Die Jasmin-Revolution und ihre politischen Folgen

Von Lisa Steger · 16.04.2011
Die Jasmin-Revolution hat unzählige Tunesier für Politik begeistert. Über 30 Parteien wollen bei den Wahlen im Sommer antreten, viele davon wurden erst jetzt gegründet. Doch auch eine 30Jahre alte Formation tritt an: die islamistische Partei En-Nahda, die lange verboten war. Doch was will die Partei heute?
In der vergangenen Woche war Abdel Fatah Mourou, die Nummer Zwei der Partei zu Besuch in Berlin. Möglicherweise wird er im Sommer als Präsidentschaftskandidat auftreten.

"Gott ist groß." Abdel Fatah Mourou singt und 800 Menschen hören zu. Der 69-jährige Rechtsanwalt aus Tunis hält das Freitagsgebet in der "Neuköllner Begegnungsstätte", einer Moschee arabischer Einwanderer. An diesem Tag sind besonders viele Tunesier gekommen.
Die Neuköllnerin Simone Ben Akari erzählt, ihr tunesischer Ehemann sei Anhänger Mourous. Sollte dieser bei der Präsidentschaftswahl antreten und gewinnen, dann will die junge Familie nach Tunesien zurückkehren.

"Es soll jetzt besser werden, hat meine Schwiegermutter gesagt. Dass der Islam offener gelebt werden kann und dass man da auch Kopftuch tragen kann. Ich liebe mein Kopftuch, und ich lebe nach Sunna und Koran, das ist so."

Abdel Fatah Mourou stellt sich auf die Kanzel und beginnt mit seiner Ansprache. Laut, heftig gestikulierend und temperamentvoll spricht der 69-Jährige. Natürlich geht es um Politik, worum sonst in diesen Tagen?

"Die Regierenden haben behauptet, dass sie unsere Interessen vertreten. Sie haben uns vertreten, ohne dass wir das wollten. Einer hat seine Frau als Nachfolgerin eingesetzt, ein anderer seinen Sohn als Nachfolger benannt. Sie glauben, dass ihre Völker Kinder sind, die nicht selbst entscheiden können."

Ein guter Muslim sei verpflichtet, zur Wahl zu gehen - das gebiete die Verantwortung des einzelnen für die Gemeinschaft. Mourous Appell geht nicht ins Leere: Allein in Berlin gibt es rund 1500 Tunesier. Die meisten haben ihren Pass behalten, also dürfen auch sie im Sommer wählen. Die Tunesier in der Moschee wollen das. Und sie wissen auch schon, wem sie am liebsten ihre Stimme geben würden.

Abdel Fatah Mourou:
"Er ist wirklich ein sehr guter Mann, er hat internationale Erfahrung, er ist Anwalt."

"En Nahda ist eine Partei der Bevölkerung. Ich glaube, er hat auch eine große Chance in Tunesien."

"Ich hoffe, es klappt auch. Diesmal haben sie die Möglichkeit, den wahren Islam zu zeigen, nicht so, wie er in anderen Ländern gezeigt wird. Deshalb ein hundertprozentiges `Ja`"."

Doch würde Abdel Fatah Mourou tatsächlich, wie manche hier hoffen, den Islam in Tunesien stärken? Und wenn ja, wie würde das aussehen? Der 69-Jährige empfängt die Journalisten im Hinterzimmer der Moschee. Er trägt die traditionelle Kopfbedeckung, den roten Fes mit weißem Band, ein bodenlanges violettes Gewand, dazu eine schicke Brille. Mourou lacht, er ist charmant.
Junge Männer sitzen um ihn herum, fotografieren ihn mit ihren Handys. Für sie ist der Strafverteidiger, der während der Diktatur zwei Jahre wegen der Gründung seiner Partei im Gefängnis saß und danach ins Exil gehen musste, so etwas wie ein Star. Frage an Mourou: Wie islamisch ist "En Nahda"?

""Wie Sie wissen, sind wir in einem islamischen Land. Und unsere Bewegung in diesem Land steht in Beziehung zum Islam. Unser Projekt ist wirtschaftlicher und sozialer Natur - mit dem Islam als Wertefundament.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die CDU in Deutschland hat ein katholisches Fundament, sie bleibt aber immer eine politische Partei. Wir haben eine politische Bewegung gegründet, keine Predigerbewegung. Die Bewegung interessiert sich nicht für die Glaubenspraxis der Bürger."

In Tunesiens Schulen und Behörden war das Kopftuch während der Diktatur verboten. Wer es trug, konnte festgenommen werden. Mourou würde das Gesetz ändern, wenn er könnte.

"Der Schleier betrifft das Privatleben einer Frau. Sie hat das Recht zu tragen, was sie will, was sie sich wünscht. Wir Politiker dürfen diese Frau nicht dazu verpflichten, wir dürfen es ihr aber auch nicht verbieten."

Homosexualität ist in Tunesien eine Straftat. Darauf stehen bis zu drei Jahre Haft. Unklar ist, ob eine neue, demokratische Regierung das Verbot beseitigen wird. Wie "En Nahda" dazu steht, will Mourou nicht sagen:

"Die Frage stellt sich in Tunesien nicht. Wenn es auf die Tagesordnung kommt, werden wir dazu eine Meinung haben."

Tunesien hat seit 1956 ein Familienrecht, das ungewöhnlich liberal ist, verglichen mit anderen arabischen und maghrebinischen Staaten. Die Mehrehe ist verboten. Und: Frauen können sich auch gegen den Willen des Mannes scheiden lassen. Daran will auch "En Nahda" nicht rütteln, verspricht Mourou.

"Die Scheidung ist ein Kapitel im Personenstandsrecht, das wir respektieren. Und wir erwarten von den Tunesiern, dass auch sie es respektieren.”"

Modern, weltoffen, tolerant, so zeigt sich Abdel Fatah Mourou in Berlin. Doch sein Chef, der kürzlich aus dem Exil zurückgekehrte Rashid Ghannouchi, schlägt gelegentlich andere Töne an. Den Abfall vom Glauben etwa will er unter Strafe stellen. Davon habe sich sein Chef längst distanziert; so etwas fordern nur noch die Salafisten, die der Al Qaida nahe stehen, sagt Mourou. Mit ihnen will er nicht zusammenarbeiten.

""Die Salafisten sind keine politische Partei. Diese Leute interessieren sich für den Lebenswandel der Menschen. Unser Dialog mit ihnen ist ein religiöser Dialog, der in den Moscheen stattfinden muss."

Mourou rechnet sich gute Chancen aus. Denn viele der neuen Parteien sind klein und schlecht organisiert. "En Nahda" dagegen hat eine stabile Basis. Zum Beispiel in den Moscheen. Und sie hat ihn, Abdel Fatah Mourou. Der 69-Jährige verteilt Visitenkarten und strahlt. Er muss zurück nach Tunis – Wahlkampf eben. Bis zur Abstimmung sind es noch gut drei Monate. Ein schriftliches Programm hat "En Nahda" übrigens bis jetzt nicht.