Die Hoffnung ist grün

Von Bettina Rühl · 28.07.2010
Nicht überall in Niger sind die Böden verdorrt. Mancherorts gab es eine reiche Ernte. Wegen der mangelnden Infrastruktur konnten die Nahrungsmittel aber nicht in die Hungergebiete gelangen. Andernorts hat es Ernteausfälle gegeben, weil es schlicht zum falschen Zeitpunkt geregnet hat. Um dem entgegenzuwirken, spezialisieren sich Forscher derzeit auf die Zucht einer Vielfalt von Sorghum- , also Hirsesorten. Damit wollen sie den Bauern im Sahel mit seinen unterschiedlichen Klimazonen so viele Pflanzen wie nur möglich zur Verfügung stellen, die jeweils an die regional sehr unterschiedlich ausgeprägten Wachstumsbedingungen angepasst sind.
Ein Markt in der Hauptstadt Niamey. Hier gibt es trotz der Krise Fleisch und Gemüse zu kaufen: Tomaten und Zwiebeln vor allem, aber auch Möhren und Kohl. Doch die Preise sind dramatisch gestiegen: Manche Lebensmittel kosten jetzt rund 30 Prozent mehr. Die Zahl derer, die sich das nicht mehr leisten können, nimmt zu.

Am Straßenrand Frauen und Kinder, die betteln. Nur wenige Menschen im Land haben Reserven an Geld oder Nahrung, mit denen sie eine Nahrungs- und Wirtschaftskrise wie die jetzige aus eigener Kraft überstehen könnten: Das Land am Rande der Wüste Sahara steht auf dem Armutsindex der Vereinten Nationen auf dem letzten Platz. Nach Angaben von "Care Deutschland" ist jeder zweite Einwohner unterernährt. Im Niger leben die meisten Menschen vom Ertrag ihrer Felder. Oder sie sind Nomaden, das heißt, sie leben von dem, was ihre Viehherden einbringen. Nach Berichten von Hilfsorganisationen sind nun auch eine Million Nutztiere von Hunger bedroht, die Nomaden könnten einen großen Teil ihrer Herden verlieren. Im harten Klima der Wüste heißt das: Wenn die Tiere sterben, sterben auch die Menschen.

Hart wie Stein ist der Boden dieses Feldes, das rund 30 Kilometer von der Hauptstadt entfernt ist. Auch wenn die Bäuerin Mariam Aboubakar ihre Kraft vor jedem Schlag sammelt, dringt sie mit ihrer Hacke kaum einen Zentimeter tief in die harte Erde ein.

Mariam: "Ich arbeite hier nur zwei oder drei Stunden am Stück, mehr schaffe ich nicht."

Aus dem Norden weht ein scharfer Wind. Der Staub, den er aufwirbelt, setzt sich in Auge, Nase und Mund. So trocken wie hier ist die Erde an vielen Stellen im Niger: Es hat zuletzt viel zu wenig und viel zu unregelmäßig geregnet. Auch wenn das Land nicht überall im Niger gleichermaßen verdörrt aussieht, sind die Ernteausfälle und damit der Getreidemangel dramatisch. Richard Verbeeck ist Direktor des Welternährungsprogramms im Niger:

"Die Regierung von Niger geht davon aus, dass 2,7 Millionen Menschen von schwerem Hunger bedroht sind, und weitere fünf Millionen von Unterernährung. Insgesamt sind also fast acht Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen."

Dass diese Krise kommen würde, ist seit Monaten klar: Schon nach dem Ende der Regenzeit im letzten Herbst war offensichtlich, dass die nächste Ernte nicht ausreicht, um die Bevölkerung zu ernähren. Doch die damalige, mittlerweile gestürzte Regierung unter Präsident Tandja ging das Problem nicht an: Sei es, weil Tandja sich mehr für den Verkauf von Bergbaulizenzen für die Uran-, Gold und Erdölvorkommen des Niger interessierte, sei es, weil er das Eingeständnis einer landesweiten Ernährungskrise als ehrenrührig empfand, oder auch, weil Tandja im vergangenen Jahr vor allem damit beschäftigt war, seine Amtszeit verfassungswidrig zu verlängern. Doch der Bruch der Verfassung und die Ausweitung der Amtszeit misslangen ihm gründlich: Im Februar dieses Jahres putschte das Militär und beendete seine Präsidentschaft.

Richard Verbeeck: "Die neuen Machthaber suchen den Dialog und sind für Ratschläge offen. Wir haben der Übergangsregierung direkt nach dem Putsch geraten, sich ein Bild von der Lage zu machen: Wie viele Menschen sind von Hunger bedroht, wo ist die Lage besonders schwierig, wie schnell muss wo reagiert werden? Die Übergangsregierung hat daraufhin eine entsprechende Untersuchung in Auftrag geben. Sie stellt sich den Tatsachen und versucht, angemessen auf die drohende Krise zu reagieren."

Sich ein Bild von der Lage im Niger zu machen, ist gar nicht so einfach, selbst für den nicht, der durch das Land fährt: Mancherorts scheint angesichts fruchtbarer Felder, auf denen reich geerntet werden kann, schwer vorstellbar, dass anderswo Menschen und Tiere hungern. Dann wieder erstreckt sich nichts als dürres, vertrocknetes Land. Wohl deshalb gibt es auch Stimmen im Land, die die internationalen Hilfsappelle der Regierung kritisieren. Ihr Vorwurf: Die Krise könnte bewältigt werden, wenn das im Land geerntete Getreide besser verteilt würde. Richard Verbeeck hält diese Einschätzung für viel zu optimistisch:

"Wir haben im Niger eine Art Patchwork: Es gibt Regionen, in denen die Ernte praktisch ausgefallen ist. Nicht weit davon entfernt gibt es andere Regionen, in denen es eine reiche Ernte gab. Allerdings gibt es weniger fruchtbare als Dürrezonen. Aber deshalb von einer Verteilungskrise zu reden? Erstens gibt es landesweit ein Defizit. Und zweitens bräuchte Niger, um Getreide umverteilen zu können, ebenfalls massive logistische und finanzielle Unterstützung von außen."

Auf diesem Feld steht die Hirse satt und kräftig. Die Halme sind schon höher als ein Mensch, die ersten Kolben stehen kurz vor der Blüte. Dabei wachsen die Pflanzen nicht weit entfernt von der Erde, mit der Mariam Aboubakar sich abmüht. Die Erklärung für den Unterschied ist in diesem Fall allerdings nicht die unterschiedlichen Regen- und Trockengebiete im Niger, sondern eine künstliche Beregnung des Ackers, der einem Internationalen Forschungsinstitut für Pflanzenzüchtung gehört. Hier wird die Hirse nicht nur bewässert. Den ganzen Tag lang streift zudem ein Mann durch das Feld und macht Lärm, um die Vögel zu vertreiben, die sonst das Getreide ernten. Für das Zuchtprogramm in der nigrischen Hauptstadt Niamey ist die deutsche Wissenschaftlerin Bettina Haussmann verantwortlich. Das Hirsefeld ist Teil ihrer Reaktion auf die akute Nahrungskrise in Niger:

"Wir haben jetzt in meinem Hirsezüchtungsprogramm die Saatgutproduktion (…) stark erhöht. Gemäß der Flächen, die wir zur Verfügung haben, und der Beregnungskapazität, die auf unserer Station zur Verfügung steht, habe ich noch mal extra drei Hektar ausgesät mit verschiedenen Sorten, wo wir jetzt speziell Saatgut produzieren was dann auch zur Vorbeugung der Krise zur Verfügung gestellt werden kann."

Das ICRISAT ist eine Mischung aus Forschungseinrichtung und Entwicklungshilfeorganisation: Die Wissenschaftler forschen zweckorientiert, suchen nach Lösungen für die Probleme der Landwirtschaft vor Ort. Sie arbeiten eng mit der Bevölkerung zusammen, lassen ihre neu entwickelten Sorten von Bauern und Bäuerinnen testen, ehe Saatgut für eine neue Variante im großen Stil produziert wird. Für Bettina Haussmann gibt es allerdings zwei gute Gründe, in der gegenwärtigen Krise mehr neues Saatgut als üblich zur Verfügung zu stellen: Es ist Hilfe in der aktuellen Krise und ein Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Lösung:

"Wenn es natürlich schon nicht genug zu Essen gibt dann kann es natürlich sein, dass die Bauern ihre letzten Körner, die sie noch im Kornspeicher haben, vor Hunger dann aufessen, bevor die Aussaat stattfindet, und das führt dann dazu, dass zum Zeitpunkt der Aussaat nicht genug Saatgut zur Verfügung steht. (…) Und da können wir natürlich vorbeugen und können dabei sogar ein bisschen profitieren, neue, verbesserte, frühreifere Sorten an den Mann zu bringen, oder an die Frau."

Neue, robuste Pflanzensorten können helfen, die Nahrungsprobleme im Niger langfristig zu lösen, davon ist Bettina Haussmann überzeugt. Und eine langfristige Lösung ist dringend nötig. Denn im Niger, ebenso wie im benachbarten Mali und anderen Sahelstaaten, kommt es alle paar Jahre zu ähnlichen Nahrungskrisen wie in diesem Jahr, zuletzt im Jahr 2005. Damals wie heute ist nie das gesamte Land verdorrt, sondern es hat sich ein Patchwork aus fruchtbaren und vertrockneten Regionen gebildet. Denn warum Getreide vertrocknet, kann komplizierter sei, als es auf den ersten Blick scheint. Es liegt nicht immer nur daran, dass der Regen ausbleibt – oft genug kommt er bloß zur falschen Zeit, hört einen Tag zu früh auf, fehlt im entscheidenden Moment vor der Blüte. Weil das ökologische Gleichgewicht im Sahel ausgesprochen empfindlich ist, haben schon kleinste Schwankungen dramatische Folgen. Endet eine Regenzeit nur ein paar Tage zu früh, kann das zum Ausfall einer ganzen Ernte führen. Mit dem Klimawandel verschärft sich das Problem:

Bettina Haussmann: "Es gibt einige Anzeichen, wenn man die Klimadaten über die letzten 50 Jahre anschaut, dass die Variabilität zwischen den Jahren zugenommen hat. In einem Jahr fängt die Regenzeit Mitte Mai an, im nächsten Jahr Ende Juli, in einem Jahr hat man eine Trockenheit direkt nach der Saat, im nächsten Jahr zur Blüte, im nächsten zum Ende der Regenzeit, und das alles ist bisher noch so unvorhersagbar, dass es wirklich so eine Art Lotterie ist, wer in welchem Jahr gewinnt, und diese Variabilität findet auch auf kleinstem Raum statt, wir haben Orte, wo wir verschiedene Sorten in verschiedenen Dörfern um einen größeren Ort herum anbauen, und sogar in einer so kleinen Region, die vielleicht 50 Kilometer umfasst, variieren die Saatzeitpunkte zum Beispiel von Anfang Juni bis Ende Juli."

Mit einer Vielzahl von Sorten könnten die Bauern künftig besser auf Klimaschwankungen reagieren: Sie hätten die Möglichkeit, ihre Felder in Parzellen zu unterteilen und mit verschiedenen Sorten zu bestellen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten blühen und reifen. Mit etwas Glück könnten sie so immer wenigstens einen Teil ihrer Ernte einfahren, weil eben immer ein Teil der Getreidepflanzen an die herrschende Wetterlage angepasst ist. Die Pflanzenzüchter entwickeln deshalb viele verschiedene Sorten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten reifen und hoffen, dass es bald für möglichst viele Regionen und möglichst viele Wetterkapriolen eine passende Getreidesorte gibt.

Langsam lässt Aminata Diarra die Getreidekörner durch ihre Hand rinnen und betrachtet sie dabei aufmerksam. "Das Korn ist gut", sagt sie schließlich. Der Agrarökonom Arouna Sangaré aber will genau wissen, was ihr daran gefällt. Die Befragung gehört zum Zuchtprogramm von ICRISAT: Was die Forscher auf ihren Feldern entwickeln, lassen sie von Bauern und Bäuerinnen probeweise anbauen, ernten, verarbeiten, begutachten und probieren.

Bettina Haussmann: "Um wirklich Erfolg zu haben, müssen wir mit den End-Usern, den Endverbrauchern zusammenarbeiten. (…) Und da gibt es auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern, in einem Ort habe ich zum Beispiel eine spezielle Frauengruppe, (…) weil die haben manchmal noch ganz andere Merkmale, die für sie wichtig sind, weil es sind ja hier immer noch die Frauen, die die ganze Hirse größtenteils noch manuell dann verarbeiten müssen, und da ist es mir auch wichtig, den Frauen wirklich gerecht zu werden."

Alljährlich laden die Wissenschaftler Bauern auf ihre Versuchsfelder ein. Dort können sie die neuen Zuchtsorten in Augenschein nehmen und sich einige aussuchen, die sie auf kleinen Parzellen innerhalb ihrer Felder selbst einmal anbauen wollen. Dadurch zeigt sich schnell, ob sich die neuen Züchtungen auch in der Praxis bewähren.

Die Bäuerin Aminata Diarra lebt in Mali, nicht im Niger, doch die Methoden sind dieselben. Aminata Diarra hat nach der Ernte des vergangenen Jahres fünf Sorghum-Sorten beurteilt.

Aminata Diarra: "Mir hat die Sorte sehr gut gefallen, die ich zuletzt gesehen habe. Die Körner sind schön hell, keine braunen Stellen. Aber ich kann noch nicht sagen, ob sich daraus auch ein Brei kochen lässt, der sich gut essen lässt und lecker schmeckt."

Aminata Diarra ist eine von über 60 Bäuerinnen und Bauern, die auf dem Dorfplatz zusammengekommen sind und nun im Schatten der Bäume auf ihren Einsatz warten. Sie sollen Form und Farbe von 32 Sorghum-Sorten beurteilen, eine Hirseart, die zu den Grundnahrungsmitteln vieler afrikanischer Staaten gehört.

Einige Gruppen von Frauen sollen auch bewerten, wie gut sich die Körner schälen, mahlen und kochen lassen. Am Ende wird es dann für alle eine Kostprobe geben. Das wird der Höhepunkt einer Reihe von Experimenten sein, die vor Monaten mit der Aussaat auf den Feldern begann – und eben nicht in einem Labor. Auch der 42-jährige Bourama Dembele beteiligt sich begeistert an diesen Versuchsreihen:

"Wenn jemand etwas Neues vorschlägt, muss man das doch ausprobieren – sonst weiß man ja nicht, welche Vorteile man vielleicht davon hätte. Ich habe sofort gemerkt, dass diese Versuche für uns sehr nützlich sind. Einige von den neuen Sorten sind sehr viel ertragreicher als unsere alten. Die bringen nie mehr als eine Tonne pro Hektar - egal wie gut die Bedingungen sind. Aber von den besten unter den neuen Sorten ernten wir 1,3 oder 1,4 Tonnen pro Hektar! Das ist ein Unterschied, der einen natürlich sofort überzeugt."

Nach der Ernte wählten die Bauern die besten unter den neuen Sorten aus, die anschließend in Hinblick auf ihre Qualität bei der Verarbeitung und ihren Geschmack getestet werden.

Bourama Dembele: "Bei der Auswahl haben wir uns vor allem an zwei Kriterien orientiert, am Ertrag und daran, wie stark eine Sorte von den Vögeln gefressen wird. Jetzt prüfen wir noch, ob die vier besten Sorten auch schmecken."

Vor der Verkostung steht die mühsame Arbeit der Frauen, die mit dem Schälen der Körner beginnt - auch dafür interessiert sich Eva Weltzien. Die Pflanzenzüchterin ist für das hiesige Sorghum-Programm verantwortlich. Ihr Forscherteam wird die Teilnehmerinnen zu jedem Arbeitsschritt befragen.

Eva Weltzien: "Da beschreiben sie dann, wie der Prozess bei jeder Sorte gelaufen ist, weil es da deutliche Sortenunterschiede gibt: Wie einfach oder schnell das geht, ob die Körner leicht zerbrechen dabei oder nicht – das ist ein wichtiger Arbeitsschritt, (…) und dann wird auch kurz beurteilt, wie leicht das Vermahlen geht, aber das ist (…) kein so komplizierter Prozess an sich, und dabei messen wir dann noch, wie viel Gries und wie viel Mehl dabei rauskommt."

Aus den umliegenden Weilern kommen immer mehr Männer und Frauen auf dem zentralen Platz des Dorfes zusammen: Alle werden später bei der Verkostung des Hirsebreis mitmachen. So gipfeln die Versuchsreihen alljährlich nach der Ernte in einer Art Volksfest. Außerdem bekommen alle Probanden ein kostenloses Sonntagsessen. Damit die Sorghum-Gourmets nicht vor lauter Hunger jeden Brei himmlisch finden, lädt das Forscherteam alle Testesser vor der Verkostung zu einer Mahlzeit ein. Während also einige Frauengruppen unter wissenschaftlicher Beobachtung Sorghum schälen, mahlen und kochen, bereitet eine vierte für über 60 Gäste Reis mit Fleisch und Erdnusssoße zu.

Dann beginnt die Verkostung. Vor jeder Testperson stehen fünf bunte Plastikschüsseln auf dem Boden. Schon farblich unterscheidet sich der Inhalt stark: Ein Brei ist dunkel wie Schokoladenpudding, ein zweiter gelb-grünlich, und die anderen changieren in Beigetönen von verschiedener Helligkeit. Der Präsident der Bauern ist von den neuen Sorten geradezu begeistert: Vier der fünf Breie haben ihm ausgesprochen gut geschmeckt.

Schiaka Diarra: "Wenn man Sorghumbrei gegessen hat, muss man sich danach rundum wohl fühlen. Der Brei muss also sättigen, darf aber nicht zu schwer im Magen liegen. Außerdem kommt es darauf an, dass der Brei etwas süßlich schmeckt. Das rundet den Geschmack ab. Wenn dann auch noch die Soße dazu kommt, hat man auf jeden Fall eine gute Mahlzeit. Außerdem wird ein solcher Brei lange im Magen vorhalten, das ist es genau, worauf es den Bauern ankommt."