Die japanische Gesellschaft im Krieg

Von Susanne Burkhardt · 29.08.2005
Vor 60 Jahren endete mit der japanischen Kapitulation der Zweite Weltkrieg. Japan war neben Deutschland und Italien eine der drei Achsenmächte und Kriegstreiber. Doch es ist wenig darüber bekannt, welche gesellschaftlichen Strukturen das Land während des Krieges prägten und wie diese sich nach der Kapitulation veränderten.
Es war ein Schock für die Japaner. Zum ersten Mal hörten sie die Stimme ihres Kaisers Hirohito. Am 15. August 1945 erklang sie im Radio. Der Tenno, der sich bis dahin nie offen an sein Volk gewendet hatte, sprach davon, das Unerträgliche zu ertragen: die Kapitulation.

Kaiser Hirohito: "Kapitulation geht über in japanische Musik."

Jahrhunderte lang hatte sich Japan von der Außenwelt isoliert. Erst 1868 begann - ausgelöst durch die USA - die Öffnung und Modernisierung des Landes. Japan wagte den Sprung vom Feudalismus zur westlichen Modernisierung, nach einer langen Zeit der Militärdiktatur, in denen der Hofadel, Wirtschaftsführer und Militärs das Sagen hatten, während die Kaiserfamilie politisch kaum eine Rolle gespielt hatte. Der Staat wurde zentralisiert, es gab ein allgemeines Wahlrecht - wenngleich nicht für Frauen. Der gottähnliche Tenno wurde als Zentrum der Macht installiert. Irmela Hijiya-Kirschnereit, Professorin für Japanologie von der Freien Universität Berlin:

Hijiya-Kirschnereit: "Man hat nach der Landesöffnung im späten 19. Jahrhundert gesehen, man braucht so etwas wie eine nationale Identität. Da hat man dem Tenno diese Funktion zugedacht, dass er eine entscheidende patriarchalische u. religiöse Funktion im Staats-Shinto hat – und das wurde vom Militarismus ausgenutzt. Die Soldaten sind natürlich für Kaiser und Vaterland in den Krieg gezogen – ähnlich wie in Deutschland."

Um die radikale Modernisierung zu stabilisieren, entwarf die japanische Elite eine nationale Ideologie, die den Ahnenkult, Familie, Blut und Boden verherrlichte. Eine Ideologie, verbunden mit dem Shintoistischen Glauben an die Reinheit, die Hingabe an den Staat. So wurde Japan eine aggressive Kolonialmacht. Japan war im frühen 20. Jahrhundert aber auch ein eigenwilliges, chaotisches Land, ohne die heute viel beschworene Disziplin der Arbeiter.

Prof. Irmela Hijiya-Kirschnereit: "Man kann sagen, dass in den 1930er Jahren Japan sich allmählich stark militarisiert und dass der Druck gegenüber den Sozialisten, die im Lande stark waren - es gab eine Arbeiterbewegung, es gab im kulturellen Bereich eine ganz lebendige Bewegung, auch die anderen Strömungen - Dadaismus - die Strömungen, die es fast gleichzeitig auch in Europa gegeben hat - dass das immer stärker unterdrückt wird, das setzt in den 30er Jahren ein – insofern ist das parallel zu Mitteleuropa zu sehen."

Auf Druck rebellischer Offiziere wurde in Tokio 1931 der unterwürfige Samurai-Geist wieder beschworen und der Pan-Asianismus ausgerufen. Japan verbündete sich mit Nazi-Deutschland und dem faschistischen Italien, überfiel und besetzte nach deren Vorbild andere Staaten und strotzte bald vor Selbstvertrauen. Im ersten halben Jahr nach dem Angriff auf Pearl Harbor gelang dem Inselstaat ein Blitzkrieg, der den Mythos der japanischen Unbesiegbarkeit schuf und den Mythos von der weißen Unbesiegbarkeit zerstörte. Doch mit der Kapitulation im August 1945 brach das heroische Selbstbild zusammen.

Hijiya-Kirschnereit: "Zum ersten Mal in der japanischen Geschichte gab es Besatzer im Land – das war neu und so erschreckend - da musste man sich dran gewöhnen und man war froh, dass der Wiederaufbau schnell stattfinden konnte."

Während die Sowjets den Tenno als Kriegsverbrecher vor Gericht stellen wollten, ließen die amerikanischen Besatzer ihn im Amt- jetzt allerdings ohne jede gottähnliche Bedeutung.

Hijiya-Kirschnereit: "Interessanterweise war es so, dass die Amerikaner den Eindruck hatten, er ist immer noch ganz wichtig als Symbol für den Zusammenhalt der Nation, sonst zerbricht das alles – also haben die Amerikaner selber ihn nicht zur Verantwortung gezogen, für das, was im Krieg geschehen ist."

Eine Aufarbeitung der eigenen Kriegsschuld vollzog sich in Japan sehr schleppend. Die Tokioter Kriegsverbrecherprozesse wurden ausschließlich von amerikanischer Seite geführt.

Anfangs erzwangen die amerikanischen Besatzer eine Modernisierung der japanischen Gesellschaft: Frauen erhielten das Wahlrecht, das Schulsystem wurde umgebaut. Der Reichstag übernahm die Regierung. Die von den Amerikanern installierte Verfassung verbot Japan für die Zukunft jedwede kriegerische Handlung gegen andere Länder.

Die Wirtschaft, die wie in Deutschland, daniederlag, erholte sich schnell. Mit dem Wiederaufbau ging ein enormes Wirtschaftswachstum einher. Jetzt zahlte sich die erzwungene Friedfertigkeit aus: Während Japan als Militärdiktatur große Teile Asiens unterworfen hatte, dann aber kapitulieren musste, erlebte Japan als friedlicher und demokratischer Staat einen ungeahnten Aufstieg. Mit Fleiß, Opferbereitschaft und Hingabe eroberten die Japaner den Weltmarkt.