Die Krise des Kinos

Ein Sommer ohne Blockbuster

06:26 Minuten
Ein Mann sitzt ganz alleine in einem Kinosaal mit roten Sesseln.
Viele Kinos sind seit der Wiedereröffnung nicht mehr gut besucht. © EyeEm / Altan Can
Tobi Müller im Gespräch mit Alexander Moritz  · 22.07.2020
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Wie ein "Brandbeschleuniger" wirke die Coronapandemie, wenn man auf die Krise des Kinos blicke, sagt Kulturjournalist Tobi Müller. Er glaubt, dass sich eine Debatte über die deutsche Subventionskultur nicht mehr aufschieben lässt.
Seit einigen Wochen dürfen die Kinos wieder öffnen. Aber mit den Hygieneregeln sind die Besucherzahlen so gering, dass es sich für viele Häuser nicht lohnt, den Betrieb wieder aufzunehmen. Am letzten Wochenende waren 300.000 Leute im Kino, das sind oft nur 45 Besucher in einer Vorstellung.

Neues Nachdenken über Kultur

Das Kino sei schon länger in der Krise, sagt unser Studiogast, der Kulturjournalist Tobi Müller. Die Coronakrise wirke da wie ein "Brandbeschleuniger", aber das gelte nicht nur für die Filmbranche. "Man muss damit rechnen, dass ganz viele Institutionen, auch Kinos, schließen müssen", sagt Müller.
Deshalb müsse über die Ressourcenverteilung in der Kultur ganz neu nachgedacht werden. "Das sind Dinge, vor denen man sehr große Angst hatte in Deutschland, wo wir natürlich eine sehr hohe Subventionskultur haben." Diese begünstige einige Künste, aber nicht alle. Obwohl er ein Theaterfreund sei, glaube er, dass sich dieser Kampf jetzt nicht mehr viel länger verschieben lasse.
Porträt von Tobi Müller, schweizer Journalist, Autor, Dramaturg und Moderator. Hier in seiner Wohnung in Berlin, Prenzlauer Berg, 2013.
Der Kulturjournalist Tobi Müller glaubt nicht an den Tod des Kinos. © laif / Wolfgang Stahr
Es gebe in Deutschland rund 1700 Kinos, von denen nur etwa die Hälfte geöffnet seien, ergänzt unser Kinoredakteur Patrick Wellinski. "Die meisten Menschen sagen, sie würden gerne mal wieder ins Kino gehen, aber um die Ecke ist das Kino geschlossen."

Neue Filme fehlen

Eine Umfrage zeige, dass rund ein Drittel der Menschen sage, dass es aktuell keine gute Filmauswahl gebe und sie deshalb nicht gingen. "Das liegt daran, dass die Verleiher sich nicht trauen, die großen Filme herauszubringen." So werde beispielsweise der deutsche Film von Sönke Wortmann "Contra" zurückgehalten, weil man Angst habe, dass er das Geld bei den geringen Zuschauerzahlen nicht wieder einspiele.
Es zeige sich gerade auch, wie stark das europäische Kino von den Blockbustern aus den USA abhängig sei, sagt Wellinski. Es sei das erste Jahr seit 1976, in dem es keinen US-Blockbuster im Sommer gebe. "Alle Verleiher und Kinobesitzer sagen, wir brauchen einen Film, um den herum sich dann die anderen Filme gruppieren, weil die Menschen so eine Art Zugpferd brauchen."

Nur eine Unterbrechung

Leider könne man nicht sagen, wann die Coronakrise vorbei sei, sagt Müller. Aber die Sehnsucht nach Versammlung werde danach so gigantisch sein, dass man diese Räume natürlich wieder aufmachen werde. Er glaube deshalb nicht an den Tod des Kinos, sondern nur an eine Unterbrechung. Umso wichtiger sei es zu debattieren, welche Kultur es wert sei, unterstützt zu werden. "Und dann müssen wir die Gelder neu verteilen", so Müller.
(gem)

Tobi Müller ist Kulturjournalist und Autor mit Schweizer Wurzeln. Seine Themen sind Pop und Theater, Kulturpolitik und Digitalisierung. Müller schreibt unter anderem für den "Spiegel" und die "Zeit" und ist als Rezensent für Deutschlandfunk Kultur tätig.

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