Die Kopfgeburt Angst

12.05.2009
In seinem Werk geht es dem Philosophie-Professor Klaus-Jürgen Grün darum, Ängste abzubauen. Er rät, den lähmenden Teil der Furcht zu verbannen und deren produktive Komponenten zu nutzten. Für einen starken Phobiker dürfte das nicht mehr als ein von allzu leichter Hand dahergesagter Ratschlag sein.
Klaus-Jürgen Grün hat ein philosophisches Sachbuch vorgelegt, das mit leichter Hand zwischen verschiedenen Gattungen hin- und herschaltet. Es hat etwas von der philosophisch-historischen Abhandlung, etwas vom spekulativen Sachbuch, etwas vom Ratgeber. Grün versteht sich als philosophisch gebildeten Plauderer und sein Buch als gelehrte Unterhaltung über das vielleicht allgemeinste und tiefsitzendste aller Gefühle: die Angst.

Seinen philosophischen Standpunkt legt Grün ohne Umschweife offen: Neben seinen explizit aufklärerischen Ambitionen steht er in der Frage der Willensfreiheit auf der Seite von Wolf Singer und anderen Hirnforschern, die den Begriff von Freiheit als Voraussetzung menschlichen Handelns durch die Ergebnisse ihrer Untersuchungen für weitgehend widerlegt halten. Überhaupt interessiert ihn die Hirnforschung, und viele einschlägige Beispiele werden genannt, die auch in der Psychologie der Angst eine Rolle spielen. Grüns Blick ist deshalb eher biologisch als klassisch philosophisch. Das schützt ihn davor, Angst zu einer unumgänglichen Grundkonstante der menschlichen Existenz zu stilisieren. Vielmehr geht es ihm darum, wo immer möglich Ängste abzubauen, denn sie ist – das weiß außer dem Autor auch der Volksmund – eine schlechte Ratgeberin.

Klaus-Jürgen Grün verdient sein philosophisches Brot hauptsächlich in der Managementberatung und so darf das Kapitel zur Angst der Manager nicht fehlen. Managern empfiehlt er – wie den übrigen Lesern – die Angst zu sublimieren, deren produktive Komponenten zu nutzen und die lähmenden auszuschalten. Solcher Rat wird denen, die unter hartnäckigen Phobien leiden, vielleicht doch als von zu leichter Hand erteilt vorkommen. Denn gerade die Hirnforschung kann ja zeigen, dass negative Gefühle in unseren mentalen Strukturen so fest verdrahtet sind, dass es mit einem therapeutisch gelenkten Einstellungswechsel gegenüber dem furchtauslösenden Objekt nicht immer getan ist. Bekannt sind Beispiele in denen eine erfolgreich überwundene Spinnenphobie sich später umso hartnäckiger an einen anderen Gegenstand haftet.

Darüber hinaus schildert Grün die subjektive und kollektive Angst als ein Signum unserer Epoche. Terrorismus wäre solch ein diffuses Angstzentrum, die Angst vor Epidemien ein anderes.
Bei allen Ausflügen ins bedeutend Allgemeine bleiben Grüns Überlegungen doch recht eindimensional angesichts eines so reichhaltigen Themas. Hier rächt sich der philosophiekritische Ansatz des Philosophen: Geschätzte 90 Prozent der philosophischen Tradition zum Thema Angst würden für Grün unter das Verdikt "Metaphysik" fallen und damit nur noch als Symptom für mentales Design aussagekräftig sein.

Entstanden ist deshalb kein Standardwerk, nicht einmal eine einschlägige Monographie. Wohl aber ein gelehrtes philosophisches Sachbuch mit Ratgeberqualität.

Rezensiert von Marius Meller

Klaus-Jürgen Grün: Angst. Vom Nutzen eines gefürchteten Gefühls
Aufbau Verlag Berlin 2009
307 Seiten, 22,95 EUR