Die Identitätsverweigerin

Von Susanne Luerweg · 03.03.2011
Kerstin Brätsch ist bildende Künstlerin. Die 32-Jährige malt großformatige Bilder in bunten Farben, die sie in großen Holzrahmen ausstellt. Doch die derzeit in New York lebende Hamburgerin verwischt in ihrer Kunst die Disziplinen. Denn neben Gemälden stellt sie inzwischen auch Mode her, druckt Poster, die genauso für ihre Arbeiten werben wie Videos in denen sie als Modell agiert. Kerstin Brätsch ist alles auf einmal und sicher nicht "Nichts, Nichts" wie es der Titel ihrer aktuellen Ausstellung im Kölnischen Kunstverein suggeriert.
Die Person auf dem Poster sieht man nur im Profil. Eine rothaarige Schönheit, die mit gespreizten Fingern zwei Würstchen betrachtet, bekleidet mit einer schwarzen Korsage, den Kopf schräg zur Seite geneigt.

Ähnlichkeiten mit der Künstlerin sind nicht auszuschließen. Oder?
"Ich weiß gar nicht, ob ich das bin. Diese Person auf dem Poster, und da geht es auch um eine Verwischung von Identität."

Kerstin Brätsch ist nicht Kerstin Brätsch. Das ist das Leitmotiv ihrer Arbeit. Im Foyer des Kölnischen Kunstvereins ist eine Videoarbeit zu sehen.

Sie zeigt die 32-jährige Frau in einer Doppelrolle. Im Film trägt Kerstin Brätsch ein Stirnband, ein Pinsel klebt seitlich an ihrer Nase, sie hält eine Spraydose in der Hand - und sie interviewt sich selbst. Ihr Gegenüber lächelt freundlich, aber antwortet nicht.

"Ich möchte Sie etwas fragen: Aber sie müssen ehrlich sein. Sind sie eine von diesen weiblichen, expressionistischen Malerinnen? Das ist die Frage. Könnten Sie die bitte beantworten?"

Das Video sowie Kerstin Brätschs großformatige Bilder auf Papier sind in New York entstanden. Vor fünf Jahren ging die 32-Jährige in die USA.

"Und dann ist man tatsächlich auch erst mal in so’n Kulturschockloch gefallen und extrem verwirrt. Zumindest war das bei mir am Anfang so, dadurch dass das Lehrsystem extrem anders ist und die Stadt natürlich komplett anders und dann wiederum auch gar nicht."
Fragmente einer Biografie: Geburt und Schule in Hamburg, Studium an der Hochschule der Künste in Berlin, immer mal wieder kurze Auslandsaufenthalte, dann der Abschluss in New York. Sehr viel mehr erfährt man nicht. Kerstin Brätsch ist ganz in schwarz gekleidet. Hose, Hemd, Jacke, Halstuch- alles ist schwarz, die Farbe ihres Lippenstiftes: dezent. Sie überlegt lange, bevor sie antwortet und erzählt zunächst auch nichts von ihren Musikprojekten.

Die Musik ist genauso bombastisch wie die Kunst. Kerstin Brätschs Werke sind großformatig und in schrillen Farben gemalt. Ihre Arbeiten erinnern auf den ersten Blick an Piet Mondrian, auf den zweiten Blick denkt man an Achtzigerjahre-Künstler wie Martin Kippenberger.

Extrem extrovertiert präsentiert sich die Künstlerin auch in ihren zahlreichen Videoauftritten. Mal agiert sie als Modell, dann als Schauspielerin und Tänzerin. Und als jemand der sehr spielerisch mit Sprache umgeht, wenn sie beispielsweise in großen Lettern dazu aufruft ihre Kunst zu kaufen. Buy Brätschworst:

"Natürlich gibt es da so eine bestimmte Art von Wortwitz: Brätschworst oder the worst brätsch oder Bratwurst."

2007 haben Kerstin Brätsch und Adele Röder in New York ihre fiktive Firma namens "das Institut" gegründet. Das Ganze wirkt wie ein reichlich dubioses Unternehmen. Und den beiden Künstlerinnen liegt auch nichts daran, diesen Eindruck zu korrigieren.

"Wenn man sagt, man macht Import und Export , dann heißt das erst mal man kriegt jede Art von Serviceleistung, man weiß aber nicht woher."

Kerstin Brätsch lässt sich nicht gerne festlegen. "das Institut" ist in erster Linie ein Maskenspiel.

"Da geht es auch gar nicht mehr darum: wer ist denn Adele und wer ist Kerstin. Das spielt eigentlich gar keine Rolle."

Das neueste Produkt des Instituts: Schröderline. Eine Modelinie.

Digital am Computer entworfene Hosenanzüge mit dem Konterfei der Künstlerrinnen sowie so genannte Parasite Patches. Stricktücher, die ebenfalls mit den Gesichtern der beiden Frauen verziert sind. Mode die Kunst ist, Kunst die Mode ist. Kunst die man nicht an die Wand hängen muss, sondern die den eigenen Körper, die eigene Kleidung schmückt. Arbeiten die sowohl in einer Galerie wie auch in einer Boutique verkauft werden können, betont Brätsch.

"Das, was wir liefern, sind drei Druckknöpfe und das parasite patch und ob man dann nun ein Jil Sander Jackett trägt oder ein Woolworth T Shirt ist eigentlich egal. Es geht darum, dass es erst seine vollständige Funktion hat, wenn es getragen wird auf vorhandener Kleidung."

Der Kunstbetrieb ist eine gefräßige Maschine, die immer neue, immer jüngere Talente verschlingt. Kerstin Brätsch ist Teil dieses Zusammenhangs, aber sie will selbst die Regeln bestimmen.

" I just wanna Pop."