"Die immaterielle Seite der deutschen Einheit"

Peter Lange im Gespräch mit Hanns Ostermann · 27.09.2010
Je jünger die Deutschen sind, desto weniger spielen Unterschiede zwischen Ost und West eine Rolle? Je besser sie gestellt sind, desto mehr Vertrauen haben sie in das politische System? Beim Themenabend "… was zusammengehört" erörtern Gesprächspartner aus Ost und West diese Thesen.
Hanns Ostermann: Jeder kennt das: Hin und wieder tut es gut, ganz einfach inne zu halten und der Hektik des Alltags zu entfliehen. Genauso sinnvoll ist es, politische Entwicklungen und Ereignisse aus der Distanz zu betrachten. Konkret geht es um die Deutsche Einheit, die am 3. Oktober, am kommenden Sonntag, diesmal in Bremen 20. Geburtstag feiert.

An dieser Stelle haben wir in den vergangenen 14 Tagen mit kleinen Fallstudien darüber berichtet, wie es um die deutsche Einheit bestellt ist. Heute Abend setzen wir diesen Schwerpunkt fort. Darüber möchte ich jetzt mit dem Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur, mit Peter Lange sprechen. Er führt durch die Sendung ab 20:03 Uhr. "..was zusammen gehört" ist dieser Themenabend überschrieben. Welche Akzente wollen Sie setzen?

Peter Lange: Sie hatten ja schon angedeutet, Herr Ostermann, dass wir in den letzten zwei Wochen sozusagen die materielle Seite der deutschen Einheit an diesem Sendeplatz beleuchtet haben. Und heute Abend wird es gewissermaßen um die immaterielle Seite der deutschen Einheit gehen: Wie denken, was fühlen Ost- und Westdeutsche? Welche Einstellungen prägen ihr Leben? Was denken sie übereinander? Welche Unterschiede sind verschwunden, welche sind noch da? Und wie zeigt sich das alles im Alltag? Das ist sozusagen das Schwierigste an diesem Themenabend, diese abstrakten Dinge irgendwie handhabbar, begreifbar zu machen. Und ich bin selber sehr gespannt, ob uns das gelingt.

Ostermann: Bleiben wir bei den Einstellungen. Könnten Sie sich vorstellen, dass es da nach wie vor in bestimmten Bereichen doch riesige Unterschiede zwischen Ost und West gibt?

Lange: Wir verfolgen im Grunde zwei Thesen, die jetzt auch in den letzten Untersuchungen, die veröffentlicht worden sind, immer wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Die erste These ist die: Je jünger die Deutschen sind, desto weniger spielen diese Unterschiede eine Rolle. Und die zweite These ist: Je besser sie sozial und wirtschaftlich gestellt werden, desto mehr Vertrauen haben sie in dieses bestehende politische demokratische System. Je schlechter sie wirtschaftlich und sozial gestellt sind, desto eher neigen sie dazu, die DDR in irgendeiner Weise zu glorifizieren. Möglicherweise werden diese beiden Thesen heute Abend bestätigt durch die Gesprächspartner, die wir dafür ausgesucht haben.

Ostermann: Wer wird das sein?

Lange: Wir haben geschaut, dass wir mehrere Querschnitte hinkriegen. Wir haben vier Gäste eingeladen, die stehen für drei Generationen. Das sind zwei Männer, zwei Frauen, zweimal Ost-, zweimal West-Herkunft. Zum einen haben wir Antje Hermenau. Das ist die Vorsitzende und Fraktionschefin der Grünen im Landtag von Sachsen, die gehört zu dieser mittleren Generation, die 1989 schon erwachsen waren und schon im Berufsleben und sich total umorientieren mussten.

Dann haben wir Christoph Stölzl eingeladen. Der ist der Älteste, Jahrgang '44, in Berlin noch bekannt als ehemaliger Kultursenator, zurzeit ist er Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar.

Und dann haben wir zwei junge Leute eingeladen, die wir über die Stiftung Aufarbeitung vor einiger Zeit kennen gelernt haben, weil sie sich mit der DDR besonders intensiv befasst haben. Die sind Jahrgang '90 beziehungsweise '88 und gehören der Generation an, die die DDR nur noch vom Hörensagen kennt. Und wenn unsere These funktioniert, dann werden wir feststellen, dass bei den beiden die Unterschiede eigentlich kaum noch wahrnehmbar sind.

Ostermann: Erstaunlich ist ja auch – das haben die Beiträge um 8:40 Uhr in der Vergangenheit durchaus gezeigt -, dass diejenigen, auch die Jugendlichen, die sich mit der DDR beschäftigt haben, sich durchaus positiv der Deutschen Einheit gegenüber geäußert haben. Damit war ja so ohne weiteres nicht zu rechnen. Sie können das doch wahrscheinlich nur von ihren Eltern erfahren haben. Das heißt, dort geht auch Jung und Alt ineinander über, was die Generationen betrifft?

Lange: Na ja, die junge Generation, die im Grunde nur den westdeutschen Standard erfahren hat, wenn man das so sagen kann, was Ausbildungsmöglichkeiten angeht, was die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten angeht, was Reisefreiheit angeht, westliche Kultur angeht, die kennen es ja gar nicht anders. Wenn man die konfrontiert mit dem Alltag in der DDR, den finden die inzwischen selber absurd.

Es ist ja kaum noch vorstellbar, überhaupt nicht mehr vermittelbar, dass durch Berlin mal eine Mauer durchlief. Man muss schon sehr genau hingucken, bis man das findet. Und wenn man die mit dem Alltag der DDR, mit diesem ganzen reglementierten Alltag konfrontiert, das können die kaum nachvollziehen. Insofern: Die leben praktisch eine freiheitliche Praxis, einen freiheitlichen Alltag. Und das ist für die sehr selbstverständlich, manchmal vielleicht schon zu selbstverständlich.

Ostermann: Sie haben die vier Gesprächspartner genannt. Ergänzt wird das Programm, ergänzt wird dieser Themenabend durch Beiträge. In welche Richtung werden die gehen?

Lange: Wir haben versucht, dieses viele statistische Material umzusetzen in kleine funkische Einheiten. Wir nehmen es nicht immer so ganz bierernst, man wird auch ein bisschen schmunzeln können, ein bisschen Augenzwinkern wird auch dabei sein. Wir haben zum Beispiel mal versucht zu ermitteln, wie sieht heute die Musterfamilie Ost aus und wie unterscheidet sie sich von der Musterfamilie West. Das kann eine sehr trockene Angelegenheit sein. Aber ich versichere: Es wird nicht so trocken werden.

Ostermann: Wollen Sie schon mal andeuten, worin da die Unterschiede bestehen?

Lange: Nein, das will ich jetzt nicht andeuten.

Ostermann: 20 Jahre deutsche Einheit. Über den Themenabend heute ab 20:03 Uhr sprach ich mit dem Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur, mit Peter Lange.
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