Die ihr Wissen vollenden wollen

Von Susanne Mack · 04.07.2009
"Vedanta" - das Wort ist Sanskrit und bedeutet so viel wie Vollendung des Wissens. Gemeint ist das Wissen darüber, wie ein Mensch Gott erreichen kann. In Indien hat die Leidenschaft für dieses Wissen eine jahrtausendelange Tradition. Und auch in Deutschland gibt es ein Vedanta-Zentrum.
"Ich bin Swami Baneshananda. Ich komme aus Indien und gehöre dem heiligen Mönchsorden Ramakrishna. Er hat zwei Organisationen: den Ramakrishna-Orden und die Ramakrishna-Mission."

Swami Baneshananda empfängt mich im Salon eines großzügigen Hauses mit mannshohen Bogenfenstern hin zum Wald.
Alles hier atmet Stille, Helligkeit, Wärme – genau wie der Mann, dessen Alter schwer zu schätzen ist. Vielleicht Mitte 30, vielleicht 10 Jahre älter - ein "Swami" also. Das ist Sanskrit und bedeutet "Meister", ein religiöser Ehrentitel. Der "Meister" hat ein freundliches Gesicht, trägt eine Goldrandbrille und ein sonnenfarbenes Gewand.

"In Sanskrit heißt das gerua oder gairika, die Farbe des Feuers. Feuer hat eine große Verwandlungskraft. Wenn wir pures Gold haben wollen, dann schmelzen wir es im Feuer, und alle Verunreinigungen verschwinden, übrig bleibt reines Gold. Diese Farbe erinnert uns Mönche immer daran, dass wir unseren Geist verschönern müssen, genau wie Feuer Gold verschönert, wir müssen danach streben, so rein zu werden wie Gold. - Wie sagt doch Christus in der Bibel?: Selig sind die, die reinen Herzens sind. Sie werden Gott schauen."

Abendgottesdienst im Vedanta-Zentrum. Ein lichtdurchfluteter Raum im Dachgeschoß des Hauses, Parkettboden. Auf einem Dutzend kleiner Fußmatten hocken Männer und Frauen, die meisten von Kopf bis Fuß in leichte Tücher eingehüllt.

"Ein Tuch der Verehrung, ein Tuch der Keuschheit und ein Tuch, das den ganzen Körper verhüllt. Und dann sitzt man und nur meditiert.
Deswegen haben Sie auch gesehen, dass der Swami sogar das Tuch über seinem Kopf hat. Man sieht nur seine Silhouette, man sieht gar nichts mehr. Er sieht gar nichts, wir sehen gar nichts. Damit bei Meditation er lässt sich nicht stören, und wir stören ihn nicht."

… erklärt mir eine Dame, die man sogleich als Inderin erkennt, sie trägt einen schwarzen Punkt auf der Stirn, genau in der Mitte über den beiden Augenbrauen. "Eine Tika, das Segenszeichen der Hindu-Frauen", sagt Gita Das.

Gita Das wurde in Kolkata, das damals noch "Kalkutta" hieß, geboren und kam vor 40 Jahren mit ihrem Mann nach Deutschland. – Für die beiden indischen Swami in diesem Haus dagegen ist das Leben in der Bundesrepublik noch eine relativ junge Erfahrung:

"Ich bin hier seit November 2004. Ein paar Leute in Deutschland hatten eine Vedanta-Gesellschaft gegründet, weil sie sehr interessiert waren an der vedantischen Philosophie. Deshalb haben sie den Ramakrishna-Orden gebeten, einen Mönch hierher zu schicken, um diese Dinge zu lehren."

"Ich hatte mit 20 Jahren etwa eine Existenzkrise und war auf der Suche, aus den Schwierigkeiten herauszukommen. In einer Berliner Bibliothek fand ich ein Ramakrishna-Bändchen, lieh mir das aus, und als ich das Büchlein zu Ende gelesen hatte, da war ich nachdenklich. Denn jeden Satz, der in diesem Buch von Ramakrishna war, empfand ich als einen Volltreffer!"

Wilfried Marquardt, Mitglied der Bindweider Vedanta-Gesellschaft und seit rund 40 Jahren mit Rahmakrishna und dem Vedanta beschäftigt.

Shri Ramakrishna, ein hinduistischer Mystiker, wird in Indien als ein Heiliger verehrt. Er lebte von 1836 bis 1886 in Dakshineshwar bei Kolkata, das damals Kalkutta hieß, umringt von einer großen Zahl von Schülern.

Ramakrishna diente als Priester im Tempel der Hindu-Göttin Kali. Da die Kultur seiner indische Heimat aber auch von arabischen und später von britischen Eroberern geprägt worden ist, kam Ramakrishna ganz selbstverständlich auch in Kontakt mit dem Islam und mit dem Christentum.

Der Mönch aus Dakshineshvar lehrte seine Schüler:

"Hindus, Muslime und Christen gehen auf verschiedenen Wegen zu demselben Ort. Wenn jeder an den eigenen religiösen Neigungen festhält und Gott von Herzen anruft, wird er ihn erreichen."

"Ja, Ramakrishna ist unterschiedlich von den Heiligen seines Zeitalters insofern, als er die anderen Religionen sozusagen in den Hinduismus einbaut, sozusagen inklusiv denkt und nicht exklusiv denkt."

Michael Kämpchen. Er hat Ramakrishnas Weisheiten aus dem Bengalischen ins Deutsche übersetzt und ein Buch herausgegeben. Ramakrishnas Lehre des Vedanta, sagt Kämpchen, das ist nichts anderes als Spiritualität im Zeitalter der Globalisierung. - "Vedanta", das Wort stammt aus dem Sanskrit und meint das Wissen über die verschiedenen Wege hin zu dem einen Gott.

"Glaubst Du an Gott mit Form und Gesicht? Oder an Gott ohne Form und Gesicht? Meine nicht, das eine sei wahr und das andere falsch. Gott mit Form ist wahr, denn Gott verkörpert sich für alle, die ihn lieben, das eine Mal als Krishna, ein anderes Mal als Christus. - Aber Gott ohne Form ist auch wahr. Nimm, woran Du glaubst, und halte daran fest."

Das hat Ramakrishna seine Schüler gelehrt. Der bedeutendste von diesen Schülern ist zweifellos Narendranath Datta, bekannt geworden als Swami Vivekananda:

"Vivekananda war derjenige, der die Botschaft von Ramakrishna rübergebracht hat nach Amerika. Erstmals hat er über Vedanta gesprochen oder überhaupt über Hinduismus in Chicago bei dem Parlament der Religionen 1893. Und da ist er sehr berühmt geworden!"

Gita Das. – Vivekananda hat nach dem Tod seines Meisters die Ramakrishna-Mission gegründet. Der inzwischen größte Mönchsorden Indiens ist für sein soziales Engagement bekannt. Er unterhält über 100 Schulen, Krankenhäuser und Waisenhäuser auf dem indischen Subkontinent.

"Das hat man in Europa, auch in Amerika nicht gemacht. Man hat gesagt, hier sind andere Bedürfnisse, die ganzen Bedürfnisse sind psychologisch zum großen Teil. Menschen haben innere Nöte, und da hat man genug zu tun, um die zu heilen. Also, einfach auf einer anderen Ebene wird geholfen. Den Menschen."

… erzählt mir eine Dame aus Österreich. Ich treffe sie in der Bibliothek des Hauses. Ihr Name? Der sei unwichtig, erklärt sie mir, wichtig allein sei Ramakrishna und seine Lehre. - Heute gibt es rund 40 Vedanta- Zentren in aller Welt. Sie helfen, die Weisheiten des Mönchs aus Dakshineshvar um den Globus zu tragen.

Im Jahre 1933 kam erstmals ein Swami des Ramakrishna-Ordens auch nach Deutschland. Genauer: ins Vedanta-Zentrum nach Wiesbaden, gegründet von deutschen Ramakrishna-Enthusiasten. Nur leider hielt es den indischen Mönch nicht lange im Land des Nationalsozialismus, denn die Gestapo hatte ihn als verdächtige Person ausgemacht.
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"Es gibt da eine kleine Episode, wo zwei Leute hineinkommen, und seine Sanskrit-Schriften alle kassieren und mitnehmen. Weil sie gedacht haben, das sei hebräische Schrift. Nach drei Tagen sind zwei andere gekommen und haben das alles wieder zurückgebracht und haben gesagt: "Wir bitten um Entschuldigung, Sie sind ja unsere Brüder, unsere arischen Brüder! Das ist ja Sanskrit und nicht hebräisch!"

Dem Swami waren die Braunhemden dennoch nicht geheuer. Er zog es vor, in die Schweiz auszureisen.

Über 70 Jahre wird es dauern, bis der Ramakrishna-Orden so viel Vertrauen in die deutsche Demokratie entwickelt hat, dass er wieder zwei Mönche nach Deutschland sendet.
Im Vedanta-Zentrum Bindweide und seit neuem auch in einem zweiten Domizil in Mühlheim bei Frankfurt, treffen sich die indischen Swami mit Laien aus ganz Europa. Geboten wird ein reiches Veranstaltungsprogramm im Dienst einer religionsübergreifenden Spiritualität.

"Unsere Absicht ist es nicht, jemanden von einer Religion zu einer anderen zu bekehren. Sondern wir wollen ihm helfen, den eigenen Weg zu seinem göttlichen Selbst zu finden. Das Königreich des Himmels liegt in uns selbst, jeder muss es auf seine Weise erreichen, wir wollen Leute dabei unterstützen. Deshalb lehren wir das Wesen des Yoga. Wir lehren auch die vedantische Philosophie und wir lehren Meditation. Sie hilft uns, sich zu konzentrieren, alles Leid und alle Belastung in der Welt hinter sich zu lassen und unser Herz zu reinigen, damit wir das spirituelle Ziel erreichen."

"Ich habe über Meditation gelesen und hab’ einfach angefangen. Es war mir ein so großes Bedürfnis, dass mir das auch eigentlich ganz gut gelungen ist, nach Innen zu kommen. Diesen Schritt von außen nach innen, den hab’ ich geübt! Und man macht auch nach 20, 30, 40 Jahren immer noch neue Erfahrungen."

"Ich versuche, das Göttliche in jedem Menschen zu sehen, ich kann jeden Menschen respektieren, so komme ich mit den Menschen sehr viel besser zu recht als wenn ich das nicht täte. Wenn ein Atheist mir sagt: 'Ach, Gott gibt es nicht!' und so weiter, da sag’ ich da nix mehr drauf. Der hat dann eben zur Zeit noch keine Lust, das eigene innerste Göttliche zu erforschen. Weil ihm die derzeitige Welt zu interessant erscheint, warum auch nicht. Manche Menschen wollen eben auf die langsame Weise fortschreiten, andere haben’s eiliger."

Mittagessen im Vedanta-Zentrum. Man speist gemeinsam an einer großen Tafel, wunderbar indisch - und vegetarisch. Es wird erzählt, diskutiert und viel gelacht.
Wenn der Weg zu Gott in erster Linie einer ins Innerste unserer Seele ist, wie Ramakrishna immer wieder versichert, warum legt dann man hier soviel Wert auf Gemeinschaft?

"Ja, dieser Weg in einem Ashram, nach außen, ist eigentlich nicht ein wirkliches nach Außen. Man hat ja auch das Bedürfnis, für andere etwas zu tun, und das kann man wunderbar machen, wenn man hier ist. Da kann man sich ja einsetzen!"

"Ich hab’ jetzt über die 46 Jahre viel Information angesammelt, und ich muss jetzt kucken, damit andere davon profitieren."

"Und die Gemeinschaft auch zu erleben, das andere Menschen genauso auf der Suche sind und sich mit Ihnen freuen. Und man braucht ja auch jemand, um ihn zu lieben! Und wenn man da in die Gemeinschaft kommt, da kann man seine ganze Liebe loswerden, die man zu den Menschen hat."