenwart. Gudrun Pausewang behandelte in ihren Büchern aktuelle Themen, in "Die Wolke" ging es um die Opfer eines Super-GAUs im Kernkraftwerk. Und Carlos Ruiz Zafón begeisterte Millionen mit seinen Romanen um den Friedhof der vergessenen Bücher in Barcelona.

Herbert Feuerstein und Uli Stein

Große Verluste gab es auch bei den komischen Künsten. Wie zum Beispiel Herbert Feuerstein.
"Ich will nicht lang drum rum reden, ich bin jetzt tot, und Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, werden es eines Tages auch sein. Spätestens dann sind wir quitt und vorher will ich Sie noch einmal 115 Minuten lang unterhalten."
Als Feuerstein seine Autobiographie "Die neun Leben des Herrn F." geschrieben hatte, dachte er sich, kein anderer sei so kompetent wie er, um seinen Nachruf zu verfassen. Also produzierte er eine knapp zweistündige Radiosendung, die nach seinem Tod ausgestrahlt werden sollte – und ließ sich dabei von einem Filmteam begleiten. Das Sendedatum konnte und wollte er nicht wissen, im Oktober war es dann so weit.
Karl Dall kam aus dem Anarcho-Kabarett der 68er-Szene, Fips Asmussen pflegte den ungepflegten Herrenwitz und füllte bis zu seinem Tod die Hallen. Uli Stein war ein Großmeister des Cartoons, und die Fans der epochalen Gruppe Monty Python trauern um Terry Jones. Niemand konnte so überzeugend hysterische Ladies spielen, zum Beispiel die Mutter des Nicht-Heilands in der Bibelfilmparodie "Das Leben des Brian".
Terry Jones war die Definition des anarchischen Humors. Wenn er nun hier am Mikrofon säße und versuchen würde, an die Toten des Jahres zu erinnern, würde er nach einigen Sätzen bestimmt von einem 16 Tonnen schweren Gewicht erschlll...
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